Bundesverfassungsgericht

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Zur Zulässigkeit eines unter Verstoß gegen das Rechtsberatungsgesetz zustandegekommenen Rechtsmittels

Pressemitteilung Nr. 5/2004 vom 28. Januar 2004

Beschluss vom 23. Dezember 2003
2 BvR 917/03

Ein Strafgefangener (Beschwerdeführer; Bf), der sich gegen die Zurückweisung seiner unter Verstoß gegen das Rechtsberatungsgesetz zustandegekommenen Rechtsbeschwerde als unzulässig wehrte, hatte mit seiner Verfassungsbeschwerde (Vb) Erfolg. Die 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat den angegriffenen Beschluss des Oberlandesgerichts (OLG) Nürnberg aufgehoben, weil er den Bf in seinem Grundrecht aus Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes verletzt. Die Sache wird an das OLG zur erneuten Entscheidung zurückverwiesen.

Zum Sachverhalt:

Der Bf war im Haftraum eines Mitgefangenen angetroffen worden, bei dem Haschisch gefunden wurde. Um den Verdacht unerlaubten Drogenkonsums abzuklären, wurde er zur Abgabe einer Urinprobe aufgefordert. Er weigerte sich. Deshalb wurde unter anderem gegen ihn als Disziplinarmaßnahme ein fünftägiger Arrest festgesetzt und vollzogen. Er begehrte die nachträgliche Feststellung der Rechtswidrigkeit der Disziplinarmaßnahme. Das OLG wies seine Rechtsbeschwerde als unzulässig zurück. Bei der Anfertigung der Beschwerdeschrift sei mit Wissen des Bf ein Mithäftling unerlaubt rechtsberatend tätig geworden. Mit seiner hiergegen gerichteten Vb macht der Bf vor allem eine willkürliche Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes geltend.

In den Gründen der Entscheidung heißt es:

Art. 19 Abs. 4 GG gewährleistet einen möglichst lückenlosen gerichtlichen Schutz gegen die Verletzung der Rechtsphäre des Einzelnen durch Eingriffe der öffentlichen Gewalt. Eine gerichtliche Sachentscheidung darf nicht ohne nachvollziehbaren Grund versagt werden. Die Gerichte haben bei der Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts vor allem auch darauf zu achten, dass der Zugang zu den Gerichten allen Bürgern auf möglichst gleichmäßige Weise eröffnet wird.

Nach diesem Maßstab ist die Entscheidung des OLG verfassungswidrig. Verstöße gegen die Verbote und Gebote des Rechtsberatungsgesetzes werden als Ordnungswidrigkeit geahndet. Eine Beschneidung der Rechtsschutzmöglichkeiten des rechtssuchenden Bürgers ist nicht vorgesehen. Ordnungswidrig handelt zudem nicht derjenige, der die unerlaubte Rechtsbesorgung lediglich in Anspruch nimmt und sich in seinen Rechtsangelegenheiten helfen lässt, selbst wenn dies in Kenntnis des an den Anderen gerichteten Verbots geschieht. Das Rechtsberatungsgesetz schützt den Rechtssuchenden. Mit dieser Schutzrichtung ist es nicht vereinbar, wenn das OLG an Verstöße gegen das Rechtsberatungsgesetz prozessrechtliche Folgerungen zu Lasten desjenigen knüpft, der die untersagte Rechtshilfeleistung in Anspruch genommen hat. Auch die Annahme, dass die rechtsberatende Tätigkeit des Mitinhaftierten geeignet sei, Abhängigkeiten und Autoritätsstrukturen entstehen zu lassen, die in ihren Auswirkungen den Vollzugszweck und die Sicherheit und Ordnungen der Justizvollzugsanstalt gefährden könnten, führt zu keiner anderen Beurteilung. Verbotener Rechtsberatung und deren Auswirkungen auf den Strafvollzug kann mit den Instrumenten des Strafvollzugsgesetzes - ggf. auch mit disziplinarischen Maßnahmen - entgegengetreten werden. Die weitere Erwägung des OLG, dass es andernfalls zur Beihilfe zu einer gesetzwidrigen Handlung genötigt würde, ist nicht tragfähig. Zum einen kennt das Ordnungswidrigkeitenrecht nur die täterschaftliche Begehung einer Ordnungswidrigkeit. Zum anderen werden die Pflichten des Gerichts im Zusammenhang mit der Gewährung von Rechtsschutz in erster Linie durch das Prozessrecht bestimmt. Muss das Gericht aufgrund des Prozessrechts einen Antrag rechtlich prüfen, so erfüllt es seine Rechtspflicht zur Gewährung von Rechtsschutz und beteiligt sich nicht an einem Rechtsverstoß. Die Rechtfertigung für die Behandlung eines bei Gericht gestellten Antrags als unzulässig kann nur dem Prozessrecht entnommen werden. Dieses kennt keinen Grundsatz, wonach nur rechtmäßig zustandegekommene Anträge zulässig sind. Ein solcher Grundsatz folgt auch nicht aus dem Verbot des Missbrauchs prozessualer Rechte. Mag die Rechtsbeschwerde des Bf auch unter Verstoß gegen das Rechtsberatungsgesetz zustandegekommen sein, so verfolgt sie dennoch ein sachliches, dem Zweck des Verfahrens entsprechendes Anliegen und nicht wie im Falle eines Missbrauchs gezielt verfahrensfremde oder verfahrenswidrige Zwecke.

Karlsruhe, den 28. Januar 2004