Bundesverfassungsgericht

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Zweitwohnungsteuer für berufsbedingte Nebenwohnung eines verheirateten Berufstätigen unzulässig

Pressemitteilung Nr. 110/2005 vom 10. November 2005

Beschluss vom 11. Oktober 2005
1 BvR 1232/00

Die Zweitwohnungsteuersatzungen der Städte Hannover und Dortmund sind nichtig, soweit die Innehabung einer aus beruflichen Gründen gehaltenen Wohnung eines nicht dauernd getrennt lebenden Verheirateten, dessen eheliche Wohnung sich in einer anderen Gemeinde befindet, besteuert wird. Dies entschied der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts. Die Erhebung der Zweitwohnungsteuer auf die Innehabung von Erwerbszweitwohnungen durch Verheiratete diskriminiere die Ehe und verstoße gegen Art. 6 Abs. 1 GG.

Rechtlicher Hintergrund und Sachverhalt:

Die Landeshauptstadt Hannover erhebt seit 1994 eine Zweitwohnungsteuer für das Innehaben einer Zweitwohnung im Stadtgebiet. Zweitwohnung ist nach der Zweitwohnungsteuersatzung Hannover jede Wohnung, die dem Eigentümer oder Mieter als Nebenwohnung neben der Hauptwohnung dient. Nach den maßgeblichen Meldegesetzen, auf die die Satzung verweist, ist Hauptwohnung die vorwiegend benutzte Wohnung. Bei einer verheirateten Person, die nicht dauernd getrennt von ihrer Familie lebt, ist nicht die von ihr, sondern die von der Familie vorwiegend benutzte Wohnung die Hauptwohnung. Die seit 1998 geltende Satzung der Stadt Dortmund über die Erhebung der Zweitwohnungsteuer ist mit der Zweitwohnungsteuersatzung Hannover inhaltlich weitgehend identisch.

Die beiden Beschwerdeführer hatten jeweils an ihrem Beschäftigungsort in Hannover bzw. Dortmund eine Wohnung gemietet, um von dort aus werktags ihren Arbeitsplatz zu erreichen. An den Wochenenden und den arbeitsfreien Tagen wohnte jeder der Beschwerdeführer in seiner ehelichen Wohnung an einem anderen Ort. Die Landeshauptstadt Hannover bzw. die Stadt Dortmund veranlagten die Beschwerdeführer für die Zweitwohnung am Erwerbsort zu einer Zweitwohnungsteuer. Ihre dagegen erhobenen Verfassungsbeschwerden waren erfolgreich.

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:

Zum von Art. 6 Abs. 1 GG geschützten ehelichen Zusammenleben gehört die Entscheidung der Eheleute, zusammenzuwohnen und die gemeinsame Wohnung auch bei einer beruflichen Veränderung eines Ehegatten, die mit einem Ortswechsel verbunden ist, aufrechtzuerhalten. Ändert sich der Beschäftigungsort eines Ehegatten, so dass dieser seiner Arbeit nicht mehr von der bisherigen gemeinsamen Wohnung aus nachgehen kann, hat dies in aller Regel nicht zur Folge, dass die gemeinsame Wohnung aufgegeben wird. Die Innehabung einer aus beruflichen Gründen gehaltenen Zweitwohnung ist sonach die notwendige Konsequenz der Entscheidung zu einer gemeinsamen Ehewohnung an einem anderen Ort.

Durch die Zweitwohnungsteuer, die für den Begriff der Zweitwohnung an die melderechtlichen Vorschriften anknüpft, wird die Entscheidung steuerlich belastet, die gemeinsame eheliche Wohnung nicht aufzulösen und bei Wahrung des Fortbestands der gemeinsamen Wohnung am bisherigen Ort nur eine Zweitwohnung zu begründen. Es ist nämlich für Verheiratete ausgeschlossen, die Wohnung am Beschäftigungsort trotz deren vorwiegender Nutzung zum Hauptwohnsitz zu bestimmen und damit der Heranziehung der Zweitwohnungsteuer zu entgehen; für sie bestimmen die maßgeblichen Meldegesetze zwingend die vorwiegend genutzte Wohnung der Familie zum Hauptwohnsitz. Von der steuerlichen Belastung durch die Zweitwohnungsteuer werden dagegen solche Personen nicht erfasst, die nicht infolge einer ehelichen Bindung von der Verlegung ihres Hauptwohnsitzes an ihren Beschäftigungsort abgehalten werden. Die Zweitwohnungsteuer stellt daher eine besondere finanzielle Belastung des ehelichen Zusammenlebens dar.

Diese Benachteiligung ist nicht gerechtfertigt. Allein die Tatsache, dass die Steuer als Aufwandsteuer von allen Inhabern von Zweitwohnungen ungeachtet ihres Personenstandes und des Zwecks der Innehabung erhoben wird, reicht dafür nicht aus. Die formal eheneutrale Anknüpfung der Steuer ist keine hinreichende Rechtfertigung. Denn es wird für den steuerlichen Tatbestand an ein Verhalten angeknüpft, das spezifischer Ausdruck einer verfassungsrechtlich geschützten Form des ehelichen Zusammenlebens ist.