Bundesverfassungsgericht

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Verfassungsbeschwerde gegen so genanntes Postmonopol erfolglos

Pressemitteilung Nr. 94/2003 vom 12. November 2003

Beschluss vom 07. Oktober 2003
1 BvR 1712/01

Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts hat die Verfassungsbeschwerde (Vb) gegen den befristeten Fortbestand einer der Deutschen Post AG eingeräumten Exklusivlizenz im Bereich der Beförderung von Briefen und adressierten Katalogen zurückgewiesen. Die übergangsweise Einräumung von Ausschließlichkeitsrechten an die Deutsche Post AG in diesem Bereich durch die Regelungen des Postgesetzes ist mit dem Grundgesetz vereinbar.

1. Der dem Verfahren zu Grunde liegende Sachverhalt betrifft Nachfolgeregelungen zu den Postreformen I und II. Diese streben die Liberalisierung des Postwesens an.

Mit der Postreform I wurde im Jahr 1989 das Sondervermögen der Deutschen Bundespost in die drei Bereiche Postdienst, Postbank und Telekom aufgegliedert. Im Rahmen der Postreform II wurde im Jahr 1994 eine neue Verfassungsordnung für das Postwesen geschaffen (u. a. Einfügung von Art. 87 f und Art. 143 b GG). Die im Jahr 2002 abgeänderte Europäische Postdienste-Richtlinie 97/67/EG vom 15. Dezember 1997 hat die Liberalisierung der Postdienste im europäischen Binnenmarkt und die Verbesserung der Dienstequalität zum Ziel. Danach kann jeder Mitgliedstaat Dienste für Anbieter für Universaldienstleistungen reservieren, soweit es für die Aufrechterhaltung des Universaldienstes notwendig ist. Weiter werden ab den Jahren 2003 und 2006 bestimmte Gewichts- und Preisgrenzen festgelegt. § 51 Abs. 1 Satz 1 PostG enthielt eine bis 31. Dezember 2002 befristete gesetzliche Exklusivlizenz für die Deutsche Post AG für die Beförderung von Briefsendungen und adressierten Katalogen bei einem bestimmten Einzelgewicht und Einzelpreis. Diese Befristung wurde im Jahr 2001 durch das Erste Gesetz zur Änderung des Postgesetzes bis zum 31. Dezember 2007 verlängert.

Das Zweite Gesetz zur Änderung des Postgesetzes aus dem Jahr 2002 verpflichtet die Deutsche Post AG für den Zeitraum der gesetzlichen Exklusivlizenz zur Erbringung von Universaldienstleistungen. Darunter versteht das Postgesetz ein Mindestangebot an Postdienstleistungen wie insbesondere die Beförderung von Briefsendungen und adressierten Paketen eines bestimmten Maximalgewichts, die flächendeckend in einer bestimmten Qualität und zu einem erschwinglichen Preis erbracht werden. Das Dritte Änderungsgesetz aus dem Jahr 2002 sieht bis zum 31. Dezember 2005 die gesetzliche Exklusivlizenz für Sendungen bei einem Einzelgewicht bis 100 Gramm bei einem bestimmten Einzelpreis vor und reduziert die Exklusivlizenz für die anschließende Zeit bis 31. Dezember 2007 auf Sendungen eines Einzelgewichts bis 50 Gramm bei einem bestimmten Einzelpreis. Die Regelungen dieser drei Änderungsgesetze sind mit der Vb unmittelbar angegriffen. Die Beschwerdeführer (Bf) sind 6 Postdienstleistungsunternehmen. Sie sind Inhaber von Lizenzen nach dem Postgesetz für die gewerbsmäßige Beförderung von Briefsendungen. Sie rügen insbesondere eine Verletzung ihres Grundrechts aus Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG. Die Zugangsregelung sei nicht durch hinreichende Gemeinwohlbelange gerechtfertigt. Die Exklusivlizenz für die Deutsche Post AG diene nicht dem Schutz von Gemeinschaftsgütern, sondern der fiskalischen Stärkung des Aktienkurses der Deutschen Post AG und dem Konkurrentenschutz.

2. In den Gründen der Entscheidung heißt es: Soweit sich die Vb gegen das Zweite Gesetz zur Änderung des Postgesetzes richtet, ist sie unzulässig. Insoweit ist eine Beeinträchtigung von Grundrechten nicht ausreichend begründet. Die im Übrigen zulässige Vb ist unbegründet. Die angegriffenen Regelungen des Ersten und Dritten Gesetzes zur Änderung des Postgesetzes sind verfassungsgemäß.

a) Maßstab der verfassungsrechtlichen Prüfung ist nicht das Grundrecht der Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG. Die angegriffenen Vorschriften sind allein an Art. 143 b Abs. 2 Satz 1 GG zu messen. Macht der einfache Gesetzgeber von der nur für eine Übergangszeit bestehenden Ermächtigung Gebrauch, schränkt dies die Berufsfreiheit nicht ein. Zu den Grenzen des Art. 143 b Abs. 2 Satz 1 GG führt der Senat aus: Die Verleihung von Ausschließlichkeitsrechten ist von Verfassungs wegen in zeitlicher und sachlicher Hinsicht begrenzt. Derartige Monopolrechte dürfen nur für eine Übergangszeit aufrecht erhalten werden. Bei der Festlegung der Dauer der Übergangszeit verfügt der Gesetzgeber über einen Ausgestaltungsspielraum. Die verfassungsrechtlich abgesicherte Verleihung der Exklusivlizenz an die Deutsche Post AG sollte einen abrupten Systemwechsel vermeiden, um eine Benachteiligung der Deutschen Post AG gegenüber neu hinzutretenden Wettbewerbern auszuschließen. Außerdem wollte sich der verfassungsändernde Gesetzgeber an den gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben für die Liberalisierung der Dienstleistungszweige orientieren. Schließlich soll die Übergangsregelung die Fähigkeit der Nachfolgeunternehmen der Deutschen Bundespost sichern, die besonderen finanziellen und sozialen Verpflichtungen, insbesondere die Pensionslasten, zu tragen.

Die Ermächtigung zur Übertragung von Exklusivlizenzen ist gegenständlich auf die vormals bestehenden gesetzlichen Monopolrechte in den Bereichen Postwesen und Telekommunikation beschränkt. Seit der Liberalisierung des Postmarkts durch die Postreform II steht die Erbringung von Postdienstleistungen der Deutschen Post AG und "anderen privaten Anbietern" als privatwirtschaftliche Tätigkeit zu. Deren Leistungserbringung steht dabei unter dem Vorbehalt des grundgesetzlichen Gewährleistungsauftrags, flächendeckend angemessene und ausreichende Dienstleistungen zu erbringen. Das Grundgesetz sieht für den Postbereich einerseits einen staatlichen Gewährleistungsauftrag vor, der zugleich eine Befugnis zur Regulierung enthält und die staatliche Verantwortung begründet, marktwirtschaftlich bedingte Nachteile für eine Grundversorgung der Bevölkerung mit Postdienstleistungen zu verhindern. Andererseits ermöglicht das Grundgesetz die privatwirtschaftliche Betätigung privatrechtlicher Anbieter und zielt damit auf den Rückzug des Staates aus dem Bereich der Postdienstleistungen. Den Infrastrukturgewährleistungsauftrag konkretisiert das Grundgesetz für eine Übergangszeit allerdings dahin, dass in ihr sogar Ausschließlichkeitsrechte bestehen dürfen. Eine Regelung auf Grund der grundgesetzlichen Ermächtigung zur Übertragung von Exklusivlizenzen muss geeignet sein, die vom verfassungsändernden Gesetzgeber verfolgten Ziele zu erreichen. Der Gesetzgeber darf berücksichtigen, ob in der Übergangszeit zu befürchten ist, dass die Konkurrenten sich nur den lukrativen Marktsegmenten zuwenden und der zum Universaldienst verpflichteten Deutschen Post AG kostenintensive, für sich allein nicht gewinnbringende Geschäftsbereiche überlassen. Bei der Austarierung der Möglichkeit privatwirtschaftlicher Leistungserbringung und hoheitlicher Regulierung darf der Gesetzgeber sich am Fortgang der Liberalisierung innerhalb der europäischen Union ausrichten.

b) Die angegriffenen Vorschriften sind mit diesen verfassungsrechtlichen Vorgaben vereinbar. Sie befristen die ausschließlichen Rechte der Deutschen Post AG auf insgesamt 13 Jahre. Damit wirken sie nicht wie eine Dauerregelung. Der Bund kommt dem Infrastruktursicherungsauftrag auch bei Fortdauer der Exklusivlizenz nach. Ihre befristete Fortdauer dient einem stufenweisen Übergang vom Monopol zum Wettbewerb im Postsektor und stellt sicher, dass die nationale Liberalisierung im Einklang mit der europäischen Entwicklung fortgeführt wird. Die in der Europäischen Union praktizierte Übergangszeit schafft einen Indikator dafür, was auch in Deutschland als Übergangszeit anerkannt werden kann. Besondere Umstände, die eine andere Einschätzung für Deutschland nahe legen, sind nicht ersichtlich. In Europa ist die Liberalisierung im Postsektor überwiegend noch nicht verwirklicht. Angesichts dessen durfte der Gesetzgeber dem Gesichtspunkt der ausreichenden Finanzierungsgrundlage des Universaldienstes Bedeutung zumessen und ihm durch Verlängerung der Exklusivrechte Rechnung tragen. Die Lage hat sich auch seither nicht maßgebend verändert. Der Gesetzgeber durfte davon ausgehen, dass eine einseitige Öffnung des deutschen Marktes die Deutsche Post AG im Inland einem ungleich strukturierten Wettbewerb mit ausländischen Unternehmen aussetzen würde und dass dies die Sicherstellung des Universaldienstes durch die Deutsche Post AG nachhaltig gefährden könnte. Dem Ziel der Liberalisierung ist der Gesetzgeber mit dem Dritten Änderungsgesetz näher gekommen, indem er die von der Exklusivlizenz erfassten Leistungen hinsichtlich der Grenzen für das Gewicht und den Preis für Briefe reduziert hat.

Karlsruhe, den 12. November 2003