Bundesverfassungsgericht

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Individualisierende Medienberichterstattung auch bei Sexualstraftaten verfassungsgemäß

Pressemitteilung Nr. 80/2009 vom 16. Juli 2009

Beschluss vom 10. Juni 2009
1 BvR 1107/09

Der Beschwerdeführer ist ein ehemaliger Profi-Fußballspieler. Er wurde im Jahr 2008 wegen schwerer Vergewaltigung in einem minder schweren Fall zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Das Urteil ist mittlerweile rechtskräftig. Über dieses Strafverfahren und die zu Grunde liegende Tat berichtete eine Telemediendiensteanbieterin anlässlich des Geständnisses des Beschwerdeführers auf ihrem Internetportal. Der Beschwerdeführer beantragte daraufhin beim Landgericht den Erlass einer einstweiligen Verfügung mit dem Ziel, der Telemediendiensteanbieterin einstweilen zu untersagen, über das Strafverfahren und über dessen Abschluss in individualisierender und bebildeter Weise unter Mitteilung verschiedener persönlicher Details aus dem Sexualleben des Beschwerdeführers zu berichten. Das Landgericht erließ die beantragte Verfügung und untersagte der Telemediendiensteanbieterin außerdem, über die Höhe der Freiheitsstrafe ohne Hinweis auf die insoweit (seinerzeit noch) fehlende Rechtskraft zu berichten. Auf die Berufung der Telemediendiensteanbieterin hob das Oberlandesgericht das Urteil des Landgerichts teilweise auf, soweit die individualisierende Wortberichterstattung über die Tat und das Strafverfahren sowie die Berichterstattung über das Sexualleben untersagt worden waren und wies im übrigen die Berufung zurück. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer, dass die Entscheidung des Oberlandesgerichts in den unantastbaren innersten Kern der Menschenwürde eingreife, indem sie eine Berichterstattung gestatte, mit der die Veröffentlichung intimer Umstände einhergehe.

Die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat die Verfassungsbeschwerde, mit der der Beschwerdeführer die Verletzung seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts durch die Berichterstattung gerügt hat, nicht zur Entscheidung angenommen. Die Verfassungsbeschwerde ist jedenfalls unbegründet. Zwar greift die Berichterstattung über eine Straftat und deren Umstände zwangsläufig in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Beschwerdeführers (Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG) ein. Die Freiheit, die eigenen Ausdrucksformen der Sexualität für sich zu behalten und sie in einem dem staatlichen Zugriff entzogenen Freiraum zu erleben, gehört sogar zum absolut geschützten Kernbereich des Grundrechts. Das gilt aber nicht uneingeschränkt für den Bereich der Sexualität. Bei Sexualstraftaten sind gewalttätige Übergriffe in die sexuelle Selbstbestimmung und die körperliche Unversehrtheit des Opfers tatbestimmend. Daher liegt die Annahme fern, dass die Umstände der Begehung einer Sexualstraftat zur absolut geschützten Intimsphäre des Täters zählen. Ein verurteilter Straftäter einer Sexualstraftat muss es daher dulden, dass im Fall der Berichterstattung über eine ihm zur Last gelegte Straftat sein allgemeines Persönlichkeitsrecht hinter dem Interesse der Öffentlichkeit an einer umfassenden Berichterstattung unter Umständen zurücktreten kann. Das gilt insbesondere dann, wenn er -wie hier - wegen seiner Prominenz in besonderer Weise im Blickfeld der Öffentlichkeit steht und die Medienöffentlichkeit mit Rücksicht hierauf hinzunehmen hat.

Die Berichterstattung über Entstehung, Ausführung und Verfolgung einer Straftat unter Namensnennung, Abbildung und Darstellung des Straftäters greift zwangsläufig in dessen allgemeines Persönlichkeitsrecht ein, weil sie sein Fehlverhalten öffentlich bekannt macht und seine Person in den Augen der Öffentlichkeit zwangsläufig negativ bewertet. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 iVm Art. 1 Abs. 1 GG) ist aber nicht vorbehaltlos gewährleistet, sondern muss mit der ebenfalls nicht schrankenlos gewährleisteten Meinungsfreiheit (Art. 5 GG) abgewogen werden. Diese Abwägung ist für jeden Einzelfall gesondert vorzunehmen. Dabei sind das Informationsinteresse der Öffentlichkeit an begangenen Straftaten und die vollständige Information über die Hintergründe der Tat und den Täter in der Regel vorrangig. Der Straftäter muss sich nicht nur den verhängten strafrechtlichen Sanktionen beugen, sondern er muss auch dulden, dass das von ihm selbst erregte Informationsinteresse der Öffentlichkeit durch die Medien befriedigt wird. Auch dieses Informationsinteresse der Öffentlichkeit hat nicht immer den Vorrang. Insbesondere in Fällen kleinerer Kriminalität, bei jugendlichen Straftätern und bei nicht rechtskräftig verurteilten Tätern, bei denen noch die Unschuldsvermutung gilt, kann das Gewicht des Persönlichkeitsrechts gegenüber der Freiheit der Berichterstattung überwiegen. Allerdings kann eine individualisierende Bildberichterstattung über den Angeklagten eines Strafverfahrens dann gerechtfertigt sein, wenn sich der Betreffende nicht bzw. nicht mehr mit Gewicht auf sein allgemeines Persönlichkeitsrecht berufen kann, etwa wenn er sich in eigenverantwortlicher Weise den ihm gegenüber erhobenen Vorwürfen in der medialen Öffentlichkeit auch im Wege der individualisierenden Berichterstattung gestellt hat. Ebenso, wenn der betreffende Verfahrensbeteiligte kraft seines Amtes oder wegen seiner Prominenz im Blickfeld der Öffentlichkeit steht und die Medienöffentlichkeit mit Rücksicht darauf hinzunehmen hat. Hat die das öffentliche Interesse veranlassende Tat mit der Verurteilung die gebotene rechtliche Sanktion erfahren und ist die Öffentlichkeit darüber hinreichend informiert worden, so lassen sich fortgesetzte oder wiederholte Eingriffe in das Persönlichkeitsrecht mit Blick auf sein Resozialisierungsinteresse nicht ohne Weiteres rechtfertigen. Es vermittelt dem verurteilten Straftäter allerdings auch keinen Anspruch darauf, in der Öffentlichkeit überhaupt nicht mehr mit seiner Tat konfrontiert zu werden. Selbst die Verbüßung der Straftat führt nicht dazu, dass ein Täter den uneingeschränkten Anspruch erwirbt, mit der Tat "allein gelassen zu werden". Maßgeblich ist vielmehr stets, in welchem Ausmaß das Persönlichkeitsrecht einschließlich des Resozialisierungsinteresses des Straftäters von der Berichterstattung unter den konkreten Umständen beeinträchtigt wird. Die genaue Grenze einer verantwortungsvollen Berichterstattung mit Blick auf eine mögliche Prangerwirkung lässt sich nur im Einzelfall unter Abwägung der konkurrierenden Grundrechte bestimmen.

Gemessen an den verfassungsrechtlichen Maßstäben ist die angegriffene Entscheidung nicht zu beanstanden. Das Oberlandesgericht, das die von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts entwickelten Maßstäbe beachtet, hat insbesondere eine Abwägung der widerstreitenden grundrechtlich geschützten Belange vorgenommen.