Bundesverfassungsgericht

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Auslieferung in die Vereinigten Staaten von Amerika

Pressemitteilung Nr. 97/2003 vom 13. November 2003

Beschluss vom 05. November 2003
2 BvR 1506/03

Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts hat die Verfassungsbeschwerde (Vb) eines jemenitischen Staatsangehörigen, der sich gegen seine Auslieferung in die Vereinigten Staaten von Amerika zum Zwecke der Strafverfolgung wehrt, zurückgewiesen. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat sich damit erledigt. Die Entscheidung ist einstimmig ergangen.

1. Zum Sachverhalt:

Der Beschwerdeführer (Bf), der nach eigenen Angaben Berater eines jemenitischen Ministers im Range eines Staatssekretärs und Imam einer Moschee im Jemen ist, wurde im Januar 2003 zusammen mit seinem Sekretär (siehe dazu den Parallelbeschluss des Zweiten Senats vom 5. November 2003 - 2 BvR 1243/03 -) in Frankfurt am Main aufgrund des Haftbefehls eines amerikanischen Bundesgerichts festgenommen. Ihm wird vorgeworfen, ab Oktober 1997 bis zu seiner Verhaftung terroristische Vereinigungen, insbesondere Al Qaida und Hamas mit Geld, Waffen, Kommunikationsmitteln versorgt und ihnen neue Mitglieder zugeführt zu haben. Ein als V-Mann für die amerikanischen Ermittlungs- und Strafverfolgungsbehörden tätiger jemenitischer Staatsangehöriger hat den Bf durch Gespräche im Jemen maßgeblich dazu veranlasst, nach Deutschland zu reisen. Dem Bf war in Aussicht gestellt worden, im Ausland mit einer geldspendenwilligen Person zusammengebracht zu werden. Nach Angaben seines Sekretärs beruhte die Entscheidung zur Reise nach Deutschland auf einem freien Willensentschluss des Bf.

Die Vereinigten Staaten von Amerika ersuchten um Auslieferung des Bf zur Strafverfolgung. Die Republik Jemen forderte seine Zurückführung in den Jemen. Der Bf sei völkerrechtswidrig aus dem Jemen nach Deutschland entführt worden. Die Vereinigten Staaten sicherten zu, dass der Bf nicht vor einem Militärgericht entsprechend dem Erlass des amerikanischen Präsidenten vom 13. November 2001 oder einem anderen Ausnahmegericht strafrechtlich verfolgt werde.

Das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main erklärte in mehreren Beschlüssen die Auslieferung des Bf für zulässig. Hiergegen richtet sich seine Vb. Er rügt eine Verletzung von Art. 101 Abs. 2 i.V.m. Art. 100 Abs. 2, Art. 2 Abs. 2 i.V.m. Art. 25, Art. 2 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 und Art. 19 Abs. 4, Art. 103 Abs. 1 und 2 GG sowie seines Rechts auf ein faires Verfahren. Das OLG hätte dem Bundesverfassungsgericht unter anderem die Frage zur Prüfung vorlegen müssen, ob eine allgemeine Regel des Völkerrechts Bestandteil des Bundesrechts sei, wonach niemand ausgeliefert werden dürfe, der aus seinem Heimatstaat zwecks Umgehung des dortigen Auslieferungsverbots in den ersuchten Staat entführt worden sei. Außerdem könnte er bei einer Auslieferung in die Vereinigten Staaten rechtsstaatswidrigen Verhörmethoden ausgesetzt sein.

2. Der Senat hat im Wesentlichen ausgeführt:

Die Rüge des Bf, seinem gesetzlichen Richter entzogen worden zu sein, führt nicht zur Aufhebung der angegriffenen Entscheidungen. Zwar hat nur das Bundesverfassungsgericht die Befugnis, objektiv vorhandene Zweifel hinsichtlich Existenz und Inhalt einer allgemeinen Regel des Völkerrechts aufzuklären. Zweifelhaft sind hier die völkerrechtliche Bewertung der Umstände, unter denen der Bf nach Deutschland gelangt ist, sowie deren mögliche Rechtsfolgen für das Auslieferungsverfahren. Das OLG durfte die Zweifel an den nach Völkergewohnheitsrecht gegebenen Folgen eines "völkerrechtswidrigen Herauslockens" nicht selbst ausräumen. Diese Zweifel sind auch entscheidungserheblich. Wäre das Tätigwerden des jemenitischen V-Mannes im Auftrag der amerikanischen Ermittlungsbehörden als völkerrechtswidrig einzuordnen, könnte sich hieraus möglicherweise ein Auslieferungshindernis auf deutscher Seite ergeben. Es bestünde die Gefahr, dass Deutschland durch die Auslieferung des Bf den möglicherweise völkerrechtswidrigen Akt der Vereinigten Staaten unterstützt und dadurch selbst gegenüber dem Jemen völkerrechtlich verantwortlich würde. Die Nichtvorlage durch das OLG war demnach pflichtwidrig. Das BVerfG wäre jedoch bei einer Vorlage durch das OLG zu dem Ergebnis gelangt, dass sich jedenfalls für einen Sachverhalt wie den vorliegenden keine einheitliche Übung herausgebildet hat, die die Auslieferung als Verstoß gegen Völkerrecht ansieht. Daher beruhen die angegriffenen Entscheidungen nicht auf einer Verletzung der Vorlagepflicht, und die Vb hat keinen Erfolg.

Die einschlägige Staatenpraxis zeigt, dass die vom Bf behauptete allgemeine Regel des Völkerrechts nicht besteht. Die Rechtsprechung der Gerichte dazu ist uneinheitlich. Soweit es um die Bekämpfung schwerster Straftaten - etwa die Förderung internationalen Drogenhandels oder des Terrorismus - geht, wird das listige Herauslocken aus der Gebietshoheit eines Staates (hier: Republik Jemen) jedenfalls nicht in dem für den Nachweis einer Staatenpraxis erforderlichen Umfang als Strafverfolgungshindernis gesehen. Für das Bestehen eines Auslieferungshindernisses kann nichts anderes gelten. Im konkreten Fall ist der Bf aufgrund einer autonomen Entscheidung und geleitet von eigenen Interessen in das Bundesgebiet eingereist. Er ist zwar mit einer List getäuscht worden. Er war aber weder direkt willensbeugender Gewalt oder der Drohung mit Gewalt ausgesetzt, noch ermöglichte die List eine spätere gewaltsame Entführung. Die Täuschungshandlungen sind nicht von deutschen Behörden ausgegangen, und sie sind ihnen auch nicht zuzurechnen. Schließlich gibt es auch keine Anhaltspunkte für die Annahme, dass die deutschen Behörden mit den amerikanischen Strafverfolgungs- und Ermittlungsbehörden unerlaubt zusammengearbeitet hätten, um den Bf gerade zu einer Reise nach Deutschland zu bewegen.

Auch sonstige Rechte des Bf werden durch die angegriffenen Entscheidungen nicht verletzt. Insbesondere wird nicht gegen das Recht des Bf auf ein faires rechtsstaatliches Verfahren verstoßen. Das OLG hat insoweit im Einsatz eines verdeckten Ermittlers im Ermittlungsverfahren gegen den Bf keinen Verstoß gesehen. Seine Begründung ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Der Bf ist auch nicht in seinen Rechten aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG und Art. 19 Abs. 4 GG verletzt, soweit das OLG den Sachverhalt in Bezug auf angeblich rechtsstaatswidrige Verhörmethoden in den Vereinigten Staaten nicht weiter aufgeklärt hat. Im Auslieferungsverkehr zwischen Deutschland und anderen Staaten ist zum einen dem ersuchenden Staat im Hinblick auf die Einhaltung der Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit und des Menschenrechtsschutzes grundsätzlich Vertrauen entgegen zu bringen, insbesondere wenn dieser - wie hier - auf einer völkervertraglichen Grundlage stattfindet. Zum anderen haben die Vereinigten Staaten die mögliche Anwendung des Präsidentenerlasses vom 13. November 2001 durch ihre Zusicherung ausgeschlossen. Damit sind die Vereinigten Staaten die völkerrechtlich bindende Verpflichtung eingegangen, den Bf nach seiner Auslieferung weder vor ein Militärtribunal zu stellen noch das in dem Präsidentenerlass vorgesehene Verfahrensrecht anzuwenden und ihn auch nicht in ein Internierungslager zu verbringen. Vielmehr ist davon auszugehen, dass der Bf vor ein ordentliches Strafgericht gestellt wird.

Karlsruhe, den 13. November 2003