Bundesverfassungsgericht

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Zur Beitragspflicht für den Klärschlamm-Entschädigungsfonds

Pressemitteilung Nr. 78/2004 vom 10. August 2004

Beschluss vom 18. Mai 2004
2 BvR 2374/99

Die Verfassungsbeschwerden (Vb) von zwei Betreibern von Abwasseranlagen (Beschwerdeführerinnen; Bf zu 1 und 2) und vier Kommunen (Bf zu 3 bis 6), die sich gegen die Einrichtung eines abgabenfinanzierten Entschädigungsfonds für Schäden, die durch die landbauliche Verwertung von Klärschlamm entstehen, wandten, wurden vom Zweiten Senat des Bundesverfassungsgerichts zurückgewiesen. Die Beitragspflicht für den Klärschlamm-Entschädigungsfonds greift nicht in verfassungswidriger Weise in Grundrechte ein. Es liegt auch kein Verstoß gegen die Gewährleistung der gemeindlichen Selbstverwaltung vor.

1. Zum Sachverhalt:

Klärschlamm fällt bei der Abwasserbeseitigung in Abwasserbehandlungsanlagen an. Bei der landbaulichen Verwertung von Klärschlämmen als Dünger können Schäden entstehen. Zu deren Ausgleich hat der Gesetzgeber den Klärschlamm-Entschädigungsfonds geschaffen, der von den Herstellern von Klärschlämmen durch Beiträge finanziert werden soll, soweit diese den Klärschlamm zur landbaulichen Verwertung abgeben. Rechtsgrundlage dafür ist die aufgrund von § 9 Düngemittelgesetz ergangene Klärschlamm-Entschädigungsfondsverordnung. Bislang war das Problem der Schadensrisiken aus der landwirtschaftlichen Verwertung von Klärschlamm als Dünger durch ein vertragliches Fondsmodell gelöst worden. Die kommunalen Spitzenverbände hatten im Jahr 1990 auf freiwilliger Basis einen Klärschlammfonds gegründet, der aus Beiträgen der überwiegend kommunalen Klärschlammabgeber finanziert wurde.

Die Bf wenden sich mit ihren Vb gegen die Neuregelung. Die Bf zu 1 und 2 rügen eine Verletzung ihrer Grundrechte aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG, Art. 12 Abs. 1 GG und Art. 14 Abs. 1 GG. Die Bf zu 3 bis 6 sehen sich in ihrem Selbstverwaltungsrecht aus Art. 28 Abs. 2 GG verletzt.

2. In den Gründen der Entscheidung heißt es:

Die Vb haben jedenfalls in der Sache keinen Erfolg. Der Bund ist zur Einrichtung eines abgabenfinanzierten Klärschlamm- Entschädigungsfonds aufgrund der konkurrierenden Gesetzgebungszuständigkeit für die Abfallbeseitigung (Art. 74 Abs. 1 Nr. 24 GG) befugt. Das Gesetzgebungsrecht des Bundes ist am Maßstab der früheren Bedürfnisklausel und damit an der bis zum 15. November 1994 geltenden Fassung des Art. 72 Abs. 2 GG zu messen.

Dessen Voraussetzungen liegen vor. Aus der Begrenzungs- und Schutzfunktion der bundesstaatlichen Finanzverfassung des Grundgesetzes ergeben sich drei Grenzen für die Auferlegung nichtsteuerlicher Abgaben. Nichtsteuerliche Abgaben bedürfen einer besonderen sachlichen Rechtfertigung. Sie müssen sich von der Steuer, die voraussetzungslos auferlegt und geschuldet wird, deutlich unterscheiden. Die Erhebung einer nichtsteuerlichen Abgabe muss weiter der Belastungsgleichheit der Abgabepflichtigen Rechnung tragen. Schließlich gelten für die Zulässigkeit der Erhebung nichtsteuerlicher Abgaben haushaltsrechtliche Informationspflichten des Gesetzgebers, der Einnahme- und Ausgabekreisläufe außerhalb des Budgets organisiert.

Diese Grenzen überschreiten die Erhebung und Bemessung der Beiträge zum Klärschlamm-Entschädigungsfonds nicht. Die vom Gesetzgeber als Beitrag bezeichnete Abgabe zum Klärschlamm-Entschädigungsfonds ist weder Beitrag noch Gebühr zum Ausgleich einer öffentlichen Leistung. Die Abgabe gleicht weder einen staatlichen Aufwand aus noch schöpft sie staatlich gewährte Vorteile ab. Der Staat schafft lediglich zur Förderung der Klärschlammverwertung ein versicherungsähnliches Schadensausgleichssystem für die durch landbauliche Klärschlammverwertung potenziell Geschädigten. Der Senat begründet, dass die Beiträge zum Klärschlamm- Entschädigungsfonds jedenfalls die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen einer Sonderabgabe erfüllen.

Die Einrichtung des Klärschlamm-Entschädigungsfonds verletzt nicht die Grundrechte der Bf zu 1 und 2. Die Abgabe ist weder geeignet noch dazu bestimmt, auf die Berufsausübung (Art. 12 Abs. 1 GG) Einfluss zu nehmen. Ihr kommt auch objektiv - schon wegen ihrer geringen Höhe - keine solche berufsregelnde Wirkung zu. Die Einrichtung des Klärschlamm- Entschädigungsfonds verletzt weiter nicht die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) gerade in ihrer Ausprägung als persönliche Entfaltung im vermögensrechtlichen Bereich (Art. 14 GG). Die Verteilung der Kosten und Risiken der landbaulichen Klärschlammverwertung genügt dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Ein abgabenfinanzierter Klärschlamm-Entschädigungsfonds ist zur Förderung der landbaulichen Klärschlammverwertung geeignet. Ein gleich wirksames und die Allgemeinheit sowie Dritte weniger belastendes Mittel zur Erreichung des verfolgten Zwecks ist nicht ersichtlich.

Die Abgabenbelastung der Klärschlammhersteller ist im Verhältnis zum verfolgten gesetzlichen Interesse auch nicht unangemessen. Sie dient dem Umweltschutzgedanken des Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes. Die Regelungen über die Verwendung des Abgabenaufkommens genügen den rechtsstaatlichen Anforderungen an die Normenklarheit und den Vertrauensschutz. Der Schadensersatztatbestand ist in sachlicher und zeitlicher Hinsicht nicht unbestimmt. Die Regelungen entfalten keine Rückwirkung. Sie erstrecken weder ihre Rechtsfolgen noch ihren sachlichen Anwendungsbereich auf Rechtsgeschäfte oder Lebenssachverhalte, die vor ihrem In-Kraft-Treten am 1. Januar 1999 liegen. Der freiwillig begründete Klärschlammfonds hat keinen Vertrauenstatbestand geschaffen, der der Einrichtung eines öffentlich- rechtlich organisierten Fonds entgegenstand. Schließlich verletzen die Erhebung und Ausgestaltung der Beiträge zum Klärschlamm-Entschädigungsfonds nicht den allgemeinen Gleichheitssatz. Die Heranziehung der Klärschlammabgeber rechtfertigt sich wegen ihrer spezifischen Sachnähe zu der finanzierten Aufgabe. Die Klärschlammabgeber werden auch nicht gegenüber Landwirten sachwidrig benachteiligt. Die Benachteiligung der einen im Vergleich zu den anderen rechtfertigt sich aus dem Förderungsziel der angegriffenen Regelungen.

Die Bf zu 3 bis 6 werden nicht in ihrem Selbstverwaltungsrecht aus Art. 28 Abs. 2 GG verletzt. Die haftungsrechtliche Absicherung der landbaulichen Klärschlammverwertung weist aufgrund ihrer Anknüpfung an die Abfallentsorgung, die grundsätzlich zu den Aufgaben der örtlichen Gemeinschaft zählt, Bezüge zu den Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft auf. Indem der Gesetzgeber dem überwiegend von Gemeinden getragenen freiwilligen Klärschlammfonds durch den öffentlich- rechtlichen Klärschlamm-Entschädigungsfonds faktisch seine Funktion genommen hat, berührte er zwar möglicherweise Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft und würde dann in das Recht der Gemeinden eingreifen, diese Angelegenheiten eigenverantwortlich zu regeln. Der Kernbereich der kommunalen Selbstverwaltung wäre dadurch jedoch nicht berührt. Ein solcher Eingriff wäre gerechtfertigt aus den Gründen, die die angegriffenen Regelungen, soweit sie in Grundrechte Privater eingreifen, auch unter diesem Gesichtspunkt legitimieren.

Karlsruhe, den 10. August 2004