Bundesverfassungsgericht

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Die Überwachung des Postverkehrs und der Telekommunikation nach §§ 39 bis 41 des Außenwirtschaftsgesetzes ist mit Art. 10 GG unvereinbar

Pressemitteilung Nr. 28/2004 vom 12. März 2004

Beschluss vom 03. März 2004
1 BvF 3/92

Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts hat entschieden, dass §§ 39, 40 und 41 des Außenwirtschaftsgesetzes (AWG) mit Art. 10 des Grundgesetzes unvereinbar sind.

Die gegenwärtige Rechtslage ist bis zum 31. Dezember 2004 noch hinnehmbar. Bis dahin hat der Gesetzgeber selbst die Geltungsdauer der angegriffenen Vorschriften befristet. Bei einer Neuregelung sind die Mängel, insbesondere der Bestimmtheit der Regelung, zu beseitigen. Auch muss sie den Grundsätzen entsprechen, die der Senat in seinen Urteilen vom 14. Juli 1999 (zum Gesetz zu Art. 10 GG) und vom 3. März 2004 (zum so genannten Großen Lauschangriff) aufgestellt hat.

Zu sichern ist insbesondere ein hinreichender Rechtsschutz für sämtliche Betroffenen gegenüber der Datenerhebung und Weiterverwertung, aber auch bei der Vernichtung nicht mehr benötigter oder rechtswidrig erhobener Daten, ferner die Kennzeichnung der erhobenen Daten bei der Verwendung zu weiteren Zwecken.

1. Zum Sachverhalt:

In dem Normenkontrollverfahren geht es um die Befugnisse des Zollkriminalamtes, Sendungen, die dem Brief-, Post- oder Fernmeldegeheimnis unterliegen, zur Verhütung von Straftaten nach dem AWG oder dem Kriegswaffenkontrollgesetz zu öffnen und einzusehen sowie die Telekommunikation zu überwachen und aufzuzeichnen. Ermöglicht werden entsprechende Anordnungen, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass die von der Anordnung betroffenen Personen bestimmte Straftaten von erheblicher Bedeutung planen. Auch Dritte können davon betroffen sein. Außerdem geht es um die Befugnis öffentlicher Stellen, die dabei erlangten personenbezogenen Daten zu verarbeiten. Im Jahr 1992 wurden dem damaligen Zollkriminalinstitut Befugnisse zur Überwachung der dem Brief-, Post- oder Fernmeldegeheimnis unterliegenden Sendungen sowie des Fernmeldeverkehrs eingeräumt. Wenig später erhielt das Zollkriminalinstitut den Rang einer Bundesoberbehörde und wurde gleichzeitig in "Zollkriminalamt" umbenannt. Auf Grund einer Neuregelung aus dem Jahr 2002 hat das Zollkriminalamt mittlerweile die Rechtsstellung einer Mittelbehörde.

Die maßgeblichen Vorschriften, §§ 39, 40 und 41 AWG (siehe Anlage), wurden mehrfach geändert. Sie waren stets befristet. Ihre Geltungsdauer wurde aber mehrfach verlängert. Nach der gegenwärtigen Regelung treten sie am 31. Dezember 2004 außer Kraft. Die Landesregierung von Rheinland Pfalz hat beantragt, die Verfassungswidrigkeit von § 39 Abs. 1 Satz 1, § 39 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 2 AWG und von § 41 Abs. 2 AWG festzustellen. Das Grundrecht aus Art. 10 Abs. 1 GG werde verletzt. Auch habe § 39 Abs. 1 AWG bis zur Neuregelung im Jahr 2002 gegen Art. 83, 87 GG verstoßen.

2. In den Gründen der Entscheidung heißt es:

Der Normenkontrollantrag ist zulässig und im Wesentlichen begründet.

a) Allerdings durfte der Bund gemäß Art. 87 Abs. 3 Satz 1 GG die in § 39 AWG vorgesehene Aufgabe auf eine selbstständige Bundesoberbehörde übertragen. Er kann zwischen der Einrichtung einer Zentralstelle nach Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG und der Einrichtung einer selbstständigen Bundesoberbehörde nach Art. 87 Abs. 3 Satz 1 GG wählen, soweit die Voraussetzungen beider Ermächtigungsnormen erfüllt sind.

b) § 39 Absätze 1 und 2 AWG ist mit Art. 10 GG nicht vereinbar. Zum Prüfungsmaßstab führt der Senat aus:

Das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis gewährleistet die freie Entfaltung der Persönlichkeit durch einen privaten, vor der Öffentlichkeit verborgenen Austausch von Kommunikation und schützt damit zugleich die Würde des Menschen. Wird vom Inhalt von Briefen Kenntnis genommen und werden Telefongespräche abgehört, wird intensiv in das Grundrecht eingegriffen.

Ermächtigungen zu Eingriffen in das Grundrecht aus Art. 10 Abs. 1 GG bedürfen einer gesetzlichen Grundlage. Der Anlass, der Zweck und die Grenzen des Eingriffs müssen in der Ermächtigung bereichsspezifisch, präzise und normenklar festgelegt werden. Die Ermächtigung muss erkennen lassen, bei welchen Anlässen und unter welchen Voraussetzungen ein Verhalten zu einer Überwachung führen kann. Mit den rechtsstaatlichen Anforderungen an die Bestimmtheit und Klarheit der Norm soll die Verwaltung gebunden und ihr Verhalten nach Inhalt, Zweck und Ausmaß begrenzt werden. Die Einhaltung dieser Bindungen ist für den Betroffenen besonders wichtig, weil er von einer Überwachung keine Kenntnis hat und sich deshalb nicht selbst wehren kann. Mängel hinreichender Normenbestimmtheit und -klarheit beeinträchtigen auch die Möglichkeit zur Beachtung des verfassungsrechtlichen Übermaßverbots.

Im Bereich der Straftatenverhütung unterliegen Ermächtigungen zum Eingriff in das Grundrecht aus Art. 10 Abs. 1 GG keinen geringeren rechtsstaatlichen Anforderungen an die Normenbestimmtheit und Normenklarheit als Ermächtigungen zu Maßnahmen der Gefahrenabwehr und der Strafverfolgung. Die Ermächtigung des § 39 Abs. 1 und 2 AWG zur Überwachung des Postverkehrs und der Telekommunikation im Bereich der Straftatenverhütung genügt diesem Maßstab nicht.

Das Abhören eines Telefongesprächs erfolgt im Vorfeld einer strafbaren Handlung. Deshalb fehlt es an einem abgeschlossenen oder in Verwirklichung begriffenen strafbaren Handeln. Dies führt zu dem erheblichen Risiko, dass die Überwachungsmaßnahme an ein Verhalten anknüpft, das sich im Nachhinein als strafrechtlich irrelevant erweist. Die angegriffene Ermächtigungsnorm wirkt diesem Risiko nicht in der rechtstaatlich gebotenen Weise entgegen. Das Zusammenwirken der verschiedenen Tatbestandsmerkmale sowie eine große Zahl von Verweisungen auf andere Normen ergeben im Gesamtgefüge der vom Gesetzgeber gewählten Regelungstechnik Mängel an hinreichender Normenbestimmtheit und Normenklarheit, die durch die Beschränkung auf Straftaten von erheblicher Bedeutung nicht beseitigt werden.

Im Einzelnen führt der Senat dazu weiter aus:

Das Zollkriminalamt soll schwerpunktmäßig künftige Entwicklungen prognostizieren, die sich in wesentlichen Teilen noch in der Vorstellungswelt des potenziellen Straftäters abspielen. Bei der Vorverlagerung des Eingriffs in das Planungsstadium sind die in Bezug genommenen Straftatbestände nur wenig geeignet, den maßgeblichen Sachverhalt einzugrenzen, der Indizien für eine geplante Straftat enthalten soll. Der Eingriff kann in tatsächlicher wie rechtlicher Hinsicht in den Grenzbereich eines Verhaltens verlagert sein, das sich möglicherweise zu einer Rechtsgutverletzung weiterentwickelt, eventuell aber auch nicht.

Je weniger die Bezugnahme auf Tatbestandsmerkmale einer schon verwirklichten oder in Verwirklichung begriffenen Straftat eingrenzend wirkt, umso wichtiger sind sonstige Einengungen der Ermächtigung, die das Risiko einer Fehlprognose grundrechtlich hinnehmbar sein lassen. Diese aber fehlen weitgehend.

Die im Außenwirtschaftsgesetz gewählte Regelungstechnik mit ihren Verweisungen und Weiterverweisungen auf Strafrechtsnormen weist eine große Streubreite und Verschachtelung der in Bezug genommenen Tatbestände auf. Die Behörde und das Gericht können auf eine Vielzahl unterschiedlicher Tatbestandselemente zugreifen, die zum Teil in unterschiedlichen Zusammenhängen einsetzbar sind. Darunter leidet die Normenklarheit. Die Verweisungstechnik des § 39 Abs. 2 AWG - die vom Senat im Einzelnen dargestellt wird - erschwert das Erkennen der maßgeblichen Straftatbestände und die Zuordnung einer Tatsachenbeobachtung zu einem bestimmten Tatbestandsmerkmal. Soweit auf Anlagen, etwa Genehmigungen, und auf Verordnungen der Europäischen Gemeinschaften sowie auf UN-Resolutionen verwiesen wird, kann deren maßgebender Inhalt häufig nur mit Schwierigkeiten erfasst werden. Der Senat führt dafür jeweils Beispiele an. Der Gesetzgeber erreicht die Festlegung des Normeninhalts nur mit Hilfe zum Teil langer, über mehrere Ebenen gestaffelter, unterschiedlich variabler Verweisungsketten, die bei gleichzeitiger Verzweigung in die Breite den Charakter von Kaskaden annehmen. Der Prüfvorgang wird dadurch für die Verwaltung, aber auch die eingeschalteten Gerichte fehleranfällig. Auch der Bürger kann schwer erkennen, worauf mögliche Eingriffsmaßnahmen gestützt werden können.

c) § 41 Abs. 2 AWG (Verarbeitung und Weitergabe der erlangten personenbezogenen Daten für weitere Zwecke) ist ebenfalls mit Art. 10 Abs. 1 GG nicht vereinbar. Durch die Weitergabe der Daten und deren Auswertung in anderen Zusammenhängen erhöht sich die Intensität des Eingriffs in das Grundrecht aus Art. 10 Abs. 1 GG in erheblichem Maße. Auch hier gelten die Erfordernisse einer normenklaren, bereichsspezifischen Regelung des Eingriffszwecks sowie der Vorkehrungen zur Wahrung des Übermaßverbots und verfahrensmäßiger Sicherungen. Die gesetzliche Regelung verletzt das Bestimmtheitsverbot in mehrfacher Hinsicht. Es fehlt an einer ausdrücklichen oder jedenfalls einer hinreichend sicher erschließbaren Kennzeichnung der Empfangsbehörden. Zudem ist nicht gesichert, dass die Datenübermittlung auf deren jeweiligen spezifischen Aufgabenbereich konzentriert wird. Die Verweisung von § 41 Abs. 2 AWG auf die in § 39 Abs. 1 AWG und § 3 Abs. 1 sowie § 7 Abs. 1 bis 4 G 10 genannten Straftaten genügt ebenfalls nicht den Anforderungen des Bestimmtheitsgebots. Die Unbestimmtheit der Regelungen wird ferner durch redaktionelle Ungenauigkeiten, die in den Gründen der Entscheidung im Einzelnen aufgezeigt werden, verstärkt. Weiter stellt § 41 Abs. 2 AWG nicht sicher, dass der Übermittlungszweck mit dem ursprünglichen Eingriffszweck vereinbar bleibt.

§ 41 Abs. 2 AWG lässt sich auch nicht in vollem Umfang mit dem Übermaßverbot vereinbaren. Die diesbezüglichen Vorgaben des G 10-Urteils sind vom Gesetzgeber trotz mehrfacher Verlängerung der Geltungsdauer im Außenwirtschaftsgesetz noch nicht umgesetzt worden. Die Mängel betreffen die Eignung und Erforderlichkeit der dem Zollkriminalamt ermöglichten Datenübermittlung sowie die Angemessenheit und Zumutbarkeit der Regelung. Die maßgeblichen Straftaten sind nicht hinreichend eingeengt und es ist nicht erkennbar, ob die dem Zollkriminalamt ermöglichte Übermittlung von Daten zu dem vorgesehenen Zweck geeignet und erforderlich ist. Ferner fehlt eine Verpflichtung zur Kennzeichnung der an eine andere öffentliche Stelle übermittelten Daten sowie zur Protokollierung des Übermittlungsvorgangs.

d) Auch die weiteren, nicht ausdrücklich vom Normenkontrollantrag erfassten Regelungen in den §§ 39-41 AWG sind mit dem Grundgesetz unvereinbar.

Karlsruhe, den 12. März 2004

Anlage zur Pressemitteilung Nr. 28/2004 vom 12. März 2004:

§ 39 Außenwirtschaftsgesetz

Beschränkungen des Brief- und Post- und Fernmeldegeheimnisses

(1) Zur Verhütung von Straftaten nach dem Außenwirtschaftsgesetz oder dem Kriegswaffenkontrollgesetz ist das Zollkriminalamt berechtigt, dem Brief-, Post- oder Fernmeldegeheimnis unterliegende Sendungen zu öffnen und einzusehen sowie die Telekommunikation einschließlich der dazu nach Wirksamwerden der Anordnung (§ 40) innerhalb des Telekommunikationsnetzes in Datenspeichern abgelegten Inhalte zu überwachen und aufzuzeichnen. Das Grundrecht des Brief-, Post und Fernmeldegeheimnisses (Artikel 10 des Grundgesetzes) wird insoweit eingeschränkt.

(2) bis (5) ...

§ 40 Außenwirtschaftsgesetz

Richterliche Anordnung

(1) bis (3)

(4) Die Anordnung ergeht schriftlich. Sie muss Namen und Anschrift des Betroffenen enthalten, gegen den sie sich richtet. In ihr sind Art, Umfang und Dauer der Maßnahme zu bestimmen, bei einer Überwachung der Telekommunikation auch die Rufnummer oder eine andere Kennung des Telekommunikationsanschlusses. Die Anordnung ist auf höchstens drei Monate zu befristen. Eine Verlängerung um jeweils nicht mehr als drei Monate ist zulässig, soweit die in § 39 bezeichneten Voraussetzungen fortbestehen.

§ 41 Außenwirtschaftsgesetz

Durchführungsvorschriften

(1) Die aus der Anordnung sich ergebenden Maßnahmen nach § 39 Abs. 1 sind unter Verantwortung des Zollkriminalamtes und unter Aufsicht eines Bediensteten vorzunehmen, der die Befähigung zum Richteramt hat. § 11 Abs. 2 und 3 des Artikel 10-Gesetzes ist entsprechend anzuwenden.

(2) Die durch die Maßnahmen erlangten personenbezogenen Daten dürfen von öffentlichen Stellen nur zur Verhütung oder Aufklärung der in § 39 Abs. 1 dieses Gesetzes und § 3 Abs. 1 und § 7 Abs. 1 bis 4 des Artikel 10- Gesetzes genannten Straftaten verarbeitet und genutzt werden, soweit sich bei Gelegenheit der Auswertung Tatsachen ergeben, die die Annahme rechtfertigen, dass eine solche Straftat begangen werden soll, begangen wird oder begangen worden ist.

(3) und (4) ...

(5) Das Bundesministerium der Finanzen unterrichtet in Abständen von höchstens sechs Monaten ein Gremium, das aus neun vom Bundestag bestimmten Abgeordneten besteht, über die Durchführung der §§ 39 bis 43 dieses Gesetzes.