Bundesverfassungsgericht

Sie sind hier:

Verfassungsbeschwerde wegen Haftung für in einer Presseschau veröffentlichte Fremdbeiträge nicht zur Entscheidung angenommen

Pressemitteilung Nr. 93/2009 vom 11. August 2009

Beschluss vom 25. Juni 2009
1 BvR 134/03

Die Beschwerdeführerin verlegt eine Zeitschrift, die sich mit dem Börsengeschehen befasst. Im November 2000 veröffentlichte sie innerhalb der ständigen Rubrik "Meinungen - Presseschau - Nachrichten", in der sie regelmäßig als solche gekennzeichnete fremde Berichte anderer Presseorgane wiedergibt, Auszüge aus einer zuvor in einer Tageszeitung erschienenen Berichterstattung, die sich mit einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren gegen den Kläger des Ausgangsverfahrens wegen des Verdachts der verbotenen Insidergeschäfte und des Betruges zum Nachteil von Kapitalanlegern befasst. Das Strafverfahren wurde kurz darauf durch die Staatsanwaltschaft eingestellt, da eine Beteiligung des Klägers an den seinem Mitarbeiter vorgeworfenen Taten nicht nachgewiesen werden könne.

Das Landgericht Hamburg verurteilte die Beschwerdeführerin zur Unterlassung der in der beanstandeten Wiedergabe des Fremdberichtes enthaltenen Tatsachenbehauptung, der Kläger sei an den betreffenden Taten beteiligt gewesen. Diese Behauptung komme zwar nicht offen, wohl aber verdeckt in der beanstandeten Presseschau zum Ausdruck. Ob in dieser auszugsweisen Darstellung eine eigene Erklärung der Beschwerdeführerin zu sehen sei, könne offen bleiben, da sie jedenfalls als Verbreiterin fremder Äußerungen hafte. Eine Distanzierung, welche die Verbreiterhaftung ausschließen könne, liege hinreichend weder in der Veröffentlichungsform der kenntlich gemachten Wiedergabe fremder Beiträge innerhalb einer Presseschau, noch werde sie in genügender Weise durch den Hinweis bewirkt, die Beschwerdeführerin zitiere an dieser Stelle nur fremde Meinungen und enthalte sich der eigenen Stellungnahme. Angesichts ihres Verschuldens sei die Beschwerdeführerin auch dem Grunde nach zum Schadensersatz verpflichtet.

Das Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg wies die hiergegen gerichtete Berufung zurück. Mit Veröffentlichung ihrer Presseschau habe die Beschwerdeführerin auch nicht einen "Markt der Meinungen" eröffnet, der einer Verbreiterhaftung entgegenstehe könne, denn die beanstandete Wiedergabe des Fremdberichts sei thematisch isoliert und gerade nicht im Rahmen einer Zusammenstellung verschiedener Äußerungen zu demselben Thema veröffentlicht worden.

Die Verfassungsbeschwerde, mit der die Beschwerdeführerin insbesondere eine Verletzung ihrer Grundrechte auf Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG) und auf Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG) rügt, hat die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts nicht zur Entscheidung angenommen. Die angegriffenen Entscheidungen begegnen allerdings Bedenken, soweit die Verurteilung zu Unterlassung und Schadensersatz auf eine uneingeschränkte Verbreiterhaftung gestützt wurde. Verfassungsrechtlich ist es zwar dem Grundsatz nach nicht zu beanstanden, wenn die Fachgerichte demjenigen, der die Äußerung eines Dritten verbreitet, ohne sie sich zu eigen zu machen, die Pflicht auferlegen, sich vom Wahrheitsgehalt der weitergegebenen Tatsachenbehauptungen zu vergewissern. Auch bei Bemessung derjenigen Sorgfaltspflichten, die der Presse bei Verbreitung einer fremden Äußerung abzuverlangen sind, darf die Wahrheitspflicht aber nicht überspannt werden, um den von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG geschützten freien Kommunikationsprozess nicht einzuschnüren. Eine Presseschau beziehungsweise ein Pressespiegel stellt ein klassisches Instrument der Presseberichterstattung dar, um dem Mediennutzer einen Überblick über das in der Presse referierte oder vertretene Meinungsspektrum zu einem aktuellen Thema zu vermitteln. Ungeachtet dessen, ob eine solche Veröffentlichung in Form einer gegenüberstellenden Darstellung verschiedener Meinungen und Standpunkte zu einem bestimmten Thema erfolgt, die in der fachgerichtlichen Rechtsprechung in Anwendung der Rechtsfigur der Eröffnung eines Marktes der Meinungen bereits eine Privilegierung durch Einschränkung der Haftung des Veröffentlichenden als Verbreiter erfährt, oder ob die Presseschau sich auf die Wiedergabe thematisch für sich stehender Fremdberichte beschränkt, nimmt die Presse auf diese Weise ihre Aufgabe wahr, in Ausübung der Meinungsfreiheit die Öffentlichkeit zu informieren und an der demokratischen Willensbildung mitzuwirken. Bereits aus der äußeren Form einer Presseschau, die in einer eigenständigen Rubrik publiziert wird und sich unter exakter Quellenangabe sowie Verzicht auf sprachliche Eleganz auf knappe Auszüge fremder Berichte beschränkt, ergibt sich aus Sicht des unvoreingenommenen Lesers im Übrigen, dass an dieser Stelle ein Fremdbericht in stark verkürzter Form wiedergegeben wird, dem keine eigenen Recherchen des Verbreiters zu Grunde liegen. Aus verfassungsrechtlicher Sicht ist daher zumindest zweifelhaft, ob im Fall einer Presseschau den Verbreiter die Recherchepflicht uneingeschränkt trifft beziehungsweise ob nicht die eindeutige Kennzeichnung als gekürzter Fremdbericht im Regelfall als hinreichende Distanzierung anzusehen ist. Die angegriffenen Entscheidungen lassen nicht erkennen, dass die Fachgerichte bei Bemessung der Sorgfalts? oder Distanzierungspflichten des Verbreiters die Ausstrahlungswirkungen des Grundrechts der Meinungsfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG hinreichend berücksichtigt haben. Ebenso ist ihren Gründen nicht zu entnehmen, dass die Fachgerichte den Verbürgungen des Art. 10 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten in ihrer Auslegung, die sie durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte erfahren haben und die einer von den Gerichten angenommenen generellen Obliegenheit, sich von dem Inhalt einer wiedergegebenen Fremdberichterstattung zu distanzieren, möglicherweise entgegenstehen, hinreichend Rechnung getragen haben.

Einer endgültigen Entscheidung bedürfen die aufgeworfenen verfassungsrechtlichen Fragen allerdings nicht, da deutlich absehbar ist, dass die Beschwerdeführerin auch bei Zurückverweisung in der Sache keinen Erfolg haben wird. Die Fachgerichte haben bei Beurteilung des den Schadensersatzanspruch tragenden Verschuldens in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise festgestellt, dass die Beschwerdeführerin durch Auslassung wesentlicher Tatsachen den Sinngehalt des Ursprungsbeitrages verfälscht hat. Die darin liegende grobe Verletzung der pressemäßigen Sorgfaltspflichten, die mit Rücksicht auf das Persönlichkeitsrecht des von der wiedergegebenen Berichterstattung Betroffenen auch bei Verbreitung fremder Äußerungen in einer Presseschau Beachtung verlangen, ist geeignet, die angegriffenen Entscheidungen ungeachtet einer eventuell eingeschränkten Recherchepflicht oder einer eventuellen Distanzierung von der Richtigkeit der selektiv wiedergegebenen Tatsachenbehauptungen im Rahmen einer Abwägung zu tragen. Die Entscheidungen lassen auch erkennen, dass die Gerichte im Fall der Zurückverweisung im Rahmen der Abwägung zu keinem anderen Ergebnis kommen würden.