Bundesverfassungsgericht

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Demonstration „Fünfter Antikriegstag“ in Dortmund am 5. September 2009 findet statt

Pressemitteilung Nr. 102/2009 vom 4. September 2009

Beschluss vom 04. September 2009
1 BvR 2147/09

Sachverhalt:

Der Veranstalter meldete für den 5. September 2009 eine Versammlung in Dortmund samt Aufzug unter dem Motto "Gegen imperialistische Kriegstreiberei und Aggressionskriege - für freie Völker in einer freien Welt" mit einer zu erwartenden Teilnehmerzahl von circa 1.000 Teilnehmern an (Fünfter Antikriegstag). Mit an den Beschwerdeführer als Versammlungsleiter adressierter Verbotsverfügung vom 14. Juli 2009 verbot die Versammlungsbehörde die geplante Versammlung unter Berufung auf das Erscheinen von Demonstranten aus der Szene der "Autonomen Nationalisten" wegen der unmittelbaren Gefahr für die öffentliche Sicherheit gemäß § 15 Abs. 1 VersG und erklärte das Verbot für sofort vollziehbar. Die vom Beschwerdeführer angestrengten Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes vor den Verwaltungsgerichten blieben erfolglos. In seinem mit einer Verfassungsbeschwerde verbundenen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung vom heutigen Tage rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung seines Grundrechts der Versammlungsfreiheit aus Art. 8 Abs. 1 GG. Die erste Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat in ihrem Beschluss die aufschiebende Wirkung der Klage des Beschwerdeführers gegen die Verbotsverfügung wiederhergestellt, da die Versammlungsbehörde und die Verwaltungsgerichte keine hinreichenden tatsächlichen Anhaltspunkte für eine unmittelbare - ein Verbot rechtfertigende - Gefahr für die öffentliche Sicherheit aufgezeigt haben. Gleichzeitig hat die Kammer die einstweilige Anordnung mit der Maßgabe versehen, dass von der Versammlungsbehörde für erforderlich gehaltenen Auflagen Folge zu leisten ist.

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:

Die mögliche Teilnahme einer größeren Zahl von Anhängern der "Autonomen Nationalisten" an einer Großdemonstration begründet nicht schon für sich gesehen die Annahme, dass von einer unmittelbaren Gefährdung der öffentlichen Sicherheit auszugehen ist und allein deshalb ein Verbot der Versammlung gerechtfertigt ist.

Keine der von der Versammlungsbehörde und den Verwaltungsgerichten für die Gefahrenprognose herangezogenen Äußerungen und Aufrufe aus der Szene der "Autonomen Nationalisten" im Internet weist einen Bezug zu der konkret geplanten Versammlung auf. Soweit die Versammlungsbehörde und die Verwaltungsgerichte eine Indizwirkung für das Gefahrenpotential aus früheren rechtsradikalen Versammlungen ableiten, ist eine hinreichend konkrete Tatsachengrundlage ebenfalls nicht dargetan. Als Vorgängerversammlungen sind in erster Linie diejenigen Veranstaltungen heranzuziehen, die bezüglich des Mottos, des Ortes, des Datums sowie des Teilnehmer- und Organisatorenkreises Ähnlichkeiten zu der geplante Versammlung aufweisen. Die Antikriegstags-Versammlungen in den Jahren 2005, 2006 und 2007 sind nach den Angaben in der Verbotsverfügung gänzlich ohne Vorkommnisse durchgeführt worden. Auf der Antikriegstag-Versammlung im Jahr 2008 ist es zwar augenscheinlich zu gewissen tätlichen Auseinandersetzungen gekommen, die Angaben der Versammlungsbehörde zu Umfang, Intensität und Folgen dieser Tätlichkeiten sind allerdings zu unbestimmt, um den Schluss zuzulassen, dass die Versammlung selbst die Schwelle zur Gewaltanwendung überschritten hat. Die früheren 1. Mai-Demonstrationen standen unter einem anderem Motto, erfolgten zu einem anderen, noch konfliktträchtigeren Datum, teils an einem anderen Ort und teils ohne Anmeldung. Auch gab es knapp einen Monat vor der geplanten Versammlung in Bad Nenndorf eine rechtsradikale Versammlung unter Beteiligung von Demonstranten der "Autonomen Nationalisten" ohne jegliche Gewaltanwendung.

Die Versammlungsbehörde und die Verwaltungsgerichte haben hinsichtlich der Bereitschaft und Fähigkeit der verantwortlichen Organisatoren der Versammlung auch nicht hinreichend berücksichtigt, dass sich diese in einem auf die konkrete Versammlung bezogenen Aufruf ausdrücklich von Gewaltanwendung distanziert und insoweit Anstrengungen unternommen haben, die auf einen gewaltfreien Verlauf der geplanten Versammlung abzielen. Dabei hätten die Versammlungsbehörde und die Verwaltungsgerichte in Rechnung stellen müssen, dass der Beschwerdeführer unwidersprochen vorgetragen hat, seit fast zehn Jahren als Versammlungsleiter tätig zu sein und nahezu Hundert Versammlungen durchgeführt zu haben, ohne dass eine Versammlung unfriedlich verlaufen sei. Das Gegenteil dieser Behauptung ist von den Verwaltungsgerichten nicht festgestellt worden. Des Weiteren hätten die Verwaltungsgerichte den Umstand einbeziehen müssen, dass der Beschwerdeführer die Polizei ermutigt hat, frühzeitig und konsequent von ihren präventiven Kontrollbefugnissen im Vorfeld der geplanten Versammlung Gebrauch zu machen.

Schließlich scheidet vor diesem Hintergrund ein Versammlungsverbot - als stärkster Eingriff in das Grundrecht der Versammlungsfreiheit - auch deswegen aus, weil mildere Mittel nicht ausgeschöpft worden sind. Die Versammlungsbehörde und die Verwaltungsgerichte haben im vorliegenden Fall alternative Methoden der Rechtsgüterkonfliktbewältigung wie beispielsweise versammlungsrechtliche Auflagen oder den frühzeitigen und verstärkten Einsatz polizeilicher Vorabkontrollen nicht hinreichend geprüft und mit tragfähiger Begründung ausgeschieden.