Bundesverfassungsgericht

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Beschwerden gegen Zurückweisung eines Ablehnungsgesuchs und gegen eine Terminsbestimmung im sozialgerichtlichen Prozess nicht zur Entscheidung angenommen

Pressemitteilung Nr. 26/2010 vom 23. April 2010

Beschluss vom 19. April 2010
1 BvR 626/10

Der Beschwerdeführer zu 1) machte erfolglos Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung geltend, weil er während seines Grundwehrdienstes in der NVA ionisierenden Strahlen ausgesetzt gewesen sei. In seinem sozialgerichtlichen Verfahren hatte er einen Richter des Bundessozialgerichts wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt, weil dieser sich im Jahr 2004 in einem Workshop eines berufsgenossenschaftlichen Instituts zum Bericht der sogenannten Radarkommission geäußert hatte. Der Ablehnungsantrag war vom Bundessozialgericht zurückgewiesen worden.

Der Beschwerdeführer zu 2) ist ein eingetragener Verein, der sich die gemeinschaftliche Vertretung von Interessen Strahlengeschädigter zur Aufgabe gemacht hat.

Beide Beschwerdeführer richten sich mit ihrer Verfassungsbeschwerde gegen die Zurückweisung des Ablehnungsgesuchs. Darüber hinaus beantragt der Beschwerdeführer zu 2) den Erlass einer einstweiligen Anordnung, den vom Bundessozialgericht angesetzten Termin zur mündlichen Verhandlung, an dem der erfolglos abgelehnte Richter teilnehmen werde, aufzuheben und den Rechtsstreit erst nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts fortzuführen.

Die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen. Die Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers zu 1) ist unbegründet, diejenige des Beschwerdeführers zu 2) unzulässig.

Eine Entziehung des gesetzlichen Richters im Sinne von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG liegt nicht vor, weil wissenschaftliche Äußerungen zu einer für das Verfahren bedeutsamen Rechtsfrage alleine noch kein Befangenheitsgrund sind. Zweifel an der Unvoreingenommenheit eines Richters können erst dann auftreten, wenn die Nähe der Äußerungen zu der von einem Beteiligten in einem konkreten Prozess vertretenen Rechtsauffassung bei einer Gesamtbetrachtung nicht zu übersehen ist, und die wissenschaftliche Tätigkeit des Richters vom Standpunkt anderer Prozessbeteiligter aus die Unterstützung dieses Beteiligten bezweckt. Die Erheblichkeit der Äußerungen für ein Rechtsgebiet sowie die Möglichkeit, dass die im Diskurs vertretene Meinung eines Richters von anderen aufgegriffen werden kann, stellen noch keine Besonderheiten in der rechtswissenschaftlichen Auseinandersetzung dar. Eine subjektive Parteinahme des Richters in seinem Vortrag oder eine Bezugnahme auf einen konkreten Sachverhalt wird nicht behauptet. Die zitierten Äußerungen des Richters betreffen abstrakte Kausalitätsfragen und nehmen grundsätzlich auf gesetzliche Erfordernisse Bezug.

Der Beschwerdeführer zu 2), der nicht als Partei an dem Verfahren vor dem Bundessozialgericht beteiligt war, ist durch die Zurückweisung des Befangenheitsgesuchs nicht in eigenen Rechten betroffen. Eine bloße Berührung von Vereinsinteressen begründet noch keine Verletzung von Grundrechten.

Der Antrag des Beschwerdeführers zu 2) auf einstweiligen Rechtsschutz bleibt aus mehreren Gründen ohne Erfolg. Mangels Beteiligung am Verfahren vor dem Bundessozialgericht fehlt ihm die Antragsbefugnis für den Erlass einer einstweiligen Anordnung, die in untrennbarem Zusammenhang mit der Ablehnung des Befangenheitsantrags durch das Bundessozialgericht steht, weil die Mitwirkung eines angeblich befangenen Richters befürchtet wird. Davon unabhängig könnte die für den Erlass einer einstweiligen Anordnung durch das Bundesverfassungsgericht erforderliche Folgenabwägung eine Terminsverschiebung nicht rechtfertigen. Es ist regelmäßig nicht Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts, auf dem Wege des einstweiligen Rechtsschutzes prozessleitende Verfügungen eines Fachgerichts im laufenden Verfahren aufzuheben. Der Grundrechtsschutz kann ausreichend durch eine verfassungsgerichtliche Kontrolle der fachgerichtlichen Endentscheidung gesichert werden.