Bundesverfassungsgericht

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Regelung über Versorgungsabschlag für teilzeitbeschäftigte Beamte nichtig

Pressemitteilung Nr. 72/2008 vom 11. Juli 2008

Beschluss vom 18. Juni 2008
2 BvL 6/07

Die Höhe des Ruhegehalts eines Beamten bestimmt sich nach Prozentsätzen der ruhegehaltfähigen Dienstbezüge, den Ruhegehaltssätzen. Bis zum 31.Dezember 1991 galt für die Berechnung des Ruhgehaltssatzes eine degressive Tabelle. Das Ruhegehalt betrug bei Vollendung einer zehnjährigen ruhegehaltfähigen Dienstzeit 35 %. Mit jedem weiteren Dienstjahr bis zum 25. Dienstjahr stieg es um 2 %, dann um 1 % der ruhegehaltfähigen Dienstbezüge bis zu einem Höchstruhegehaltssatz von 75 %. Den Höchstruhegehaltssatz erreichte der Beamte nach 35 ruhegehaltfähigen Dienstjahren. Diese degressive Staffelung führte in vielen Fällen zu einer vergleichsweisen Besserstellung von Teilzeitbeamten gegenüber vollzeitbeschäftigten Beamten. Zum Ausgleich dieser Besserstellung sah das Beamtenversorgungsrecht seit dem Jahr 1984 bei Teilzeitbeschäftigung eine zeitanteilige Verminderung des Ruhegehaltssatzes vor. Diese wurde nach § 14 Abs. 1 Beamtenversorgungsgesetz in der bis zum 31. Dezember 1991 geltenden Fassung berechnet, indem zunächst der fiktive Ruhegehaltssatz ermittelt wurde, den der Beamte erreicht hätte, wenn er nicht Teilzeit, sondern Vollzeit gearbeitet hätte. Dieser fiktive Ruhegehaltssatz wurde sodann in dem Verhältnis vermindert, in dem die tatsächliche ruhegehaltfähige Dienstzeit des Beamten zu der ruhegehaltfähigen Dienstzeit stand, die er im Falle einer Vollzeitbeschäftigung erreicht hätte (Versorgungsabschlag für teilzeitbeschäftigte Beamte).

Ab dem 1. Januar 1992 wurde die degressive Ruhegehaltstabelle durch eine lineare Tabelle ersetzt. Eines Versorgungsabschlags der vorbeschriebenen Art bedurfte es unter Geltung dieser neuen Ruhegehaltstabelle nicht mehr. Die Vorschrift des § 14 Abs. 1 BeamtVG a.F. blieb indes kraft der Übergangsvorschrift des § 85 BeamtVG für die Berechnung des Ruhegehalts derjenigen Teilzeitbeamten anwendbar, die bereits am 31. Dezember 1991 im Beamtenverhältnis standen.

Mit Urteil vom 23. Oktober 2003 entschied der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften, dass die Regelung des § 85 BeamtVG in Verbindung mit § 14 Abs. 1 BeamtVG a.F. im Widerspruch zu dem Grundsatz des gleichen Entgelts für Männer und Frauen aus Art. 141 EG steht. Die Anwendung der Bestimmungen könne dazu führen, dass Teilzeitdienst bei gleicher Zahl abgeleisteter Dienststunden zu einem niedrigeren Ruhegehalt führe als Vollzeitdienst. Hierin liege - wenn eine Mehrheit der Teilzeitbeschäftigten weiblichen Geschlechts seien - einemittelbare Diskriminierung weiblicher Arbeitnehmer. Die Wirkung seines Urteils beschränkte der Europäische Gerichtshof aus Gründen der Rechtssicherheit auf Leistungen, die für Beschäftigungszeiten nach dem 17. Mai 1990 geschuldet werden.

Die Klägerin des Ausgangsverfahrens ist seit 1971 Beamtin. Bis zu ihrer Versetzung in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit mit Wirkung vom 1. August 1998 war sie überwiegend teilzeitbeschäftigt. Ihr Ruhegehaltssatz wurde für die Zeit vor dem 17. Mai 1990 auf der Grundlage von § 14 Abs. 1 BeamtVG a.F. berechnet, so dass für diesen Zeitraum der Versorgungsabschlag voll wirksam wurde. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof setzte im Berufungsverfahren den Rechtsstreit aus und legte dem Bundesverfassungsgericht die Frage zur Entscheidung vor, ob die Regelung des § 14 Abs. 1 BeamtVG in der bis zum 31. Dezember 1991 geltenden Fassung über den Versorgungsabschlag mit dem Grundgesetz vereinbar ist.

Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts kam zu dem Ergebnis, dass die beanstandete Regelung mittelbar eine geschlechterdiskriminierende Wirkung im Sinne von Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG hat und sie daher nichtig ist.

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:

Durch die Berechnung des Ruhegehaltssatzes nach § 85 Abs. 4 Satz 2 BeamtVG in Verbindung mit § 14 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 und 3 BeamtVG a.F. werden mittelbar Frauen benachteiligt, da von der Möglichkeit der Teilzeitbeschäftigung in weitaus überwiegendem Maße Frauen Gebrauch machen. Infolge der vorgegebenen Berechnungsweise erhalten teilzeitbeschäftigte Beamte im Vergleich zu einem Vollzeitbeamten einen geringeren Ruhegehaltssatz, obwohl sie die gleichen ruhegehaltfähigen Dienstzeiten erbracht haben. Diese Diskriminierung kann nicht durch sonstige Güter von Verfassungsrang gerechtfertigt werden.

1. Angesichts der mit der Ausweitung der Teilzeitbeschäftigungsmöglichkeiten verbundenen Kostenlast für die öffentlichen Haushalte sollte der Versorgungsabschlag unter anderem der Kostenneutralität dienen. Es ist jedoch nicht gerechtfertigt, zur Erreichung der Kostenneutralität gerade die überwiegend weiblichen Teilzeitbeschäftigten heranzuziehen. Bei arbeitsmarktpolitischer Teilzeit machen Frauen zudem von einer Möglichkeit der Beschäftigung Gebrauch, die ihnen auch im Interesse des Staates zur Schaffung von Arbeitsplätzen eingeräumt wurde. Es ist nicht zu rechtfertigen, von denen, die von der so geschaffenen Möglichkeit Gebrauch machen, einen besonderen Beitrag zur Finanzierung dieses Systems zu verlangen. Auch in den Fällen, in welchen die Teilzeitbeschäftigungsmöglichkeit aus familiären Gründen in Anspruch genommen wird, ist es nicht gerechtfertigt, die in dieser Weise tätigen Beamten mit einem Sonderbeitrag zur (Mit-)Finanzierung der Versorgungslasten des Gesamtsystems zu belasten.

2. Die Ungleichbehandlung kann auch nicht damit gerechtfertigt werden, dass der Versorgungsabschlag der Vermeidung einer Besserstellung teilzeitbeschäftigter Beamter diene. Zwar führt die Anwendung allein der degressiven Ruhegehaltstabelle im Einzelfall dazu, dass Teilzeitbeschäftigte trotz im Vergleich zu einem Vollzeitbeschäftigen geringerer ruhegehaltfähiger Dienstzeit den gleichen Ruhegehaltssatz erreichen. Dies betrifft jedoch allein Fälle, in denen es um die Mindestsicherung des Beamten bei nur kurzer Dienstzeit geht. Die Mindestsicherung knüpft aber nicht an den Umstand der Teilzeitbeschäftigung an. Im Vordergrund steht vielmehr die Grundabsicherung, welche die amtsangemessene Alimentierung des Beamten und seiner Familie auch in Fällen nur kurzer Dienstleistung zum Ziel hat.

3. Auch das Leitbild des Vollzeitbeamten kann die Belastung der weit überwiegend weiblichen teilzeitbeschäftigten Beamten in der Versorgung sachlich nicht rechtfertigen. Den Umstand, dass der Teilzeitbeamte vom Leitbild des Vollzeitbeamten abweicht, kann der Gesetzgeber zwar grundsätzlich zum Anknüpfungspunkt besoldungsrechtlicher Regelungen machen. Jedoch endet die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers dort, wo sich die Regelungen in unverhältnismäßiger Weise benachteiligend für Beamte eines Geschlechts auswirken. Diese Grenze ist vorliegend überschritten. Dem stehen sowohl der weit reichende Schutzzweck des Diskriminierungsverbots des Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG als auch die Ziele, welche der Einführung von Teilzeitmöglichkeiten zu Grunde lagen, entgegen. Die Einführung der Teilzeit lag zum einen im arbeitsmarktpolitischen Interesse des Staates. Aufgrund eines Überangebotes vor allem an Lehrern sollten durch eine Erweiterung der Teilzeitmöglichkeiten zusätzliche Arbeitsplätze im öffentlichen Dienst geschaffen werden. Dann ist es jedoch widersprüchlich, diejenigen Beamten, die sich der Zielvorgabe entsprechend verhalten, mittelbar in einer an das Geschlecht anknüpfenden Weise dadurch zu diskriminieren, dass teilzeitbeschäftigte Frauen im Ergebnis eine schlechtere Versorgung erhalten. Die Zulassung der Teilzeit vollzog sich zum anderen aus familienpolitischen Gründen vor dem Hintergrund des Schutzes von Ehe und Familie. Sie dient der Vereinbarkeit von Familie und Beruf und damit der effektiven Wahlfreiheit in der Entscheidung über Rollenwahl und Rollenverteilung in Ehe, Familie und Beruf. Vor diesem Hintergrund ist es nicht gerechtfertigt, den intendierten Schutz von Ehe und Familie durch finanzielle Nachteile im Bereich der Versorgung von Beamten teilweise wieder auszuhöhlen.