Bundesverfassungsgericht

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Eilantrag abgelehnt: Sternmarsch darf angesichts der Sicherheitsrisiken nicht in der Verbotszone um G8-Tagungsort stattfinden

Pressemitteilung Nr. 64/2007 vom 6. Juni 2007

Beschluss vom 06. Juni 2007
1 BvR 1423/07

Die Antragsteller begehren Eilrechtsschutz für eine Versammlung, die am morgigen Donnerstag, den 7. Juni 2007, in Form eines "Sternmarsches" von verschiedenen Ausgangspunkten aus zu einer Abschlusskundgebung am Standort des G8-Gipfels in Heiligendamm führen soll. Die geplante Veranstaltung wurde von der Versammlungsbehörde verboten. Zugleich erließ sie ein weiträumiges allgemeines Versammlungsverbot rund um den Tagungsort des G8-Gipfels, bestehend aus der Verbotszone I (Bereich des Sperrzauns zuzüglich 200 m) und der Verbotszone II (einige Kilometer vorgelagerter Bereich). Das Verwaltungsgericht Schwerin setzte das Versammlungsverbot teilweise außer Vollzug und erlaubte den Teilnehmern des Sternmarsches, sich bis auf 200 Meter dem Sicherheitszaun um den G8- Tagungsort zu nähern. Das Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern setzte das allgemeine Versammlungsverbot rund um Heiligendamm jedoch wieder in Kraft. Hiergegen richtet sich die mit einem Eilantrag verbundene Verfassungsbeschwerde. Mit ihrem Eilantrag wollen die Antragsteller erreichen, dass ihnen im Wege einer einstweiligen Anordnung die Durchführung des Sternmarsches innerhalb der Verbotszone um den Tagungsort Heiligendamm gestattet wird.

Die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat den Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt.

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:

Es bestehen zwar erhebliche Zweifel an der Tragfähigkeit der Argumentation der Behörde und des Oberverwaltungsgerichts. Im Hinblick auf das Grundrecht der Versammlungsfreiheit ist es insbesondere verfassungsrechtlich bedenklich, den Schutzraum in der Nähe des Ortes des G8-Gipfels bis an die Grenze der Verbotszone II auszudehnen und ein absolutes Demonstrationsverbot in der gesamten Zone am Tage vor und während der Durchführung des Gipfels in erster Linie auf das von der Behörde entwickelte Sicherheitskonzept zu stützen. An dem Sicherheitskonzept ist an keiner Stelle zu erkennen, dass auch Anliegen der Durchführung friedlicher Demonstrationen, insbesondere solcher mit einer inhaltlichen Stoßrichtung gegen den G8 Gipfel, eingeflossen sind.

Letztlich aber kann dahinstehen, ob die vorhandenen Defizite zu einer offensichtlichen verfassungsrechtlichen Fehlerhaftigkeit der Entscheidungen geführt haben. Aufgrund der zwischenzeitlich eingetretenen Entwicklungen, insbesondere der gewalttätigen Auseinandersetzungen seit dem 2. Juni 2007, lässt sich nicht feststellen, dass es zur Abwehr eines den Antragstellern drohenden schweren Nachteils im Sinne des § 32 Abs. 1 BVerfGG geboten ist, dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung stattzugeben.

Bei den Ausschreitungen in Rostock am 2. Juni 2007 wurden mehrere hundert Polizeibeamte verletzt. Zudem ist es zu erheblichen Sachbeschädigungen gekommen. Auch an den Tagen danach bestand in Rostock eine sehr angespannte Situation, die nur aufgrund massiven Eingreifens der Ordnungskräfte und unter Mithilfe eines Teils der friedlichen Demonstranten bewältigt werden konnte. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass ein Teil der gegenwärtig von der Behörde auf über 2.000 geschätzten im Raum Rostock anwesenden gewaltbereiten Personen sich an den von anderen als friedlich geplanten Versammlungen beteiligen und auch gegen den ausdrücklichen Willen der Veranstalter bereit sind, Gewalttätigkeiten gegen Personen und Sachen zu begehen. Die im Zeitpunkt des Erlasses der hier maßgebenden Verfügungen zugrunde gelegte Einschätzung der Sicherheitslage ist im Hinblick auf die gegenwärtige Situation aktualisiert worden. Die Behörde verweist darauf, dass auch am 4. Juni 2007 bei Auseinandersetzungen 50 Polizeibeamte verletzt wurden. Die Vertreter der militanten Szene seien nicht abgereist, sondern rekrutierten "sich immer neu, um friedliche Demonstrationen für ihre gewalttätigen Zwecke zu nutzen". Angesichts der extrem großen Zahl dieser gewaltbereiten und sogar als militant einzustufenden Personen stehe zu befürchten, dass es auch an den Tagen des Gipfeltreffens selbst zu gewalttätigen Ausschreitungen kommen würde. Es bestehe die Gefahr, dass der geplante Sternmarsch zu einem besonderen Anziehungspunkt für militante Störer werde. Dem Gericht liegen keine Anhaltspunkte vor, nach der diese aktualisierte Einschätzung der Gefahrenlage offensichtlich fehlsam ist.

Angesicht der geschilderten Risiken ist es nicht geboten, eine einstweilige Anordnung zur Sicherung der Durchführung der geplanten Versammlung und damit zum Schutze des Grundrechts der Versammlungsfreiheit zu erlassen. Dabei fällt auch ins Gewicht, dass es den Veranstaltern aufgrund der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts nicht verwehrt ist, ihr Anliegen auf einer öffentlichen Versammlung durchzuführen, wenn auch außerhalb der Verbotszone und damit mehrere Kilometer entfernt, aber nicht ohne jeglichen Bezug auf den Ort der Veranstaltung, gegen die sich der Protest richtet.