Bundesverfassungsgericht

Sie sind hier:

Erfolglose Verfassungsbeschwerden in Sachen Emissionshandel

Pressemitteilung Nr. 60/2007 vom 1. Juni 2007

Beschluss vom 03. Mai 2007, Beschluss vom 14. Mai 2007
1 BvR 1847/05
1 BvR 2036/05

Am 15. Juli 2004 traten das Treibhausgas-Emissionshandelsgesetz (TEHG) und am 31. August 2004 das Zuteilungsgesetz 2007 in Kraft. Mit diesen Gesetzen wurde die von der Europäischen Gemeinschaft erlassene Emissionshandelsrichtlinie umgesetzt, deren Ziel es ist, durch eine kosteneffiziente Verringerung von Kohlendioxid-Emissionen zum weltweiten Klimaschutz beizutragen. Nach dem Treibhausgas-Emissionshandelsgesetz bedürfen die Betreiber bestimmter industrieller Anlagen für die Freisetzung von Treibhausgasen einer Genehmigung. Dem Betreiber der Anlage werden Zertifikate über die Befugnis zur Emission von Treibhausgasen zugeteilt, und zwar nach Maßgabe des Zuteilungsgesetzes 2007; dieses legt die Gesamtmenge an Kohlendioxid-Emissionen in Deutschland für die Zuteilungsperiode 2005 bis 2007 fest. Durch eine wachsende Verknappung der Berechtigungen soll die Reduzierung der Treibhausgase erreicht werden.

I. Die Verfassungsbeschwerde der in Deutschland tätigen Aluminiumproduzenten (1 BvR 1847/05), die sich gegen das Zuteilungsgesetz 2007 richtete, wurde von der 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts nicht zur Entscheidung angenommen, da sie nicht binnen eines Jahres seit dem Inkrafttreten des Gesetzes eingelegt worden und damit unzulässig war.

II. Auch die Verfassungsbeschwerde eines Unternehmens der Zementindustrie (1 BvR 2036/05) war erfolglos. Dieses hatte vor den Verwaltungsgerichten gegen seine Pflichten nach dem Treibhausgas- Emissionshandelsgesetz geklagt. Das Bundesverwaltungsgericht stellte daraufhin fest, dass durch die Einführung des Emissionshandelssystems weder in das europarechtlich geltende Eigentumsgrundrecht noch in die ebenfalls europarechtlich gewährleistete Berufsfreiheit unverhältnismäßig eingegriffen werde. Auch sei kein Verstoß gegen Bestimmungen des Grundgesetzes erkennbar, insbesondere seien die im TEHG getroffenen Zuständigkeitsregeln mit den verfassungsrechtlichen Kompetenzbestimmungen vereinbar.

Die hiergegen gerichtete Verfassungsbeschwerde wurde vom Bundesverfassungsgericht nicht zur Entscheidung angenommen. Die 3. Kammer des Ersten Senats kam zu dem Ergebnis, dass die Verfassungsbeschwerde bereits weitgehend unzulässig ist; insbesondere hält sie, soweit eine Grundrechtsverletzung durch abgeleitetes Gemeinschaftsrecht geltend gemacht wird, nicht die im Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 22. Oktober 1986 (Solange II - Entscheidung) aufgestellten Voraussetzungen ein. Im Übrigen fehlt es an der Erfolgsaussicht der Sache:

1. Die Zuständigkeitsvorschrift des § 20 TEHG ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Die darin geregelte Zuständigkeitsverteilung zwischen Landesbehörden und dem Umweltbundesamt entspricht trotz in der Verwaltungspraxis bestehender Anfangsschwierigkeiten und Auslegungsprobleme noch den rechtsstaatlichen Grundsätzen der Normenklarheit und Widerspruchsfreiheit. § 20 TEHG begründet in der Auslegung durch das Bundesverwaltungsgericht keine verfassungsrechtlich unzulässige Form der Mischverwaltung. Mitentscheidungsbefugnisse zwischen dem Umweltbundesamt und den Landesbehörden sind danach nicht vorgesehen. Das Umweltbundesamt und die Landesbehörden entscheiden für den ihnen jeweils zugewiesenen Sachbereich in eigener Verantwortung. Schließlich werden durch die Zuständigkeitsverteilung in § 20 TEHG auch nicht die Vorgaben des Art. 87 Abs. 3 Satz 1 GG verletzt. Danach kann der Bund für Angelegenheiten, für die ihm die Gesetzgebung zusteht, durch Bundesgesetz selbständige Bundesoberbehörden errichten. Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass der Bund die Aufgabenübertragung an das Umweltbundesamt nach § 20 Abs. 1 Satz 2 TEHG für einen bundeseinheitlichen Vollzug für erforderlich gehalten hat.

2. Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts verletzt wegen der unterlassenen Anrufung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens (Art. 234 EG) nicht das Recht der Beschwerdeführerin auf den gesetzlichen Richter. Liegt zu einer entscheidungserheblichen Frage des Gemeinschaftsrechts einschlägige Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften noch nicht vor oder hat er die entscheidungserhebliche Frage möglicherweise noch nicht erschöpfend beantwortet oder erscheint eine Fortentwicklung der Rechtsprechung nur als entfernte Möglichkeit, so wird Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nur dann verletzt, wenn das letztinstanzliche Hauptsachegericht den ihm in solchen Fällen notwendig zukommenden Beurteilungsrahmen in unvertretbarer Weise überschritten hat. Vorliegend ist eine willkürliche Handhabung des Kooperationsverhältnisses nach Art. 234 EG nicht festzustellen. Das Bundesverwaltungsgericht hat sich mit den Vorgaben der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften bezüglich der gemeinschaftsrechtlichen Grundrechte des Eigentumsschutzes und der Berufsfreiheit auseinandergesetzt und ist zu einem vertretbaren Ergebnis gekommen. Dabei ist es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass das Bundesverwaltungsgericht in Anwendung der gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben eine detailliertere Verhältnismäßigkeitsprüfung als der Gerichtshof durchgeführt hat, die der Kontrolldichte deutscher Gerichte entspricht. Dies ist Teil des Dialogs der Gerichte in der Gemeinschaft.

Vgl. hierzu auch Beschluss des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 13. März 2007; Pressemitteilung Nr. 59/2007 vom 1. Juni 2007