Bundesverfassungsgericht

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Verfassungsbeschwerde eines Gefängnisseelsorgers gegen Beugehaft erfolglos

Pressemitteilung Nr. 9/2007 vom 29. Januar 2007

Beschluss vom 25. Januar 2007
2 BvR 26/07

In einem vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf anhängigen Strafverfahren wird gegen mehrere Angeklagte verhandelt. Ihnen wird vorgeworfen, in großem Umfang Betrugstaten zum Nachteil deutscher Lebensversicherungsgesellschaften begangen zu haben, um hohe Versicherungssummen zu erhalten und diese zur Finanzierung des Terrornetzwerks Al Qaeda weiterzuleiten. In der Hauptverhandlung wurde der Beschwerdeführer, ein - nicht zum Priester geweihter - katholischer Gemeindereferent, als Zeuge vernommen. Dieser ist hauptamtlich als Seelsorger in einer Haftanstalt tätig und hatte in dieser Funktion Gespräche mit einem der Angeklagten geführt. Bei seiner Vernehmung vor dem Oberlandesgericht lehnte er es unter Berufung auf sein Zeugnisverweigerungsrecht als Seelsorger ab, die Frage zu beantworten, ob er für den Angeklagten im Internet Adressen von Versicherungen recherchiert habe. Daraufhin ordnete das Gericht gegen den Seelsorger Beugehaft zur Erzwingung der Aussage an. Die Beschwerde des Seelsorgers verwarf der Bundesgerichtshof als unbegründet. Die 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat die hiergegen gerichtete Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen. Die Auferlegung der Zeugnispflicht, deren Erfüllung die Anordnung der Beugehaft erzwingen soll, sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:

§ 53 Abs. 1 Nr. 1 Strafprozessordnung gewährt Geistlichen ein Zeugnisverweigerungsrecht hinsichtlich solcher Tatsachen, die ihnen in ihrer Eigenschaft als Seelsorger anvertraut worden oder bekannt geworden sind. Ob Geistliche im Sinne der Vorschrift auch Seelsorger sind, die keine Priesterweihe erhalten haben, ist hier nicht generell zu entscheiden. Jedenfalls bei einer hauptamtlichen Beauftragung nach den durch das kirchliche Dienstrecht vorgesehenen Voraussetzungen - wie dies vorliegend der Fall ist - ist der Anwendungsbereich der Vorschrift eröffnet. Die Frage, ob einem Geistlichen Tatsachen in seiner Eigenschaft als Seelsorger anvertraut oder bekannt geworden sind, ist objektiv und in Zweifelsfällen unter Berücksichtigung der Gewissensentscheidung des Geistlichen zu beurteilen. Die Einschätzung der Fachgerichte, der Austausch über das Recherchieren von Versicherungsadressen zähle objektiv nicht zur Seelsorge, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

Ein Zeugnisverweigerungsrecht des Beschwerdeführers lässt sich auch nicht unmittelbar aus der Verfassung ableiten. Die aus der Beantwortung der an den Beschwerdeführer gestellten Frage zu erwartenden Erkenntnisse sind nicht dem Kernbereich privater Lebensgestaltung zuzurechen, in den einzugreifen dem Staat verwehrt ist. Die Frage, deren Beantwortung hier in Rede steht, zielt nicht auf das Erlangen von Kenntnissen über ein seelsorgerisches Gespräch, sondern über eine Tätigkeit - das Recherchieren von Versicherungsadressen -, die der Beschwerdeführer nur außerhalb eines solchen Gesprächs wahrgenommen haben könnte. Auch eine Abwägung mit den Belangen der Berufsausübungsfreiheit begründet kein Zeugnisverweigerungsrecht des Beschwerdeführers. Durch die Preisgabe von Wissen über eine dem betreuten Gefangenen erwiesene Gefälligkeit kann zwar das Vertrauensverhältnis zu diesem und zu anderen Gefangenen beeinträchtigt werden - mit Folgewirkungen auf die Möglichkeit zur Wahrnehmung der seelsorgerischen Aufgabe. Die Belange der Strafrechtspflege überwiegen jedoch das Interesse des Beschwerdeführers an der Vermeidung einer Beeinträchtigung der seelsorgerischen Vertrauensstellung. Dass ein Gefangener von der vertraulichen Behandlung einer an seinen Seelsorger gerichteten Bitte ausgeht, die ersichtlich nicht den seelsorgerischen Bereich betrifft, sondern darauf abzielt, Beweisgegen-stände zu verfälschen, und für den Seelsorger sogar die Gefahr eigener Strafbarkeit begründet, ist eher fern liegend. Bei der Bewertung einer möglichen Vertrauenseinbuße ist auch zu berücksichtigen, dass der Beschwerdeführer entsprechendes Wissen nicht eigenmächtig offenbaren würde, sondern aufgrund der ihm obliegenden, mit Zwangsmitteln durchsetzbaren Zeugenpflicht.