Bundesverfassungsgericht

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Zum Ausschluss italienischer Militärinternierter vom Anwendungsbereich des Stiftungsgesetzes

Pressemitteilung Nr. 69/2004 vom 13. Juli 2004

Beschluss vom 28. Juni 2004
2 BvR 1379/01

Die 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat die Verfassungsbeschwerde (Vb) von italienischen Militärinternierten, die die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes zur Errichtung einer Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" vom 2. August 2000 (Stiftungsgesetz) betrifft, nicht zur Entscheidung angenommen.

1. Zum Sachverhalt:

Einer der Beschwerdeführer (Bf) wurde 1943 als Offizier des italienischen Heeres von Einheiten der Deutschen Wehrmacht verhaftet und als Kriegsgefangener in der deutschen Kriegswirtschaft als Arbeitskraft eingesetzt. Ein weiterer Bf wurde im August 1944 im Zuge von Vergeltungsmaßnahmen gegen die italienische Zivilbevölkerung von Soldaten der Wehrmacht verhaftet, zur Zwangsarbeit herangezogen und dabei misshandelt. Er klagt deshalb vor den italienischen Zivilgerichten auf Schadensersatz und Schmerzensgeld. Ein weiterer Bf ist ein die Interessen der Militärinternierten vertretender Verein. Die restlichen 940 Bf waren ebenfalls italienische Militärinternierte.

Die Bf sehen sich durch das Stiftungsgesetz in ihren Rechten aus Art. 14 Abs. 1 und 3 Satz 4, Art. 19 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 4, Art. 104 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 GG verletzt. Ihre Schadensansprüche wegen der Zwangsarbeit und der dabei erlittenen Behandlung würden durch das Stiftungsgesetz beseitigt. Kriegsgefangene würden gleichheitswidrig vom Kreis der Leistungsberechtigten ausgeschlossen.

2. In den Gründen der Entscheidung heißt es:

Die Voraussetzungen für eine Annahme der Vb liegen nicht vor. 940 Bf haben die gegen das Stiftungsgesetz gerichtete Vb nach Ablauf eines Jahres seit In-Kraft-Treten des Stiftungsgesetzes eingereicht. Sie ist damit verfristet und schon deshalb unzulässig. Die Vb des Interessenverbands ist unzulässig, weil mit ihr keine Verletzung eigener Verfassungsrechte geltend gemacht, sondern die Verletzung der Rechte der Mitglieder gerügt wird. Die fehlende Erschöpfung des Rechtswegs steht der Zulässigkeit der Vb der restlichen beiden Bf nicht entgegen. Die damit verbundene erhebliche zeitliche Belastung wäre ihnen in Anbetracht ihres Lebensalters nicht zumutbar.

Die Vb hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Das Abkommen betreffend die Gesetze und Gebräuche des Landkriegs (Haager Landkriegsordnung) von 1907 begründet grundsätzlich keinen individuellen Entschädigungsanspruch. Es regelt einen sekundären Schadensersatzanspruch, der nur in dem Völkerrechtsverhältnis zwischen den betroffenen Staaten besteht. Der einzelne Betroffene aus der Bevölkerung hat demgegenüber aus dem Völkerrechtsverhältnis zu dem ein Territorium besetzenden Staat lediglich einen primären Anspruch auf Einhaltung der Verbote des humanitären Völkerrechts.

Grundsätzlich ist es zwar nicht ausgeschlossen, dass das nationale Recht des verletzenden Staates dem Verletzten einen individuellen Anspruch gewährt, der neben die völkerrechtlichen Ansprüche des Heimatstaates tritt. Insoweit kommt es auf die konkrete Ausgestaltung der innerstaatlichen Rechtsordnung an. Besteht danach kein Schadensersatzanspruch, kommt eine Verletzung der Eigentumsgarantie nicht in Betracht.

Soweit nach dem Stiftungsgesetz Kriegsgefangenschaft für sich allein nicht zur Leistungsberechtigung führt, liegt darin kein Verstoß gegen den Gleichheitssatz. Nach der Haager Landkriegsordnung können Kriegsgefangene in genau bestimmten Grenzen auch zur Arbeit zwangsweise verpflichtet werden. Das Haager Abkommen legt besondere völkerrechtliche Haftungsregeln für Verstöße gegen das humanitäre Kriegsvölkerrecht fest. Dieser Umstand kann den Ausschluss der Leistungsberechtigung von Kriegsgefangenen im Stiftungsgesetz rechtfertigen. Dem Gesetzgeber ist im Hinblick auf den allgemeinen Gleichheitssatz auch nicht verwehrt, zwischen einem allgemeinen, wenn auch harten und möglicherweise mit Verstößen gegen das Völkerrecht einhergehenden Kriegsschicksal und Opfern von in besonderer Weise ideologisch motivierten Verfolgungsmaßnahmen des nationalsozialistischen Unrechtsregimes zu unterscheiden und angesichts eines zwar erheblichen, aber gleichwohl begrenzten Stiftungsvermögens nur letztere in den Kreis der Leistungsberechtigten nach dem Stiftungsgesetz einzubeziehen.

Soweit das Stiftungsgesetz eine klageweise Durchsetzung von Leistungsforderungen gegen die Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" vor den Verwaltungsgerichten ausschließen sollte, würde dies nicht gegen die allgemeine Rechtsschutzgarantie verstoßen. Art. 19 Abs. 4 GG gewährt durchsetzbare Rechtspositionen des einfachen Rechts nicht, sondern setzt sie voraus. Der Gesetzgeber ist frei in der Entscheidung, eine öffentlich-rechtliche Stiftung gerade nicht gegenüber Dritten gesetzlich zu verpflichten und dementsprechend auch verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz auszuschließen.

Karlsruhe, den 13. Juli 2004