Bundesverfassungsgericht

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Tage der offenen Tür Verhandlungen des Ersten Senats am 5. November 2003

Pressemitteilung Nr. 85/2003 vom 16. Oktober 2003

Im Rahmen der jährlich stattfindenden "Tage der offenen Tür" (vgl. Pressemitteilung Nr. 84/2003 zu den Verhandlungen des Ersten Senats am 4. November 2003) verhandelt der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts am

Mittwoch, 5. November 2003,

im Sitzungssaal des Bundesverfassungsgerichts,

Schloßbezirk 3, 76131 Karlsruhe

folgende weitere Verfassungsbeschwerde-Verfahren:

1. 9:30 Uhr Festlegung eines vorläufigen Wohnsitzes für Spätaussiedler 1 BvR 1266/00

Die Verfassungsbeschwerde (Vb) betrifft § 3 a des Gesetzes über die Festlegung eines vorläufigen Wohnsitzes für Spätaussiedler (Wohnortzuweisungsgesetz - WoZuG -).

Die Vorschrift ist vor folgendem Hintergrund zu sehen: Vor und nach der Öffnung des Eisernen Vorhangs nahm der Zustrom der deutschstämmigen Aussiedler vor allem aus Ostmitteleuropa und der Sowjetunion und der Übersiedler aus der DDR stark zu. Die Gemeinden klagten über eine ungleiche Belastung, vor allem bei der Unterbringung. Daraufhin erließ der Bund das Wohnortzuweisungsgesetz. Das Gesetz sieht eine Zuweisung der (heute so genannten) Spätaussiedler an die Länder vor, diese können die Betroffenen weiter einer bestimmten Kommune zuweisen. Nach der ursprünglichen Gesetzesfassung war die Zuweisung eines Wohnortes auf zwei Jahre befristet. Zog ein Spätaussiedler zuweisungswidrig in eine andere Gemeinde, so hatte dies keine nennenswerten Rechtsfolgen, insbesondere nicht für seinen Sozialhilfeanspruch. Auch nach 1989 blieben die Zuzugszahlen hoch. Ebenso zogen die Spätaussiedler überproportional in bestimmte Regionen. Besonders betroffen waren bestimmte Orte in Niedersachsen, Nordrhein- Westfalen und Baden-Württemberg. In manchen Gemeinden stellten die Spätaussiedler bis zu 20 v.H. der Bevölkerung. Auf Grund ihrer ungleichen finanziellen Belastung mit Sozialhilfezahlungen forderten die Gemeinden eine wirksame Verteilungsregelung. Die Bundesregierung schlug in einem Gesetzesentwurf einen Erstattungsanspruch des nunmehr betroffenen Sozialhilfeträgers gegen den bisherigen am Zuweisungsort vor. Nach der schließlich Gesetz gewordenen Regelung erhalten Spätaussiedler, die entgegen der Zuweisung umziehen, keine Leistungen nach dem Arbeitsförderungsgesetz mehr und in der Regel von dem Sozialhilfeträger, in dessen Gebiet sie ziehen, nur die nach den Umständen unabweisbar gebotene Hilfe nach dem Bundessozialhilfegesetz. Die zunächst zweijährige Befristung der Zuweisung wurde zwischenzeitlich aufgehoben. Inzwischen gilt die Zuweisung für drei Jahre ab dem Zeitpunkt der Registrierung in einer Erstaufnahmeeinrichtung des Bundes. Nach dem 4. Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Festlegung eines vorläufigen Wohnortes für Spätaussiedler wurde die mit der Vb angegriffene Regelung abgemildert: Zieht ein Spätaussiedler zur Arbeitssuche um und teilt er dies seinem bisherigen Sozialhilfeträger rechtzeitig mit, so kann dieser die Sozialhilfe auch an dem neuen Wohnort gewähren, allerdings nur für dreißig Tage und höchstens drei Monate insgesamt innerhalb der dreijährigen Bindungsfrist.

Die Bf zu 1) und 2), Mutter und Sohn, sind Deutsche. Sie kamen 1996 als Spätaussiedler nach Deutschland und wurden vom Grenzdurchgangslager Friedland der Stadt Elze/Niedersachsen zugewiesen. Der Bf zu 2) ging in Hildesheim zur Schule. Seine Mutter fand in Elze keine Arbeit. Beide beziehen bis heute laufende Hilfe zum Lebensunterhalt. 1998 zogen sie um nach Hildesheim. Ihren Antrag auf Sozialhilfe wies die Stadt Hildesheim zurück, weil sie noch Elze zugewiesen seien. Ihre Rechtsmittel blieben ohne Erfolg. Mit ihrer dagegen gerichteten Vb rügen die Bf Verletzungen des Gleichheitssatzes, des Sozialstaatsprinzips und besonders des Rechts auf Freizügigkeit. Der Eingriff in dieses Recht sei nicht durch Art. 11 Abs. 2 GG gedeckt.

Zu der Verfassungsbeschwerde haben das Bundesinnenministerium für die Bundesregierung und für den Beauftragten der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten, die Länder Schleswig- Holstein und Mecklenburg-Vorpommern sowie das Bundesverwaltungsgericht Stellung genommen.

2. 14:00 Uhr Kampfhunde - 1 BvR 1778/01 -

Die Verfassungsbeschwerde betrifft gesetzgeberische Maßnahmen zur Bewältigung der mit der Haltung so genannter Kampfhunde verbundenen Probleme. Insoweit existieren in den Bundesländern Verordnungen und Gesetze mit unterschiedlichen Inhalten. So wird zwar, soweit ersichtlich, überall die (besondere) Gefährlichkeit oder die Kampfhundeeigenschaft von Hunden auch aus der Zugehörigkeit zu bestimmten Rassen abgeleitet. Es werden aber nicht in allen Ländern die gleichen Hunderassen als (besonders) gefährlich angesehen. Unterschiedlich geregelt ist auch die Frage, ob die Gefährlichkeitsvermutung durch einen so genannten Wesenstest oder Ähnliches widerlegt werden kann. Rechtsfolgen der Einstufung von Hunden als gefährlich oder als Kampfhunde sind in den meisten Bundesländern ein Handels- und Zuchtverbot sowie das Erfordernis einer Erlaubnis für ihre Haltung. Zum Teil besteht auch ein Leinen- und Maulkorb- sowie ein Kennzeichnungszwang.

Die zur Verhandlung anstehende Verfassungsbeschwerde hat nicht - jedenfalls nicht unmittelbar - diese landesrechtlichen Regelungen zum Gegenstand. Sie wendet sich vielmehr gegen das (Bundes-) Gesetz zur Bekämpfung gefährlicher Hunde vom 12. April 2001 in Verbindung mit § 11 der Tierschutz-Hundeverordnung vom 2. Mai 2001. Art. 1 dieses Bundesgesetzes enthält das Hundeverbringungs- und -einfuhrbeschränkungsgesetz. Darin sind unter anderem ein Einfuhr- und Verbringungsverbot für Hunde bestimmter Rassen und deren Kreuzungen sowie für nach Landesrecht als gefährlich bestimmte Hunde, ferner Auskunftspflichten betroffener Personen, behördliche Überwachungsbefugnisse sowie Straf- und Bußgeldtatbestände geregelt. Durch das Bundesgesetz zur Bekämpfung gefährlicher Hunde ist auch das Tierschutzgesetz geändert worden, auf dessen Grundlage die Tierschutz- Hundeverordnung erging. Diese definiert in § 11 den Begriff der Aggressionssteigerung bei Hunden und legt bestimmte Hunderassen fest, bei denen von einer solchen Aggressionssteigerung auszugehen ist. Schließlich wurde durch das Gesetz zur Bekämpfung gefährlicher Hunde ein neuer § 143 in das Strafgesetzbuch eingefügt. Danach werden die Zucht und der Handel mit gefährlichen Hunden entgegen einem landesrechtlichen Verbot mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bedroht. Das gleiche Strafmaß ist für denjenigen vorgesehen, der ohne die erforderliche Genehmigung oder entgegen einer vollziehbaren Untersagung einen gefährlichen Hund hält.

Die 85 Bf des Verfassungsbeschwerde-Verfahrens sind Halter und vielfach auch Züchter von gefährlichen Hunden im Sinne des Hundeverbringungs- und -einfuhrbeschränkungsgesetzes. Teilweise haben sie solche Hunde bisher im Ausland gekauft oder sie beabsichtigen, dies in Zukunft zu tun. Sie rügen die Verletzung ihrer Rechte aus Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1, Art. 13, Art. 14 Abs. 1 und Art. 103 Abs. 2 GG und machen unter anderem geltend, dass die Gefährlichkeit eines Hundes nicht nach seiner Rassezugehörigkeit bestimmt werden kann.

Zu dem Verfahren haben bisher das Bundesministerium des Inneren und die Bayerische Staatskanzlei Stellung genommen.

Interessierte Bürgerinnen und Bürger, die an den Verhandlungen teilnehmen möchten, werden gebeten, sich schriftlich für den Vormittag oder Nachmittag anzumelden (Postfach 17 71, 76006 Karlsruhe, z. Hd.: Herrn Kambeitz; Fax: 0721/9101-461). Bei der Anmeldung sind Name, Vorname, Geburtsdatum und eine Telefon- oder Faxnummer für Rückfragen anzugeben.

Karlsruhe, den .16. Oktober 2003