Bundesverfassungsgericht

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Halbanrechnung der Vordienstzeiten in der Zusatzversorgung des öffentlichen Dienstes für Bestandsrentner verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden

Pressemitteilung Nr. 55/2008 vom 15. Mai 2008

Beschluss vom 18. April 2008
1 BvR 759/05

Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes erhalten auf Grund von Versorgungs-Tarifverträgen eine Zusatzversorgungsrente, mit der die Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung aufgestockt wird. Dem System der Zusatzversorgung der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder lag bis zum 31. Dezember 2000 das Gesamtversorgungsprinzip zugrunde. Danach sollte dem Versicherten ein bestimmtes Gesamtversorgungsniveau gewährt werden, das sich an der Beamtenversorgung orientierte. Bei der Berechnung der gesamtversorgungsfähigen Zeit wurde die Zeit der Beschäftigung im öffentlichen Dienst voll berücksichtigt. Einbezogen wurden auch die Beitragszeiten und beitragsfreien Zeiten der gesetzlichen Rentenversicherung, denen keine Beschäftigung im öffentlichen Dienst zugrunde lag (Vordienstzeiten). Diese wurden aber nur zur Hälfte als gesamtversorgungsfähige Zeit gutgeschrieben, während die damals erworbenen Ansprüche aus der gesetzlichen Rentenversicherung in vollem Umfang auf die Gesamtversorgung angerechnet wurden.

In seiner "Halbanrechnungsentscheidung" vom 22. März 2000 hat das Bundesverfassungsgericht in der Halbanrechnung derartiger Vordienstzeiten bei voller Berücksichtigung der gesetzlichen Rente einen Verstoß gegen den Gleichheitssatz gesehen, der nicht länger als bis zum Ablauf des Jahres 2000 hingenommen werden könne.

In der Folgezeit wurde das Gesamtversorgungssystem zum 31. Dezember 2000 geschlossen und durch ein Versorgungspunktemodell ersetzt. Für Bestandsrentner, d. h. für solche Versicherte, die bis zum 1. Januar 2002 versorgungsberechtigt geworden sind, sehen die Regelungen jedoch vor, dass die bisher gegebenenfalls unter Anwendung des Halbanrechnungsgrundsatzes errechneten Beträge weitergezahlt werden. Für den betreffenden Personenkreis findet keine Neuberechnung unter Nichtanwendung des Halbanrechnungsgrundsatzes statt.

Der Beschwerdeführer bezieht seit dem 1. November 2000 eine Zusatzversorgungsrente, die unter Berücksichtigung des Halbanrechnungsgrundsatzes berechnet worden ist. Er klagte vor den Zivilgerichten auf Feststellung, dass vom 1. Januar 2001 an seine Rentenversicherungszeiten, auch soweit sie nicht im öffentlichen Dienst zurückgelegt worden sind, bei der Errechnung seiner Rente voll einzubeziehen seien. Seine Klage blieb ohne Erfolg. Der Bundesgerichtshof kam zu dem Ergebnis, dass die Anwendung des Halbanrechnungsgrundsatzes bei der Berechnung der Versorgungsrente für solche Versicherte, die - wie der Beschwerdeführer - bis zum 31. Dezember 2000 versorgungsberechtigt geworden seien, nicht gegen den Gleichheitssatz verstoße.

Die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat die hiergegen gerichtete Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen. Die vom Bundesgerichtshof vorgenommene Bewertung steht nicht im Widerspruch zur Halbanrechnungsentscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Auch ansonsten ist die Entscheidung der Tarifvertragsparteien, für den vor dem 2. Januar 2002 in Rente gegangenen Personenkreis die Rente gegebenenfalls unter Anwendung der Halbanrechnungsregelung zu berechnen, verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

Dem Nichtannahmebeschluss liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:

1. Der Bundesgerichtshof hat zutreffend angenommen, dass das Bundesverfassungsgericht in der Halbanrechnungsentscheidung nicht gemeint hat, dass für alle Rentner, insbesondere auch für diejenigen mit einem vor dem 1. Januar 2001 liegenden Rentenbeginn, die Rente ab dem 1. Januar 2001 nicht mehr von der Halbanrechnung beeinflusst sein dürfe. Die Bewertung des Bundesverfassungsgerichts in der Halbanrechnungsentscheidung stützt sich vielmehr auf eine Vielzahl von Aspekten, die sich nicht gleichzeitig und schlagartig auswirken. Vor diesem Hintergrund ist es mit der Halbanrechnungsentscheidung des Bundesverfassungsgerichts vereinbar, den Ablauf des Jahres 2000 als den Zeitpunkt für den Beginn der erforderlichen Systemumstellung zu verstehen, nicht aber als einen Zeitpunkt, ab dem keine Rente mehr von der Halbanrechnung beeinflusst sein dürfte.

2. Die Billigung der Entscheidung der Tarifvertragsparteien durch den Bundesgerichtshof, für Bestandsrentner die Rente gegebenenfalls unter Anwendung der Halbanrechnungsregelung zu berechnen, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

Die Übergangsregelung erging im Gefolge des Entschlusses, das 1967 eingeführte, an der Beamtenversorgung orientierte Gesamtversorgungssystem aufzugeben. Die Tarifvertragsparteien wollten nicht nur vor dem Hintergrund eines Wandels der typischen Erwerbsbiographie, sondern auch vor dem Hintergrund einer ständig abnehmenden Attraktivität der Beamtenversorgung den Wert der Annäherung der Versorgung der Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes an die Beamtenversorgung nicht mehr höher veranschlagen als das Interesse an einer Proportionalität zwischen im öffentlichen Dienst erbrachter Arbeitsleistung und im öffentlichen Dienst bezogener Altersversorgung. Insoweit haben die Tarifvertragsparteien neue Bewertungen vorgenommen, in die gewandelte gesellschaftliche Vorstellungen eingeflossen sind. Die Tarifvertragsparteien durften einen solchen Anschauungswandel nicht nur aufgreifen, sondern durften im Rahmen ihres Beurteilungsspielraums grundsätzlich auch den Zeitpunkt ihrer Reaktion festlegen. Die Entscheidung der Tarifvertragsparteien, für den vor dem 2. Januar 2002 in Rente gegangenen Personenkreis von einer nach den bisherigen Regeln berechneten Rente auszugehen, ist überdies von der Notwendigkeit mitgeprägt, eine Massenerscheinung zu ordnen. Deswegen durfte hier auch eine generalisierende, typisierende und pauschalisierende Regelung getroffen werden. Dass mit der von den Tarifvertragsparteien konzipierten Regelung in Einzelfällen Härten verbunden sein können, steht deshalb ihrer Rechtfertigung nicht entgegen.