Bundesverfassungsgericht

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Anforderungen an die Beschlagnahme von Datenträgern und hierauf gespeicherter Daten

Pressemitteilung Nr. 47/2005 vom 8. Juni 2005

Beschluss vom 12. April 2005
2 BvR 1027/02

Die Beschwerdeführer (Bf) wenden sich gegen die Durchsuchung und Beschlagnahme des gesamten elektronischen Datenbestands ihrer gemeinsam betriebenen Rechtsanwaltskanzlei und einer unter der gleichen Adresse firmierenden Steuerberatungsgesellschaft im Rahmen eines gegen einen der Berufsträger gerichteten Ermittlungsverfahrens (wegen Einzelheiten des zu Grunde liegenden Sachverhalts wird auf die Pressemitteilung Nr. 65/2002 vom 19. Juli 2002 verwiesen). Ihre Verfassungsbeschwerde hatte Erfolg. Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts hob die Beschlüsse des Landgerichts (LG) auf, soweit über die Sicherstellung von Beweismitteln entschieden wurde. Die Sache wurde an das LG zurückverwiesen. Der Zweite Senat sieht in der Durchsuchung und Sicherstellung des vollständigen Datenbestands von Berufsgeheimnisträgern einen erheblichen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, dem durch die strikte Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und durch die Beachtung von Verfahrensregelungen begegnet werden müsse. Damit diese Voraussetzungen nicht wirkungslos bleiben, erörtert das Gericht ein Beweisverwertungsverbot.

Der Entscheidung liegen folgende Erwägungen zu Grunde:

1. Die angegriffenen Entscheidungen sind an Art. 2 Abs. 1 GG zu messen. Die Sicherstellung und Beschlagnahme der Datenträger und der hierauf gespeicherten Daten greift in das Grundrecht der Bf und ihrer Mandanten auf informationelle Selbstbestimmung ein und beeinträchtigt die hiermit zusammenhängenden Belange der Allgemeinheit. Der Zugriff auf den Datenbestand einer Rechtsanwalts- und Steuerberaterkanzlei beeinträchtigt in schwerwiegender Weise das rechtlich besonders geschützte Vertrauensverhältnis zwischen den Mandanten und den für sie tätigen Berufsträgern. Rechtsanwälte als Organe der Rechtspflege und Steuerberater sowie deren Mandanten sind auch im öffentlichen Interesse auf eine besonders geschützte Vertraulichkeit der Kommunikation angewiesen.

2. Beschränkungen des Art. 2 Abs. 1 GG bedürfen einer hinreichend bestimmten gesetzlichen Grundlage. Die Strafprozessordnung (§§ 94 ff. StPO) erlaubt die Sicherstellung und Beschlagnahme von Datenträgern und den hierauf gespeicherten Daten als Beweisgegenstände im Strafverfahren. Die einschlägigen Eingriffsbefugnisse sind zwar ursprünglich auf körperliche Gegenstände zugeschnitten. Wortlaut sowie Sinn und Zweck der Regelung erlauben aber die Sicherstellung und Beschlagnahme von Daten auf Datenträgern. Die aktuelle Gesetzgebung (§ 97 Abs. 5 Satz 1, §§ 98 a ff. StPO) belegt zudem, dass der Gesetzgeber von der Beschlagnahmefähigkeit von Datenbeständen und den auf einem Datenträger verkörperten Daten ausgeht.

3. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz setzt dem staatlichen Handeln Grenzen. Diesem Grundsatz kommt bei der Sicherstellung von Datenträgern und aller darauf vorhandenen Daten eine besondere Bedeutung zu. Ein Datenzugriff weist wegen der Vielzahl verfahrensunerheblicher Daten eine Streubreite auf und bezieht zahlreiche Personen in den Wirkungsbereich ein, die in keiner Beziehung zu dem Tatvorwurf stehen. Daher muss der Zugriff auf für das Verfahren bedeutungslose Informationen im Rahmen des Vertretbaren vermieden werden. Bereits im Verfahrensstadium der Durchsicht (§ 110 StPO), das der Entscheidung über die Beschlagnahme vorgelagert ist, ist deshalb - soweit möglich - eine sorgfältige Sichtung und Trennung der Daten je nach ihrer Verfahrensrelevanz geboten. Auch die Bedeutung des potentiellen Beweismittels für das Strafverfahren ist zu bewerten. Im Einzelfall können die Geringfügigkeit der zu ermittelnden Straftat und eine geringe Beweisbedeutung der auf dem Datenträger vermuteten Informationen einer Sicherstellung des Datenbestands entgegenstehen.

4. Darüber hinaus bedarf der effektive Schutz des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung einer den sachlichen Erfordernissen entsprechenden Ausgestaltung des Verfahrens. Das Strafprozessrecht enthält Verfahrensregelungen, die dazu dienen, Grundrechtseingriffen vorzubeugen oder diese zu minimieren. Dazu zählt insbesondere die Durchsicht gem. § 110 StPO, die die Vermeidung einer übermäßigen Datenerhebung bezweckt. Darüber hinaus dienen die Dateiregelungen der §§ 483 ff. StPO der Gewährleistung der datenschutzrechtlichen Positionen der von einer strafprozessualen Datenerhebung Betroffenen.

Um Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und Verfahrensrechte nicht fruchtlos bleiben zu lassen, wird zu prüfen sein, ob ergänzend ein Beweisverwertungsverbot in Betracht zu ziehen ist. Zumindest bei schwerwiegenden, bewussten oder willkürlichen Verfahrensverstößen ist ein Beweisverwertungsverbot als Folge einer fehlerhaften Durchsuchung und Beschlagnahme von Datenträgern und der darauf vorhandenen Daten geboten.

5. Die angegriffenen Entscheidungen verletzen die Bf in ihrem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG. Das LG berücksichtigt nicht die Bedeutung des Vertrauensverhältnisses zwischen den Mandanten und den für sie tätigen Berufsträgern. Es verkennt, dass der Eingriff eine hohe Intensität aufweist und eine Vielzahl von Dritten betroffen ist. Die Frage der Verfahrensrelevanz und Trennbarkeit der sichergestellten Daten wird nicht geprüft.

Karlsruhe, den 8. Juni 2005