Bundesverfassungsgericht

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Beschäftigung eines Strafgefangenen bei einem in der Anstalt tätigen privaten Unternehmen

Pressemitteilung Nr. 6/2008 vom 23. Januar 2008

Beschluss vom 27. Dezember 2007
2 BvR 1061/05

Der Beschwerdeführer ist Strafgefangener in einer Justizvollzugsanstalt. Im Juni 2003 löste die Anstalt ihn aufgrund eines Diebstahlsverdachts von der bis dahin von ihm wahrgenommenen Nebentätigkeit als Einkaufshelfer bei einem privaten Unternehmen ab, das in der Anstalt die Einkaufsstelle für Gefangene betreibt. Nachdem der Beschwerdeführer von dem Diebstahlsvorwurf freigesprochen worden war, wurde die Ablösungsverfügung aufgehoben. Den Antrag des Beschwerdeführers auf Wiedereinsetzung in seine Tätigkeit als Einkaufshelfer lehnte die Vollzugsanstalt mit der Begründung ab, das betreffende Privatunternehmen wolle ihn nicht wieder beschäftigen und die Anstalt könne ihm daher die Wiederaufnahme seiner Tätigkeit nicht ermöglichen. Auch das angerufene Landgericht wies den Antrag zurück, da die unternehmerische Entscheidung, den Beschwerdeführer nicht wieder zu beschäftigen, zu respektieren sei. Entscheidungsprozesse des privaten Unternehmens könnten nicht Gegenstand einer Gefangenenbeschwerde sein. Die Justizvollzugsanstalt sei zwar zur Beseitigung der Folgen der gerichtlich aufgehobenen Ablösungsverfügung verpflichtet. Sie müsse dem Privatunternehmen jedoch die Wiederbeschäftigung des Beschwerdeführers lediglich antragen, was hier geschehen sei.

Der Beschwerdeführer hatte demgegenüber unter Benennung von Zeugen vorgetragen, der zuständige Vertreter des Unternehmens habe sich ihm gegenüber über die Behauptung der Anstalt, er sei zu einer Weiterbeschäftigung nicht bereit, überrascht geäußert und erklärt, von ihm aus könne der Gefangene jederzeit wieder anfangen. Die Verfassungsbeschwerde war erfolgreich. Die 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts hob die angegriffenen Entscheidungen auf.

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:

Werden Gefangene bei privaten Unternehmen beschäftigt, so darf die Zuordnung von Entscheidungsbefugnissen und Verantwortung von Verfassungs wegen nicht so beschaffen sein, dass Gefangene für Ansprüche, die ihr Arbeitsverhältnis betreffen, keinen handlungs- und verantwortungsfähigen Adressaten mehr vorfinden. Grundrechtserhebliche Belange, für die der Gefangene rechtlichen Schutz erwarten darf, müssen entweder, wie im Fall des freien Beschäftigungsverhältnisses, durch privatrechtliche Ansprüche gegenüber dem Unternehmer, oder durch öffentlichrechtliche Verantwortlichkeiten der Anstalt geschützt sein. Das Bundesverfassungsgericht hat dementsprechend die Regelungen des Strafvollzugsgesetzes zur Gefangenenarbeit gerade und nur im Hinblick darauf als verfassungskonform angesehen, dass für die Beschäftigungsverhältnisse der Gefangenen, soweit sie nicht dem Schutz des Arbeitsrechts unterstehen, eine öffentlich-rechtliche Verantwortlichkeit der Anstalt besteht.

Sowohl die Justizvollzugsanstalt als auch das Landgericht haben die grundrechtlichen Anforderungen an den Umgang mit dem Begehren des Beschwerdeführers verkannt. Mit der Frage, wie die vom Beschwerdeführer ausgeübte Einkaufshelfertätigkeit in das Regelwerk des Strafvollzugsgesetzes zur Gefangenenarbeit rechtlich einzuordnen ist, haben sie sich nicht auseinandergesetzt. Sie haben hinsichtlich der Entscheidung über die Wiederbeschäftigung des Beschwerdeführers jede über eine bloße Anregung an das Betreiberunternehmen hinausgehende Verantwortlichkeit der Anstalt verneint. Zugleich bestanden keine Anhaltspunkte dafür, dass anstelle der verneinten Verantwortlichkeit der Anstalt eine privatrechtliche Verantwortlichkeit des Betreiberunternehmens gegenüber dem Beschwerdeführer bestanden hätte; jedenfalls hat weder die Anstalt noch das Landgericht den Beschwerdeführer hierauf verwiesen oder die Rechtslage insoweit geprüft. Es ist nicht hinnehmbar, dass ein Gefangener bei einem privaten Unternehmer Arbeit in einem rechtsfreien Raum leistet, in dem grundrechterhebliche Belange, für die er rechtlichen Schutz erwarten darf, weder durch privatrechtliche Ansprüche gegenüber dem Unternehmer noch durch öffentlichrechtliche Verantwortlichkeiten der Anstalt geschützt sind.

Das Landgericht hat zudem seine Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung verletzt. Es hat entschieden, ohne in ausreichender Weise dem Hinweis des Beschwerdeführers auf eine ihm gegenüber bekundete Weiterbeschäftigungsbereitschaft des Unternehmens und der damit aufgeworfenen Frage nachzugehen, ob die später erklärte ablehnende Haltung auf einer von der Anstalt unbeeinflussten Willensbildung beruhte.