Bundesverfassungsgericht

Sie sind hier:

Landesrechtliche Abgaben zur Finanzierung von Ausbildungsvergütungen in der Altenpflege verfassungsgemäß

Pressemitteilung Nr. 62/2003 vom 1. August 2003

Beschluss vom 17. Juli 2003
2 BvL 1/99

Die Altenpflegeumlagen der Länder Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Niedersachsen und Thüringen sind mit dem Grundgesetz vereinbar. Die Altenpflegeumlagen werden von Pflegeeinrichtungen und Heimen für alte Menschen erhoben, um die Erstattung der Kosten der Ausbildungsvergütungen von Schülern oder Auszubildenden in der Altenpflege zu finanzieren. Diese Umlagen sind mit den sich aus der bundesstaatlichen Finanzverfassung ergebenden Anforderungen an die Erhebung und Bemessung nichtsteuerlicher Abgaben vereinbar. Dies hat der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts im Rahmen von sechs Normenkontrollverfahren entschieden.

Zum Sachverhalt:

Die für die Altenpflege erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten werden in den Altenpflegeschulen und in Einrichtungen der Altenpflege erworben. Insbesondere in Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Niedersachsen und Thüringen wird den Schülern und Auszubildenden eine Ausbildungsvergütung gewährt, die den Trägern der Altenpflegeausbildung Sperrfrist: jeweiligen Land erstattet wird. Diese Länder haben Altenpflegeumlagen eingeführt, um die Mittel für diese Erstattung aufzubringen. Die Kläger der Ausgangsverfahren sind im Bereich der Pflege alter Menschen tätig. Sie betreiben ambulante Pflegeeinrichtungen oder Alten- und Pflegeheime. Sie wurden für die Jahre 1997 und 1998 zu Altenpflegeumlagen in einer Höhe zwischen 4.186 DM und 31.100 DM herangezogen, gegen die sie sich gerichtlich wehrten. Die Verwaltungsgerichte Düsseldorf, Gelsenkirchen, Koblenz, Lüneburg und Weimar haben die Ausgangsverfahren ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht die Frage vorgelegt, ob die Rechtsgrundlagen für die landesrechtlichen Altenpflegeumlagen mit dem Grundgesetz vereinbar seien. Sie waren davon überzeugt, dass die jeweilige Umlage eine verfassungswidrige Sonderabgabe sei.

Aus den Gründen der Entscheidung geht hervor:

Die Länder Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Niedersachsen und Thüringen hatten in den für die Ausgangsverfahren maßgebenden Jahren 1997 und 1998 die Befugnis zur Gesetzgebung für die zur Prüfung gestellten landesrechtlichen Altenpflegeumlagen. Sie folgt aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG in Verbindung mit Art. 72 Abs. 1 GG. Für nichtsteuerliche Abgaben richtet sich die Gesetzgebungskompetenz nach den allgemeinen Regeln der Art. 70 ff. GG über Sachgesetzgebungskompetenzen. Die bundesrechtliche Ermächtigungsgrundlage zum Erlass von Rechtsverordnungen für die Erhebung von Ausgleichsbeträgen zur Aufbringung der Mittel für die Kosten der Ausbildungsvergütung trat erst am 25. Oktober 2002 in Kraft.

Die Erhebung und Bemessung der Altenpflegeumlagen in den Ländern Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Niedersachsen und Thüringen ist mit den Zulässigkeitsanforderungen vereinbar, die sich für nichtsteuerliche Abgaben und insbesondere für Sonderabgaben aus den Begrenzungs- und Schutzfunktionen der bundesstaatlichen Finanzverfassung des Grundgesetzes ergeben. Zu diesem Maßstab der verfassungsrechtlichen Prüfung führt der Senat näher aus: Drei grundlegende Prinzipien der Finanzverfassung begrenzen die Zulässigkeit der Erhebung nichtsteuerlicher Abgaben. Nichtsteuerliche Abgaben bedürfen einer besonderen sachlichen Rechtfertigung. Bei der Erhebung nichtsteuerlicher Abgaben muss weiter der Belastungsgleichheit der Abgabepflichtigen Rechnung getragen werden. Ferner ist der Grundsatz der Vollständigkeit des Haushaltsplans zu berücksichtigen. Sonderabgaben schaffen zusätzliche Sonderlasten und können die bundesstaatliche Kompetenzverteilung, die Belastungsgleichheit der Abgabepflichten und das parlamentarische Budgetrecht gefährden. Sie unterliegen engen Grenzen und müssen deshalb gegenüber den Steuern seltene Ausnahmen bleiben. Der Gesetzgeber darf sich der Abgabe nur im Rahmen der Verfolgung eines Sachzwecks bedienen, der über die bloße Mittelbeschaffung hinausgeht. Mit einer Sonderabgabe darf nur eine homogene Gruppe belegt werden, die in einer spezifischen Beziehung zu dem mit der Abgabenerhebung verfolgten Zweck steht (so genannte Finanzierungsverantwortlichkeit). Das Abgabenaufkommen muss gruppennützig verwendet werden. Zudem ist der Gesetzgeber gehalten, in angemessenen Zeitabständen zu prüfen, ob die Sonderabgabe wegen veränderter Umstände, vor allem wegen Wegfalls des Finanzierungszwecks, zu ändern oder aufzuheben ist.

Angesichts des Fortschreitens der Sonderabgabengesetzgebung des Bundes und der Länder hat der Senat die besonderen verfassungsrechtlichen Anforderungen an Sonderabgaben fortgebildet. Nach seiner Überzeugung sind die Prüfungs- und Anpassungspflichten des Gesetzgebers durch haushaltsrechtliche Informationspflichten zu ergänzen. Bestand und Entwicklung von Sonderabgaben werden in der Praxis nicht einheitlich und insgesamt nicht hinreichend dokumentiert. Die Information des Parlaments und der Öffentlichkeit durch vollständige Dokumentation der Sonderabgaben ist ein Gebot wirksamer parlamentarisch-demokratischer Legitimation und Kontrolle von Planung und Entscheidung über die finanzielle Inanspruchnahme der Bürger für öffentliche Aufgaben. Angemessener Ort für eine solche Dokumentation über Bestand und Entwicklung aller Sonderabgaben sowie deren Verhältnis zu den Steuern ist eine dem Haushaltsplan beigefügte Anlage entsprechend den einfachgesetzlich vorhandenen Modellen haushaltsrechtlicher Berichtspflichten. Diese haushaltsrechtlichen Informationspflichten müssen jedoch erst nach Ablauf einer angemessenen Übergangsfrist, nämlich zwingend erst bei den nach dem 31. Dezember 2003 aufzustellenden Haushaltsplänen erfüllt werden.

Nach diesen Maßstäben handelt es sich bei den zur Prüfung gestellten Altenpflegeumlagen um Sonderabgaben mit Finanzierungszweck, die die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen einer Sonderabgabe erfüllen. Zentrales Ziel der Altenpflegeumlage ist angesichts der demografischen Entwicklung und des Fachkräftemangels im Bereich der Altenpflege die Steigerung der Attraktivität der Altenpflegeausbildung, damit künftig eine ausreichende Anzahl qualifiziert ausgebildeter Altenpfleger die Pflege alter Menschen gewährleisten kann. Die Ausbildungsträger bekommen die Ausbildungsvergütungen ganz oder teilweise von den Ländern erstattet. Die zur Prüfung gestellten Umlagen refinanzieren diese Erstattungen. Damit soll zugleich die Beteiligung an der Kostenlast innerhalb der abgabepflichtigen Pflegeeinrichtungen und Heime gleichmäßig verteilt werden, denn diese werden unabhängig davon herangezogen, ob sie an der praktischen oder theoretischen Ausbildung zum Altenpfleger beteiligt sind. Nichtausbildende Einrichtungen verlieren hierdurch ihren Kostenvorteil gegenüber ausbildenden Einrichtungen. Die Altenpflegeumlagen entsprechen nicht nur dem Grunde, sondern auch der Höhe nach der besonderen Finanzierungsverantwortung der Gruppe der Abgabepflichtigen. Bei den abgabepflichtigen Unternehmen handelt es sich um homogene Gruppen, die eine besondere Sachnähe zu der zu finanzierenden Aufgabe aufweisen. Die Homogenität der Abgabepflichtigen ergibt sich aus ihrer Rolle als Anbieter der Dienstleistung "Altenpflege", sie sind dadurch von der Allgemeinheit und anderen Gruppen abgrenzbar. Die Abgabepflichtigen befinden sich in einer besonderen Gruppenverantwortung für die Erfüllung der zu finanzierenden Aufgabe. In ihren Kreis dürfen auch die ambulanten Einrichtungen einbezogen werden. Der Umstand, dass die Erfüllung der zu finanzierenden Aufgabe zugleich auch im Interesse der Allgemeinheit wie auch der Gruppe der Pflegebedürftigen liegt, ändert nichts an der besonderen, die Abgabepflicht legitimierenden Finanzierungsverantwortung der in Anspruch genommenen Gruppen. Schließlich wird das Abgabenaufkommen aus den Altenpflegeumlagen im Interesse der Gruppe der Abgabepflichtigen, also gruppennützig verwendet. Es reicht hierfür aus, dass das Aufkommen unmittelbar oder mittelbar im Interesse der Gruppe der Abgabepflichtigen sowie überwiegend im Interesse der Gesamtgruppe verwendet wird. Auch darf ein Teil des Abgabenaufkommens für die Verwaltungskosten der Erhebung der Umlage verwendet werden. In den maßgeblichen Erhebungsjahren 1997 und 1998 ist weiter die verfassungsrechtliche Pflicht der Landesgesetzgeber, in angemessenen Abständen zu überprüfen, ob ihre ursprüngliche Entscheidung für den Einsatz der Altenspflegeumlagen wegen veränderter Umstände zu ändern oder aufzuheben ist, nicht verletzt worden.

Karlsruhe, den 1. August 2003