Bundesverfassungsgericht

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Zur Verfassungsmäßigkeit der Strafvorschriften über den Umgang mit Cannabis

Pressemitteilung Nr. 67/2004 vom 9. Juli 2004

Beschluss vom 29. Juni 2004
2 BvL 8/02

Die Vorlage des Amtsgerichts (AG) Bernau zu der Frage, ob die Strafvorschriften des Betäubungsmittelgesetzes, soweit sie verschiedene Formen des unerlaubten Umgangs mit Cannabisprodukten verbieten und mit Strafe bedrohen, mit dem Grundgesetz vereinbar sind, ist unzulässig. Dies hat die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts entschieden.

1. Zu dem Sachverhalt des Ausgangsverfahrens:

Bei dem damals 20-jährigen Angeklagten wurden bei einer Polizeikontrolle ein Cannabis-Tabak-Gemisch mit einem Bruttogewicht von 1,5 Gramm und ein Stück Cannabis mit einem Nettogewicht von 3,6 Gramm aufgefunden. Nach Überzeugung des für das Strafverfahren zuständigen AG sind die Strafvorschriften des Betäubungsmittelgesetzes zum umfassenden Verbot des Umgangs mit Cannabis verfassungswidrig. Es legte dem Bundesverfassungsgericht die Frage vor, ob die Regelungen des Betäubungsmittelgesetzes, soweit sie Cannabisprodukte in der Anlage I zu § 1 Abs. 1 Betäubungsmittelgesetz mit der Folge aufführen, dass der unerlaubte Verkehr mit diesen Stoffen den Strafvorschriften des Betäubungsmittelgesetzes unterliegt, verfassungswidrig sind.

Nach Auffassung des AG fallen die mit dem Konsum von Cannabis verbundenen Schwierigkeiten und Komplikationen wesentlich geringer aus als bisher allgemein angenommen. Neueste fundierte wissenschaftliche Forschungserkenntnisse würden belegen, dass an der durch das Bundesverfassungsgericht erfolgten Risikoeinschätzung nicht mehr festgehalten werden könne. Das Bundesverfassungsgericht hat im Jahr 1994 entschieden, dass die Strafvorschriften des Betäubungsmittelgesetzes, soweit sie das Handeltreiben sowie die Einfuhr, die Abgabe und den Erwerb sowie den Besitz von Cannabisprodukten ohne Erlaubnis mit Strafe bedrohen, mit dem Grundgesetz vereinbar sind.

2. In den Gründen der Entscheidung heißt es:

Die Vorlage genügt nicht den Begründungsanforderungen. Gegenstand einer Normenkontrolle können nur Vorschriften sein, auf deren Gültigkeit es bei der von dem vorlegenden Gericht zu treffenden Entscheidung auch tatsächlich ankommt. Dies können hier jedenfalls nicht alle Vorschriften des Betäubungsmittelgesetzes sein. Die konkrete Normenkontrolle ist kein Mittel einer allgemeinen Aufsicht über den Gesetzgeber.

Darüber hinaus erfüllt der Vorlagebeschluss nicht die für eine erneute Richtervorlage geltenden besonderen Begründungsanforderungen. Es ist bereits fraglich, ob entscheidungserhebliche neue Erkenntnisse vorliegen. Weder das AG noch die von ihm herangezogenen Sachverständigen behaupten, dass der Konsum von Cannabis ungefährlich sei. Dass der Konsum von Cannabis nicht zu Todesfällen führt, ist von jeher unbestritten. Das Bundesverfassungsgericht ist bei seiner Entscheidung im Jahr 1994 hinsichtlich der Wirkungen des Cannabiskonsums auf der Grundlage des damaligen Erkenntnisstands zu dem Ergebnis gelangt, dass "nicht unbeträchtliche Gefahren und Risiken" verblieben. Diese Einschätzung beruhte auf den Annahmen über verschiedene Risikofaktoren (keine körperliche Abhängigkeit, nur geringe unmittelbare gesundheitliche Schäden bei mäßigem Genuss von Cannabis, Möglichkeit einer psychischen Abhängigkeit trotz geringem Suchtpotential, Möglichkeit der Störung der Persönlichkeitsentwicklung bei Jugendlichen). Diese werden durch die vom AG angeführten neuen Erkenntnisse der Wissenschaft nicht erschüttert.

Darüber hinaus hat das AG nicht berücksichtigt, dass die vom Bundesverfassungsgericht im Jahr 1994 gebilligte Zielsetzung des Gesetzgebers sich nicht in der Frage der gesundheitlichen Gefährlichkeit für den Einzelnen und die Bevölkerung erschöpft. Darüber hinaus soll das soziale Zusammenleben in einer Weise gestaltet werden, die es von den sozialschädlichen Wirkungen des Umgangs mit Drogen freihält, wie sie auch von so genannten weichen Drogen wie Cannabis ausgehen. Bei der Wahl zwischen mehreren zur Erreichung des Gesetzesziels tauglichen Mitteln steht dem Gesetzgeber die Einschätzungs- und Entscheidungsprärogative zu. Gesicherte kriminologische Erkenntnisse, die den Gesetzgeber zu einer bestimmten Behandlung der aufgeworfenen Fragen zwingen könnten, hat auch das AG nicht ins Feld geführt. Soweit das Betäubungsmittelgesetz Verhaltensweisen mit Strafe bedroht, die ausschließlich den gelegentlichen Eigenverbrauch geringer Mengen von Cannabisprodukten vorbereiten, verstoßen sie deshalb nicht gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, weil die Strafverfolgungsorgane einem geringen individuellen Unrechts- und Schuldgehalt der Tat durch das Absehen von Strafe oder Strafverfolgung angemessen Rechnung tragen können.

Karlsruhe, den 9. Juli 2004