Bundesverfassungsgericht

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Regelung über Pflichtbeitrag zum Solidarfonds Abfallrückführung nichtig

Pressemitteilung Nr. 59/2005 vom 6. Juli 2005

Urteil vom 06. Juli 2005
2 BvR 2335/95

Die Verfassungsbeschwerden von 13 Abfallexporteuren, die sich gegen die Erhebung eines Pflichtbeitrags zum Solidarfonds Abfallrückführung gewandt hatten, waren erfolgreich. Der Solidarfonds war 1994 durch das Abfallverbringungsgesetz eingeführt worden. Abfallexporteure waren verpflichtet, Mitgliedsbeiträge in den Fonds einzuzahlen. Die Beiträge dienten dazu, die staatliche Rückführung illegaler Abfallexporte zu finanzieren, wenn auf den Exporteur nicht zurückgegriffen werden konnte (vgl. Pressemitteilung Nr. 115/2004 vom 22. Dezember 2004). Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts erklärte mit Urteil vom 6. Juli 2005 die Regelung des Abfallverbringungsgesetzes zum Solidarfonds für nichtig. Die Abfallausfuhrabgabe stelle eine unzulässige Sonderabgabe dar. Den abgabepflichtigen Abfallexporteuren werde ohne besonderen sachlichen Grund die Finanzierungsverantwortung für das Fehlverhalten Dritter zugerechnet.

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:

Die Abgabepflicht gem. § 8 Abfallverbringungsgesetz (im Folgenden: Abfallausfuhrabgabe) verletzt die Berufsfreiheit der Beschwerdeführer; denn die Abgabe verstößt als unzulässige Sonderabgabe gegen die Finanzverfassung des Grundgesetzes.

1. Die Abfallausfuhrabgabe ist keine Steuer, sondern eine nichtsteuerliche Abgabe; denn sie dient nicht der Erzielung von Einnahmen für den allgemeinen Finanzbedarf eines Gemeinwesens, sondern ausschließlich der Deckung der Leistungen und Verwaltungskosten des Solidarfonds Abfallrückführung.

2. Nichtsteuerliche Abgaben bedürfen einer besonderen sachlichen Rechtfertigung. Die Finanzverfassung des Grundgesetzes (Art. 104 a ff. GG) verlöre ihre Funktion, wenn unter Rückgriff auf die Sachgesetzgebungskompetenzen von Bund und Ländern beliebig nichtsteuerliche Abgaben unter Umgehung der finanzverfassungsrechtlichen Verteilungsregeln begründet werden könnten und damit zugleich ein weiterer Zugriff auf die Ressourcen der Bürger eröffnet würde.

a) Die Abfallausfuhrabgabe kann nicht als Gebühr oder Beitrag gerechtfertigt werden; denn sie dient nicht dem Ausgleich öffentlicher Leistungen, die den Abgabepflichtigen individuell zurechenbar sind. Die Vertragsstaaten des Basler Übereinkommens haben eine Garantenstellung für die Rückführung fehlgeschlagener Abfallexporte übernommen. Bei den hiermit verbundenen Kosten handelt es sich um Folgekosten grenzüberschreitender Kooperation der beteiligten Staaten im Interesse des Umweltschutzes, die in erster Linie dem Schutz der Allgemeinheit geschuldet sind. Hinzu kommt, dass die Fondszahlungen den Abgabepflichtigen auch keine potentiellen Vorteile bringen, da sie ihrerseits für jede notifizierungsbedürftige Verbringung von Abfällen Sicherheit zu leisten haben, die im Fall der Rückführung in Anspruch genommen werden darf. Die Zahlungen des Fonds entlasten daher allein den für die Rückführung illegaler Transporte gewährleistungspflichtigen Staat.

b) Eine Rechtfertigung als Sonderabgabe mit Finanzierungsfunktion scheidet ebenfalls aus. Sonderabgaben unterliegen engen Grenzen und müssen gegenüber den Steuern seltene Ausnahmen bleiben. Besondere Sachnähe der Abgabepflichtigen zu dem mit der Abgabenerhebung verfolgten Zweck und daraus folgende Finanzierungsverantwortlichkeit sowie die Gruppennützigkeit der Abgabenverwendung bilden den entscheidenden Rechtfertigungsgrund für eine zu der Gemeinlast der Steuern hinzutretende Sonderlast.

In der Sache bedeutet die finanzielle Inpflichtnahme der notifizierenden Personen die Zurechnung einer Finanzierungsverantwortung für die Folgen fremden Fehlverhaltens. Nur in den Fällen, in denen Abfallexporte nicht notifiziert werden (das betreffende Unternehmen also auch keine Sicherheitsleistung für den potentiellen Rücktransport erbracht hat), bekommt die Garantenstellung des Staates praktische Bedeutung. Insoweit ist aber eine spezifische Sachnähe der Abgabepflichtigen zu den primär umweltpolitischen Zielsetzungen des Abfallverbringungsgesetzes zu verneinen; denn es handelt sich um die Erfüllung völkerrechtlich und gemeinschaftsrechtlich begründeter Pflichten im Interesse eines wirksamen Umweltschutzes, für deren Zurechnung zur Verantwortungssphäre der besonderen Gruppe der Abgabepflichtigen statt zu jener der Allgemeinheit der Steuerpflichtigen sachliche Gründe von besonderem Gewicht nicht zu erkennen sind.

Karlsruhe, den 6. Juli 2005