Bundesverfassungsgericht

Sie sind hier:

Regelung zur staatlichen finanziellen Förderung jüdischer Gemeinden in Brandenburg verfassungswidrig

Pressemitteilung Nr. 60/2009 vom 16. Juni 2009

Beschluss vom 12. Mai 2009
2 BvR 890/06

Nach dem Vertrag vom 11. Januar 2005 zwischen dem Land Brandenburg und der Jüdischen Gemeinde - Land Brandenburg wendet das Land Brandenburg der jüdischen Gemeinschaft in Brandenburg zur Aufrechterhaltung jüdischen Gemeindelebens jährlich einen Betrag von 200.000 € zu. Dieser Betrag wird nach Art. 8 Abs. 1 des Vertrages von dem Landesverband der Jüdischen Gemeinden - Land Brandenburg, der den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts besitzt und die mitgliederstärkste jüdische Religionsgemeinschaft in Brandenburg ist, für alle jüdischen Gemeinden des Landes unabhängig von ihrer Mitgliedschaft im Landesverband verwaltet; der Landesverband ist verpflichtet, sämtliche Gemeinden angemessen daran zu beteiligen. Darüber hinaus gewährt der Vertrag dem Landesverband bestimmte Privilegien u. a. in den Bereichen Feiertagsrecht, Anstaltsseelsorge, Betreiben von Schulen und Friedhöfen, Befreiung von Gebühren und Zurverfügungstellung von Sendezeiten im öffentlich-rechtlichen Rundfunk.

Außer dem Landesverband existiert in Brandenburg der eingetragene Verein Gesetzestreue Jüdische Landesgemeinde Brandenburg, der die Glaubensrichtung des Landesverbandes nicht teilt und ihm daher auch nicht angehört. Zwischen beiden Religionsgemeinschaften besteht vielmehr ein Konkurrenzverhältnis. Nach Abschluss des Vertrages beteiligte der Landesverband die Gesetzestreue Jüdische Landesgemeinde zunächst nicht an der vom Land zugewendeten Summe; erst seit Dezember 2007 wird ihr rückwirkend und für die Zukunft ein monatlicher Betrag von 1020 € zugewandt.

Mit ihren Verfassungsbeschwerden wenden sich die Gesetzestreue Jüdische Landesgemeinde Brandenburg und eines ihrer Mitglieder unmittelbar gegen die vertraglichen Regelungen in Verbindung mit dem vom Brandenburgischen Landtag erlassenen Zustimmungsgesetz. Sie sehen sich dadurch in ihren Grundrechten verletzt, dass sie durch die vertragliche Regelung von einem unmittelbaren Leistungsanspruch gegen das Land Brandenburg und darüber hinaus auch von den übrigen Privilegierungen des Vertrages ausgeschlossen würden.

Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts entschied daraufhin, dass die Regelung zur Vergabe der Mittel durch den Landesverband in Art. 8 Abs. 1 des Vertrages mit den aus Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG folgenden leistungs- und teilhaberechtlichen Gehalten des Grundrechts der Religionsfreiheit in Verbindung mit dem aus dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG abzuleitenden Gebot der Unparteilichkeit unvereinbar und daher nichtig ist. Für die vergangene Zeit bis zu einer Neuregelung hat das Land Brandenburg der Gesetzestreuen Jüdischen Landesgemeinde Brandenburg unter Anrechnung der vom Landesverband bereits zugewendeten Beträge eine finanzielle Förderung zukommen zu lassen, die gemessen an der dem Landesverband zugewandten Summe Paritätsgesichtspunkten entspricht.

Soweit sich die Verfassungsbeschwerden gegen weitere Vorschriften des Vertrages wenden, sind sie unzulässig.

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:

Das Grundrecht auf Glaubensfreiheit nach Art. 4 GG gewährleistet unter anderem die religiöse Vereinigungsfreiheit, also die Freiheit, aus gemeinsamem Glauben sich zu einer Religionsgesellschaft zusammenzuschließen. Dabei ist die materielle Ausstattung von hoher Bedeutung für die Freiheit der Religionsausübung der Religionsgesellschaften. Zwar lassen sich aus Art. 4 GG keine Ansprüche auf bestimmte staatliche Leistungen ableiten, doch entfaltet Art. 4 GG bezogen auf die finanzielle Förderung von Religionsgesellschaften auch eine leistungs- und teilhaberechtliche Komponente. Diese kann den Staat auch zu Vorkehrungen organisatorischer Art verpflichten. Dabei ist auch das Gebot religiöser und weltanschaulicher Neutralität des Staates zu berücksichtigen.

Gibt der Staat die Vergabe von ihm bereitgestellter Mittel an Religionsgesellschaften aus der Hand, so hat er darüber hinaus die Anforderungen des Rechtsstaatsprinzips zu beachten. Dem Rechtsstaatsprinzip ist zu entnehmen, dass Entscheidungen eines Aufgabenträgers in eigener Sache nur in begrenztem Umfang zulässig sind. Zwar ist von der Rechtsprechung in anderen Rechtsbereichen ein generelles Gebot der Unparteilichkeit des Verwaltungsträgers und der ihn vertretenden Behörde bisher nicht angenommen worden. Jedenfalls in dem von Art. 4 GG geprägten Bereich finanzieller Förderung von Religionsgesellschaften durch den Staat ist dieser aber verpflichtet, die Entstehung einer strukturellen Gefährdungslage hinsichtlich der Gehalte des Art. 4 GG zu verhindern. Durch die Aufgabenübertragung darf nicht eine Situation entstehen, in der die mit der Aufgabe betraute Religionsgesellschaft als selbst anspruchsberechtigter Grundrechtsträger regelmäßig über einen Gegenstand zu entscheiden hat, in Bezug auf den eine andere, möglicherweise konkurrierende Religionsgesellschaft die gleiche grundrechtliche Berechtigung geltend machen kann. Eine derartige Interessenkollision, die gleichzeitig mit einem Abhängigkeitsverhältnis zulasten der anderen betroffenen Religionsgesellschaft verbunden ist, steht der Grundrechtsverwirklichung im Bereich des Art. 4 GG entgegen.

Die angegriffene Regelung ist nach ihrer Entstehungsgeschichte und ihrem Sinn und Zweck so zu verstehen, dass mit ihr eine abschließende Regelung der Förderung jüdischer Gemeinden in Brandenburg getroffen und darüber hinausgehende Ansprüche von jüdischen Gemeinden gegen das Land ausgeschlossen werden sollten. Damit war beabsichtigt, das Land von der Verantwortung für eine gerechte Verteilung der Mittel zu entlasten und die Fördermittel für jüdische Gemeinden auf den vertraglich vereinbarten Betrag zu begrenzen. Dementsprechend lehnte das Land in der Folge gegenüber der Gesetzestreuen Jüdischen Landesgemeinde Brandenburg seine Verantwortlichkeit unter Verweis auf die vertragliche Regelung stets ab.

Die angegriffene Regelung ist nicht deshalb verfassungsrechtlich unbedenklich, weil es sich bei der Mittelvergabe um die Wahrnehmung einer eigenen Angelegenheit des Landesverbandes handelte. Trotz der zunächst vollständigen Zuweisung der Mittel an den Landesverband werden diese nicht vollständig zum Gegenstand seines Selbstbestimmungsrechtes nach Art. 137 Abs. 3 WRV in Verbindung mit Art. 140 GG, da dieses nicht die rechtliche Einwirkung auf den internen Bereich anderer Religionsgesellschaften decken kann.

Die angegriffene Regelung verletzt die Gesetzestreue Jüdische Landesgemeinde in ihrem Grundrecht aus Art. 4 Abs. 1 GG, weil die Beauftragung des Landesverbandes mit der Weitergabe der vom Land bereitgestellten Mitteln diesen in eine Situation institutioneller Befangenheit versetzt. Der Landesverband steht dem Land selbst als Grundrechtsträger gegenüber. Da der Vertrag die Entscheidung über die Höhe des weiterzureichenden Betrags vollständig in die Hände des Landesverbandes legt, wird dieser dadurch verpflichtet, die Grenzen seiner eigenen Berechtigung selbst abzustecken. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass der Landesverband ein starkes Eigeninteresse an den Geldern hat. Mit den Geboten staatlicher Neutralität sowie einer rechtsstaatlichen Verwaltungsorganisation ist ebenfalls unvereinbar, dass die Gesetzestreue Jüdische Landesgemeinde durch die angegriffene Regelung in ein Verhältnis der Abhängigkeit gegenüber dem Landesverband gebracht wird.

Der festgestellte Grundrechtsverstoß betrifft nur die Beauftragung des Landesverbandes mit der Verwaltung der vom Land bereitgestellten Mittel und der Beteiligung aller jüdischen Gemeinden daran; gegen die Zuwendung finanzieller Mittel zur Förderung und zum Aufbau jüdischen Gemeindelebens bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Es besteht auch weder Notwendigkeit noch Anlass, die Nichtigerklärung über die Beauftragung des Landesverbandes mit der Verwaltung der Mittel hinaus auf andere Bestimmungen zu erstrecken.