Bundesverfassungsgericht

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Ebenbürtigkeitsklausel und Eheschließungsfreiheit

Pressemitteilung Nr. 37/2004 vom 2. April 2004

Beschluss vom 22. März 2004
1 BvR 2248/01

Ein Urenkel des letzten deutschen Kaisers Wilhelm II. (Beschwerdeführer; Bf) hatte in einer erbrechtlichen Auseinandersetzung um den Nachlass des ehemaligen Kronprinzen Wilhelm von Preußen (Erblasser) mit seiner Verfassungsbeschwerde (Vb) vor dem Bundesverfassungsgericht Erfolg. Die 3. Kammer des Ersten Senats hob Beschlüsse des Bundesgerichtshofs (BGH), des Landgerichts (LG) Hechingen und des Oberlandesgerichts (OLG) Stuttgart auf, weil sie den Bf in seinem Grundrecht auf Eheschließungsfreiheit aus Artikel 6 Absatz 1 des Grundgesetzes verletzen. Die Sache wird an das LG zurückverwiesen.

Zum Sachverhalt:

In dem der Vb zu Grunde liegenden Ausgangsverfahren geht es um die Erteilung eines Erbscheins, der die Erbfolge nach dem im Jahre 1951 verstorbenen ehemaligen Kronprinzen Wilhelm von Preußen (Erblasser), dem ältesten Sohn des 1941 verstorbenen Kaisers Wilhelm II., betrifft. Der Erblasser hatte 1938 mit seinem zweitältesten Sohn, dem zwischenzeitlich ebenfalls verstorbenen Prinz L.F., einen Erbvertrag geschlossen. Dieser sah unter anderem vor, dass in der weiteren Generationenfolge der jeweils älteste Sohn der Erbe sein sollte. Jedoch sollte derjenige nicht erben, der nicht in einer der alten Brandenburg-Preußischen Hausverfassung entsprechenden Ehe lebt (Ebenbürtigkeitsklausel).

Der Bf wäre nach dem Erbvertrag als ältester Sohn von L.F.an sich zum Erben berufen. Er beantragte nach dessen Tod die Erteilung eines entsprechenden Erbscheins. Er hält die Ebenbürtigkeitsklausel für sittenwidrig. Ein Enkel von L.F. hält demgegenüber sich für den Alleinerben. In den nachfolgenden gerichtlichen Auseinandersetzungen hielt der BGH die Ebenbürtigkeitsklausel nicht für sittenwidrig und sah sie vielmehr als wirksam an. Nach Zurückverweisung der Sache ging das LG aufgrund eines rechtshistorischen Gutachtens davon aus, dass der Bf nicht in einer ebenbürtigen Ehe lebe. Er sei daher von der Erbfolge ausgeschlossen. Auch vor dem OLG blieb der Bf ohne Erfolg.

Gegen diese Entscheidungen wendet sich der Bf mit seiner Vb. Die Ebenbürtigkeitsklausel schränke seine Eheschließungsfreiheit auf einige wenige standesherrliche Frauen protestantischen Glaubens ein, die ihrerseits aus hausverfassungsgemäßen Ehen hervorgegangen sein müssten. Dies sei mit seinem Grundrecht auf Eheschließungsfreiheit unvereinbar.

In den Gründen der Entscheidung heißt es:

Das Bundesverfassungsgericht hat die Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts grundsätzlich nicht nachzuprüfen. Bei Auslegungsfehlern in einer Entscheidung, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Auffassung von der Bedeutung eines Grundrechts, insbesondere vom Umfang seines Schutzbereichs, beruhen und auch in ihrer materiellen Bedeutung für den konkreten Rechtsfall von einigem Gewicht sind, hat das Bundesverfassungsgericht einen Verstoß gegen Verfassungsrecht zu korrigieren. Bei der Anwendung der zivilrechtlichen Generalklauseln der Sittenwidrigkeit und von Treu und Glauben prüft das Bundesverfassungsgericht lediglich, ob die Gerichte Bedeutung und Reichweite des Grundrechts auf Eheschließungsfreiheit richtig erkannt und im Wege einer umfassenden Würdigung der besonderen Umstände des Einzelfalls gegen die Testierfreiheit des Erblassers abgewogen haben.

Nach diesen Maßstäben halten die angegriffenen Entscheidungen einer verfassungsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG schützt mit der Testierfreiheit des Erblassers die Verfügungsbefugnis des Eigentümers über den Tod hinaus. Dabei muss der Erblasser seine Abkömmlinge nicht gleich behandeln. Er muss die Vermögensnachfolge auch nicht an den allgemeinen gesellschaftlichen Überzeugungen oder den Anschauungen der Mehrheit ausrichten. Der Testierfreiheit steht die grundrechtlich geschützte Freiheit des Bf gegenüber, die Ehe mit einem selbst gewählten Partner einzugehen.

Die hier in Rede stehende Ebenbürtigkeitsklausel ist geeignet, die Eheschließungsfreiheit des als Erben vorgesehenen Abkömmlings des Erblassers mittelbar zu beeinflussen. Geht er eine nicht im Sinne der Brandenburg-Preußischen Hausverfassung ebenbürtige Ehe ein, wird er von der Erbfolge ausgeschlossen. Dies stellt ihn vor die Alternative, eine solche Ehe nicht zu schließen oder seine Position als Erbe zu verlieren. Der Eingriff dauert auch nach Eingehung einer derartigen Ehe fort, indem der Bf dem Druck ausgesetzt ist, diese Ehe wieder zu lösen. Er könnte möglicherweise noch erben, wenn er zumindest im Zeitpunkt des Todes des L.F. in einer hausverfassungsmäßigen Ehe leben würde.

Bei der hier gebotenen Abwägung hat der BGH nicht alle in Betracht kommenden besonderen Umstände des vorliegenden Einzelfalls gewürdigt, die auf die Freiheit des Bf, die Ehe mit einer selbst gewählten Partnerin einzugehen, einwirken konnten. Hierzu führt die Kammer aus: Es wurde nicht hinreichend geprüft, ob die Ebenbürtigkeitsklausel geeignet war, auf den Bf einen für diesen unzumutbaren Druck bei der Eingehung einer Ehe zu erzeugen. Weiter könnte der Wert des Nachlasses geeignet sein, unter Berücksichtigung der Lebensführung und der sonstigen Vermögensverhältnisse des Bf dessen Entschließungsfreiheit bei Eingehung der Ehe nachhaltig zu beeinflussen. Fraglich erscheint, ob es für den Bf angesichts der außerordentlich geringen Anzahl von nach der Hausverfassung des ehemaligen Königlichen Hauses ebenbürtigen Damen protestantischen Glaubens überhaupt eine hinreichend realistische Möglichkeit gab, durch Eingehung einer ebenbürtigen Ehe seine Erbenstellung zu behalten. Schließlich wäre es vor dem Hintergrund der veränderten staatsrechtlichen Verhältnisse von Verfassungs wegen geboten gewesen zu prüfen, ob der Ebenbürtigkeitsbegriff im Sinne des Hausgesetzes auch nach der Abschaffung der Monarchie noch geeignet war, Eingriffe in die Eheschließungsfreiheit des Bf zu rechtfertigen. Eine wesentliche Rechtfertigungsgrundlage für eine solche bedingte Erbeinsetzung, die Regelung der Thronfolge im Deutschen Kaiserreich, ist unter der Geltung des Grundgesetzes weggefallen. Ungeprüft ließ der BGH auch, ob dem Bf im Falle seiner Enterbung andere seiner Versorgung dienende erbrechtliche Ansprüche zustehen. Diese Frage ist bedeutsam für den von der Ebenbürtigkeitsklausel ausgehenden wirtschaftlichen Druck.

Karlsruhe, den 2. April 2004