Bundesverfassungsgericht

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Entscheidung über Gegenvorstellung setzt keine neue Frist zur Einlegung einer Verfassungsbeschwerde in Lauf "Übergangsfrist" bis 2. März 2009

Pressemitteilung Nr. 3/2009 vom 22. Januar 2009

Beschluss vom 25. November 2008
1 BvR 848/07

Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts hob eine Entscheidung des Anwaltsgerichts wegen des Verstoßes gegen das Grundrecht der freien Berufsausübung auf, die eine Rüge zum Gegenstand hatte, die dem Beschwerdeführer, einem Rechtsanwalt, wegen Umgehung des Gegenanwalts erteilt worden war. Dabei stellte sich die für die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde relevante Frage, ob eine vom Fachgericht in der Sache beschiedene Gegenvorstellung die Monatsfrist zur Einlegung und Begründung einer Verfassungsbeschwerde erneut in Gang setzt. Diese Frage, die bisher vom Bundesverfassungsgericht nicht geklärt war, hat der Senat verneint. Wegen der bisher unklaren Rechtslage wurde dem Beschwerdeführer, der zunächst Gegenvorstellung erhoben hatte, von Amts wegen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt. In künftigen Fällen wird bei der Prüfung dieser Frage nur noch für den Zeitraum von einem fehlenden Verschulden hinsichtlich des Fristversäumnisses ausgegangen werden können, der erforderlich ist, um dem Rechtsuchenden Gelegenheit zu geben, sich auf die nun geklärte Rechtslage einzustellen und entsprechend zu reagieren. Einem Beschwerdeführer, der bisher von der Einlegung der Verfassungsbeschwerde abgesehen hatte, weil er zunächst eine Gegenvorstellung erhoben hatte, wird daher nur dann Wiedereinsetzung zu gewähren sein, wenn er die Verfassungsbeschwerde unverzüglich bis spätestens Montag, den 2. März 2009 nachholt.

Der Beschwerdeführer vertrat einen Antragsteller in einer Wohnungseigentumssache vor Gericht. In der mündlichen Verhandlung schloss die in dieser Sache ebenfalls anwaltlich vertretene Antragsgegnerin auf Vorschlag des Gerichts einen unwiderruflichen Vergleich, obwohl ihr Rechtsanwalt aufgrund einer fehlerhaften Mitteilung des Gerichts in der mündlichen Verhandlung nicht anwesend war. Der Rechtsanwalt der Antragsgegnerin beschwerte sich bei der Rechtsanwaltskammer und diese erteilte dem Beschwerdeführer wegen eines Verstoßes gegen das Umgehungsverbot aus § 12 Abs. 1 BORA eine Rüge. Gegen diese legte der Beschwerdeführer Einspruch ein, der von der Rechtsanwaltskammer zurückgewiesen wurde. Den daraufhin vom Beschwerdeführer gestellten Antrag auf gerichtliche Entscheidung wies das Anwaltsgericht zurück. Dagegen erhob der Beschwerdeführer Gegenvorstellung, die vom Anwaltsgericht zurückgewiesen wurde. Mit seiner Verfassungsbeschwerde, die sich gegen alle angeführten Entscheidungen richtet, rügt der Beschwerdeführer die Verletzung von Art. 12 Abs. 1 GG und Art. 103 Abs. 1 GG.

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:

Bei Einlegung der Verfassungsbeschwerde war die dafür bestimmte Frist (§ 93 Abs. 1 S. 1 BVerfGG) bereits verstrichen, weil die Entscheidung des Anwaltsgerichts über die von dem Beschwerdeführer erhobene Gegenvorstellung für den Beginn dieser Frist nicht maßgebend ist. Der Zulässigkeit steht dies jedoch nicht entgegen; denn der Senat gewährt dem Beschwerdeführer hinsichtlich der versäumten Frist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.

Die Gegenvorstellung zählt nicht zu dem Rechtsweg, dessen Erschöpfung § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG grundsätzlich als Voraussetzung für die Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde bestimmt und dessen rechtzeitiges Beschreiten folgerichtig die Frist zur Einlegung und Begründung der Verfassungsbeschwerde offenhält. Mit der Gegenvorstellung wendet sich der Betroffene vielmehr außerhalb der einschlägigen Verfahrensordnung und außerhalb förmlicher Verfahrensrechte an das Gericht mit dem Ziel einer Überprüfung einer Entscheidung.

In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts war bislang nicht geklärt, welche Folgen aus der seit dem Plenarbeschluss vom 30. April 2003 geänderten Rechtsprechung zur Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde gegenüber außerordentlichen Rechtsbehelfen für das Offenhalten der Monatsfrist des § 93 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG bei Einlegung einer Gegenvorstellung zu ziehen sind. Gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung und Begründung der Verfassungsbeschwerde ist dem Beschwerdeführer wegen der bisher unklaren Rechtslage von Amts wegen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Sämtliche Voraussetzungen dafür liegen vor, insbesondere hat der Beschwerdeführer die verspätete Einlegung der Verfassungsbeschwerde nicht verschuldet.

Die dem Beschwerdeführer erteilte Rüge und die diese Maßnahme bestätigenden Entscheidungen des Kammervorstandes und des Anwaltsgerichts verletzen den Beschwerdeführer auch in seinem durch Art. 12 Abs. 1 GG garantierten Grundrecht auf freie Berufsausübung.

Das Umgehungsverbot aus § 12 Abs. 1 BORA begegnet zwar keinen grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Bedenken. Auch wenn mit diesem Verbot in die Freiheit der Berufsausübung eingegriffen wird, weil es Rechtsanwälten den unmittelbaren Kontakt mit anwaltlich vertretenen Gegnern grundsätzlich untersagt und damit deren berufliche Tätigkeit reglementiert, ist diese Beschränkung der Berufsfreiheit durch vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls, nämlich den Schutz des Gegners vor Überrumpelung und damit auch einer funktionsfähigen Rechtspflege, legitimiert.

Ungeachtet der hiernach verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden rechtlichen Grundlage verletzen die angegriffenen Entscheidungen des Vorstandes der Rechtsanwaltskammer und des Anwaltsgerichts den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf Berufsfreiheit, weil die Auslegung des Umgehungsverbots nicht hinreichend Bedeutung und Tragweite der durch Art. 12 Abs. 1 GG garantierten Freiheit der Berufsausübung berücksichtigt. Die strikte Einhaltung des Umgehungsverbots hätte von dem Beschwerdeführer verlangt, in der mündlichen Verhandlung vor Gericht keine Vergleichsverhandlungen mit der Antragsgegnerin zu führen und insbesondere keinen Prozessvergleich abzuschließen, obwohl nicht festgestellt wurde, dass die Antragsgegnerin im konkreten Fall des Schutzes vor Überrumpelung bedurfte. Dies hätte jedoch offensichtlich dem Interesse des eigenen Mandanten an einer zügigen und sachgerechten Beendigung des Rechtsstreits durch Abschluss eines Prozessvergleichs widersprochen, zu der der Rechtsanwalt vertraglich verpflichtet ist. Unter diesen Umständen scheidet eine berufsrechtliche Ahndung allein als Sanktion unkollegialen Verhaltens aus.