Bundesverfassungsgericht

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Zum Rechtsschutz eines Gefangenen nach Unterbringung in einem Haftraum mit rassistischen Schmierereien

Pressemitteilung Nr. 56/2010 vom 30. Juli 2010

Beschluss vom 15. Juli 2010
2 BvR 1023/08

Der strafgefangene Beschwerdeführer war im Zuge von Transporten zweimal jeweils kurzzeitig im Transporthaus einer niedersächsischen Strafvollzugsanstalt untergebracht. Nach der zweiten dortigen Unterbringung beantragte er beim Landgericht u. a. die gerichtliche Feststellung, dass die zuständige Justizvollzugsanstalt durch die Anordnung seiner Unterbringung in dem Transporthaus seine Menschenwürde (Art. 1 GG) verletzt habe. Die Haftraumwände seien mit Hakenkreuzen und - vom Beschwerdeführer in Beispielen wiedergegebenen - rassistischen, Gewalt androhenden Texten versehen gewesen, und es habe sich Kot an den Wänden befunden. Schon bei der früheren Unterbringung seien die Wände in dem Transporthaus in ähnlicher Weise - insbesondere mit antisemitischen Äußerungen rohster Art - beschmiert gewesen. Das Landgericht wies seinen Antrag mit der Begründung zurück, dass angesichts der Beendigung der Unterbringung der Beschwerdeführer kein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit mehr habe. Das Oberlandesgericht verwarf die hiergegen erhobene Rechtsbeschwerde als unzulässig.

Die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat die mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Beschlüsse der Fachgerichte aufgehoben, soweit sie den Feststellungsantrag des Beschwerdeführers betreffen, und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen. Die Beschlüsse des Landgerichts und des Oberlandesgerichts verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 GG.

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde:

Das Landgericht hat die verfassungsgerichtlichen Maßstäbe verkannt, die sich aus Art. 19 Abs. 4 GG für das Fortbestehen eines Rechtsschutzinteresses ergeben.

Ein Rechtsschutzinteresse für die Feststellung der Rechtswidrigkeit einer erledigten Maßnahme besteht unter anderem dann, wenn die Feststellung eines gewichtigen Grundrechtseingriffs begehrt wird, gegen den nach dem typischen Ablauf wirksamer Rechtsschutz nicht vor Erledigung zu erlangen ist. Das Rechtsschutzinteresse ist zudem zu bejahen, wenn eine gegen die Menschenwürde verstoßende Haftraumunterbringung in Rede steht. Die von Art. 1 Abs. 1 GG geforderte Achtung der Würde, die jedem Menschen unabhängig von seiner gesellschaftlichen Stellung, seinen Verdiensten oder der Schuld, die er auf sich geladen hat, allein aufgrund seines Personseins zukommt, verbietet es grundsätzlich, Gefangene grob unhygienischen und widerlichen Haftraumbedingungen auszusetzen. Dies gilt auch insoweit, als die Unerträglichkeit der Verhältnisse im Haftraum durch Verhaltensweisen anderer Gefangener bedingt ist, und betrifft auch mit physischem oder verbalem Kot beschmierte Haftraumwände. Schutz vor solchen Widerwärtigkeiten, selbst strafbarer Art, mag, wie das Niedersächsische Justizministerium geltend macht, im Haftvollzug nicht ausnahmslos und unter allen Umständen erreichbar sein. Die Strafvollstreckungskammer hatte jedoch im vorliegenden Fall nicht den geringsten Anlass zu der Annahme, dass staatlicherseits alle möglichen und zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden waren, um den vom Beschwerdeführer dargestellten Verhältnissen entgegenzuwirken oder zu vermeiden, dass er ihnen ausgesetzt wurde. Die vom Beschwerdeführer geschilderten Zustände deuteten vielmehr auf das Gegenteil hin.

Die Entscheidung des Oberlandesgerichts verstößt ebenfalls gegen Art. 19 Abs. 4 GG. Die nicht weiter begründete Annahme, die Überprüfung des landgerichtlichen Beschlusses sei weder zur Fortbildung des Rechts noch zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung geboten, ist nicht nachvollziehbar. Es lagen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass das Landgericht seine mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts unvereinbare Rechtsauffassung nicht auch künftigen Entscheidungen zugrunde legen werde.