Bundesverfassungsgericht

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Bürgenhaftung des Hauptunternehmers nach dem Arbeitnehmer- Entsendegesetz verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden

Pressemitteilung Nr. 42/2007 vom 5. April 2007

Beschluss vom 20. März 2007
1 BvR 1047/05

Nach § 1 a Arbeitnehmer-Entsendegesetz haftet ein Unternehmer, der einen Nachunternehmer mit der Erbringung von Bauleistungen beauftragt, für die tariflichen Mindestlohnansprüche der bei dem Nachunternehmer beschäftigten Arbeitnehmer wie ein Bürge, der auf die Einrede der Vorausklage verzichtet hat. Diese Vorschrift ist verfassungsgemäß. Der hierdurch bewirkte Eingriff in die durch Art. 12 Grundgesetz geschützte unternehmerische Betätigungsfreiheit der Bauunternehmer ist durch überragend wichtige Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt und entspricht dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Dies entschied die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts. Damit war die Verfassungsbeschwerde eines Hauptunternehmers, der von den Arbeitsgerichten zur Zahlung des tariflichen Mindestlohns an einen Arbeitnehmer des von ihm beauftragten portugiesischen Nachunternehmers verurteilt worden war, erfolglos.

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde: Der Gesetzgeber verfolgt mit der Regelung verfassungsrechtlich legitime Ziele. Indem die betroffenen Arbeitnehmer mit dem Hauptunternehmer einen weiteren Schuldner erhalten, soll sichergestellt werden, dass sie den rechtlich garantierten Mindestlohnanspruch tatsächlich durchsetzen können. Die Erstreckung der tariflichen Mindestlöhne auf Außenseiter soll einem Verdrängungswettbewerb über die Lohnkosten entgegenwirken, dem insbesondere kleine und mittlere Betriebe nicht standhalten können. Diese Maßnahme soll zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit im Bausektor beitragen. Sie dient damit auch der Erhaltung als wünschenswert angesehener sozialer Standards und der Entlastung der bei hoher Arbeitslosigkeit oder bei niedrigen Löhnen verstärkt in Anspruch genommenen Systeme der sozialen Sicherheit. Die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit ist in Verbindung mit der Sicherung sozialer Mindeststandards ein besonders wichtiges Ziel, bei dessen Verwirklichung dem Gesetzgeber gerade unter den gegebenen schwierigen arbeitsmarktpolitischen Bedingungen ein relativ großer Entscheidungsspielraum zugestanden werden muss. Dieser Gemeinwohlbelang, dem auch die Bürgenhaftung Rechnung zu tragen versucht, besitzt eine überragende Bedeutung.

Die Bürgenhaftung erscheint auch nicht deshalb als unangemessen, weil dem Hauptunternehmer keine Möglichkeiten zur Verfügung stünden, um sich vor der Inanspruchnahme durch die Arbeitnehmer zu schützen. Nach der verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden Vorstellung des Gesetzgebers soll sich der Hauptunternehmer gerade darum bemühen, nur Nachunternehmer zu beauftragen, die eine größtmögliche Gewähr für die Erfüllung der Mindestlohnansprüche der Arbeitnehmer bieten. Eine Unzumutbarkeit der Bürgenhaftung folgt auch nicht daraus, dass sie dem Hauptunternehmer verschuldensunabhängig ohne hinreichende Verantwortungsbeziehung zu dem die Haftung auslösenden Sachverhalt auferlegt würde. Erfüllt der vom Hauptunternehmer beauftragte Nachunternehmer die Mindestlohnansprüche seiner Arbeitnehmer nicht, verwirklicht sich genau das zusätzliche Risiko, das der Hauptunternehmer geschaffen hat, indem er sich des Nachunternehmers zur Ausführung der von ihm geschuldeten, aber nicht durch eigene Arbeitnehmer erbrachten Bauleistungen bedient hat.