Bundesverfassungsgericht

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Abgabe an den Absatzfonds der Land- und Ernährungswirtschaft mit dem Grundgesetz nicht vereinbar

Pressemitteilung Nr. 10/2009 vom 3. Februar 2009

Urteil vom 03. Februar 2009
2 BvL 54/06

Zur Absatzförderung der deutschen Land-und Ernährungswirtschaft gibt es seit 1969 den als Anstalt des öffentlichen Rechts nach dem Absatzfondsgesetz gegründeten Absatzfonds, der sich zur Erfüllung seiner Aufgaben der "Centralen Marketinggesellschaft der deutschen Argrarwirtschaft mbH" (CMA) und der "Zentralen Markt- und Preisberichtstelle für Erzeugnisse der Land-, Forst- und Ernährungswirtschaft GmbH" (ZMP) bedient (vgl. Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts Nr. 75/2008 vom 16. Juli 2008). Die Finanzierung dieser Einrichtungen beruht im Wesentlichen auf Abgaben, die von bestimmten Betrieben der Land- und Ernährungswirtschaft erhoben werden. Diese Abgaben nach dem Absatzfondsgesetz waren bereits im Jahr 1990 Gegenstand der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss vom 31. Mai 1990, BVerfGE 82, 159). Das Bundesverfassungsgericht sah unter den damals gegebenen Voraussetzungen das Absatzfondsgesetz nur insoweit als verfassungswidrig an, als dieses die Forstwirtschaft in den Kreis der Abgabenschuldner einbezog.

Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts hat jetzt entschieden, dass die Regelungen des Absatzfondsgesetzes zur Abgabenerhebung jedenfalls seit dem 1. Juli 2002 mit dem Grundgesetz (Art. 12 in Verbindung mit Art. 105 und Art. 110) unvereinbar und nichtig sind. Die Abgabe ist eine unzulässige Sonderabgabe, denn es fehlt an einer Finanzierungsverantwortung der deutschen Land- und Ernährungswirtschaft für die staatliche Absatzförderung.

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:

Bei der Abgabe nach § 10 Absatzfondsgesetz handelt es sich um eine Sonderabgabe mit Finanzierungsfunktion, die den strengen verfassungsrechtlichen Zulässigkeitsanforderungen an solche Sonderabgaben unterliegt. Diese Anforderungen erfüllt die Abgabe nach § 10 Absatzfondsgesetz nicht. Sie ist keine Steuer, denn sie wird nicht als Gemeinlast auferlegt; den Abgabepflichtigen wird vielmehr als einer bestimmten Gruppe von Wirtschaftsunternehmen wegen einer besonderen Nähe zu der zu finanzierenden Aufgabe eine spezielle Finanzierungsverantwortung zugewiesen.

Sonderabgaben unterliegen nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts engen Grenzen und müssen gegenüber den Steuern seltene Ausnahmen bleiben. Der Gesetzgeber darf sich der Abgabe nur im Rahmen der Verfolgung eines Sachzwecks bedienen, der über die bloße Mittelbeschaffung hinausgeht. Als Adressat kommt nur eine homogene Gruppe in Betracht, die in einer spezifischen Beziehung (Sachnähe) zu dem mit der Abgabenerhebung verfolgten Zweck steht und der deshalb eine besondere Finanzierungsverantwortung zugerechnet werden kann. Das Abgabenaufkommen muss gruppennützig verwendet werden. Zusätzlich muss der Gesetzgeber im Interesse wirksamer parlamentarisch-demokratischer Legitimation und Kontrolle die erhobenen Sonderabgaben haushaltsrechtlich vollständig dokumentieren.

Nach diesen Maßstäben stellt die Abgabe zum Absatzfonds eine verfassungsrechtlich unzulässige Sonderabgabe dar, denn es fehlt ein rechtfertigender Zusammenhang zwischen Gruppenhomogenität und Sachnähe einerseits und einer spezifischen Finanzierungsverantwortung der Abgabepflichtigen für die Wahrnehmung der Aufgabe andererseits.

Es handelt sich bei dieser Abgabe nicht um eine Sonderabgabe, die bei der Zurechnung von Sonderlasten der Abgabepflichtigen an den Verursachungsgedanken anknüpft und ihre Rechtfertigung in einer Verantwortlichkeit für die Folgen gruppenspezifischer Zustände oder Verhaltensweisen finden kann, sondern um eine zwangsweise durchgeführte Fördermaßnahme, zu deren Finanzierung die Gruppe der Abgabepflichtigen nur aus Gründen eines Nutzens herangezogen wird, den der Gesetzgeber dieser Gruppe zugedacht hat. Der Staat greift hier auf der Grundlage des Absatzfondsgesetzes mit wirtschaftspolitisch begründeten Förderungsmaßnahmen gestaltend in die Wirtschaftsordnung ein und weist den erst dadurch entstehenden Finanzierungsbedarf den mit der Abgabepflicht belasteten Unternehmen zu. Diese finanzielle Inanspruchnahme für die staatliche Aufgabenwahrnehmung, die durch hoheitliche Entscheidung an die Stelle des individuellen unternehmerischen Handelns tritt, stellt sich aus der Sicht des Abgabepflichtigen nicht nur als eine rechtfertigungsbedürftige, zur Steuer hinzutretende Sonderbelastung, sondern auch als Verkürzung seiner durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützten unternehmerischen Freiheit dar und bedarf auch insoweit besonderer Rechtfertigung. Für die nach dem Absatzfondsgesetz im Schwerpunkt entfalteten Werbemaßnahmen für Produkte der Land- und Ernährungswirtschaft tritt diese freiheitsbeschränkende Qualität der Abgabe besonders augenfällig in Erscheinung, denn die finanzielle Inanspruchnahme für solche Werbemaßnahmen kann auch als Schmälerung des eigenen unternehmerischen Werbeetats angesehen werden.

Verfassungsrechtlich zulässige agrar- und ernährungspolitische Ziele sowie mögliche positive Effekte staatlicher Werbemaßnahmen für einen bestimmten Wirtschaftszweig reichen allein für einen greifbaren Gruppennutzen zur Rechtfertigung einer Finanzierung durch Sonderabgaben statt durch Steuern nicht aus. Dies gilt auch deshalb, weil es für die Vermutung eines Mehrwerts staatlich organisierter im Vergleich mit privatwirtschaftlicher Werbung keine hinreichenden Anhaltspunkte gibt. Lässt sich eine Finanzierungsverantwortung der Abgabepflichtigen praktisch ausschließlich mit Blick auf Zweck und Wirkung staatlicher Förderungsmaßnahmen zugunsten der belasteten Gruppe begründen, bestehen in Bezug auf die gruppennützige Verwendung erhöhte Anforderungen: Der Gruppennutzen muss evident sein. Dies kann zwar dann der Fall sein, wenn staatliche Förderungsmaßnahmen erforderlich sind, um erhebliche Beeinträchtigungen oder spezielle Nachteile, z.B. auch solche im transnationalen Wettbewerb, abzuwehren oder auszugleichen. An einer derartigen, das Absatzfondsgesetz ursprünglich tragenden Rechtfertigung fehlt es aber jedenfalls seit dem im Ausgangsverfahren betroffenen Streitjahr 2002.

Während das Vorliegen abzuwehrender Nachteile im innergemeinschaftlichen Wettbewerb bei der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im Jahr 1990 noch in vertretbarer Weise angenommen werden konnte, hat sich die Situation der deutschen Land- und Ernährungswirtschaft seitdem so deutlich stabilisiert, dass von einem Erfordernis, erhebliche Beeinträchtigungen der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Land- und Ernährungswirtschaft durch staatlich organisierte Werbung abzuwehren, nicht mehr gesprochen werden kann.