Bundesverfassungsgericht

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Argentinien-Anleihen: Staatsnotstand berechtigt nicht zur Zahlungsverweigerung gegenüber privaten Gläubigern

Pressemitteilung Nr. 75/2007 vom 5. Juli 2007

Beschluss vom 08. Mai 2007
2 BvM 1/03

Die Republik Argentinien bediente sich im Zusammenhang mit der argentinischen Finanzkrise in erheblichem Umfang des Instruments der Staatsanleihen. Solche Anleihen wurden auch auf dem deutschen Kapitalmarkt aufgelegt und von deutschen Gläubigern gezeichnet. Anfang 2002 erklärte sich Argentinien für zahlungsunfähig und berief sich dabei auf einen Staatsnotstand. Anlässlich mehrerer Klagen deutscher Anleger gegen die Republik Argentinien legte das Amtsgericht Frankfurt dem Bundesverfassungsgericht die Frage vor, ob der seitens der Republik Argentinien erklärte Staatsnotstand wegen Zahlungsunfähigkeit diese kraft einer allgemeinen Regel des Völkerrechts berechtigt, die Erfüllung fälliger Zahlungsansprüche zeitweise zu verweigern.

Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts kam zu dem Ergebnis, dass keine allgemeine Regel des Völkerrechts feststellbar ist, die einen Staat gegenüber Privatpersonen berechtigt, die Erfüllung fälliger privatrechtlicher Zahlungsansprüche unter Berufung auf den wegen Zahlungsunfähigkeit erklärten Staatsnotstand zeitweise zu verweigern.

Die Richterin Lübbe-Wolff hat der Entscheidung eine abweichende Meinung angefügt.

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:

Zum Beleg einer gewohnheitsrechtlichen Geltung kann nicht auf den Konventionsentwurf der Völkerrechtskommission der Vereinten Nationen zur Staatenverantwortlichkeit verwiesen werden, der in Artikel 25 den völkerrechtlichen Staatsnotstand als Rechtfertigungsgrund regelt. Es ist zwar allgemein anerkannt, dass diese Regelung geltendes Völkergewohnheitsrecht darstellt. Allerdings handelt es sich bei dem dort geregelten Notstand um einen Rechtfertigungsgrund in einem Völkerrechtsverhältnis, nicht aber im Verhältnis zwischen Staat und privaten Gläubigern.

Auch die einschlägige Rechtsprechung internationaler und nationaler Gerichte erlaubt nicht die positive Feststellung einer allgemeinen Regel des Völkerrechts, wonach ein Staat berechtigt wäre, gegenüber Privatpersonen den Staatsnotstand einzuwenden. Es fehlt an einer einheitlichen Staatenpraxis, die einen solchen Rechtfertigungsgrund kraft Völkerrechts anerkennt. Die Praxis internationaler Gerichtshöfe bildet insoweit keine hinreichende Grundlage. Zwar haben verschiedene internationale Gerichte (International Centre for Settlement of Investment Disputes; Ständiger Internationaler Gerichtshof; Französisch- Venezolanisch Gemischte Schiedskommission) die Berufung von Staaten auf den Notstand als Rechtfertigung bereits geprüft. Dennoch geben diese Fälle keine Anhaltspunkte für die Übertragbarkeit der Einrede des Staatsnotstands auf Privatrechtsverhältnisse. Denn die Einrede des Notstandes beschränkte sich in den jeweiligen Verfahren auf die völkerrechtlichen Pflichten zwischen den Staaten. Zu der Frage, ob einem Privaten der Staatsnotstand unmittelbar entgegengehalten werden könne, nehmen die Entscheidungen nicht Stellung. Auch die Betrachtung der nationalen Rechtsprechung zur Frage des Staatsnotstands führt mangels übereinstimmender Praxis nicht zu dem Ergebnis, dass die Anerkennung des Staatsnotstands mit Auswirkung auf Privatrechtsverhältnisse gewohnheitsrechtlich verankert sei.

Sondervotum der Richterin Lübbe-Wolff

Nach Auffassung von Richterin Lübbe-Wolff hat der Senat über die Zulässigkeit der Vorlagen nicht nach den in der bisherigen Rechtsprechung entwickelten Maßstäben entschieden. Zudem beantworte der Senat eine Vorlagefrage, die ihm zwar in - zwischenzeitlich aufgehobenen - Vorlagebeschlüssen des Oberlandesgerichts Frankfurt, nicht aber vom Amtsgericht Frankfurt gestellt war, über dessen Vorlagen der Senat allein noch zu entscheiden hatte. Auch die materielle Rechtslage sei nicht die, die der Senat festgestellt habe. Bei der völkerrechtlichen Einrede des Staatsnotstands handle es sich um einen allgemeinen Rechtsgrundsatz, hinter dem allgemein anerkannte Überzeugungen über die Grenzen der Durchsetzbarkeit von Forderungen und den Vorrang elementarer Gemeinwohlbelange stehen. Es gehe dabei um den Vorrang der Pflicht des Staates zur Aufrechterhaltung elementarer Sicherheits- und Daseinsvorsorgeleistungen gegenüber den Forderungen Privater, z.B. der Gläubiger spekulativer Anleihen. Die Notstandseinrede, die diesem Vorrang Geltung verschaffe, sei nicht in der vom Senat angenommenen Weise beschränkt.