Bundesverfassungsgericht

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Verfassungsbeschwerde gegen die Neufassung des Bauforderungssicherungsgesetzes erfolglos

Pressemitteilung Nr. 19/2011 vom 3. März 2011

Beschluss vom 27. Januar 2011
1 BvR 3222/09

Das Gesetz über die Sicherung der Bauforderungen (Bauforderungssicherungsgesetz -BauFordSiG) dient dem Zweck, Bauhandwerker und andere Baubeteiligte, die mit ihren Arbeiten in Vorleistung treten, vor Forderungsausfällen, insbesondere bei einem Bankrott des Bauunternehmers, zu schützen. Vor dem Hintergrund, dass vor allem Handwerker und mittelständische Bauunternehmen in den neuen Bundesländern seit längerer Zeit erhebliche Forderungsausfälle und daraus resultierende teilweise existenzbedrohende Liquiditätsschwierigkeiten beklagt hatten, wurde das Bauforderungssicherungsgesetz durch Artikel 3 des Gesetzes zur Sicherung von Werkunternehmeransprüchen und zur verbesserten Durchsetzung von Forderungen vom 23. Oktober 2008 novelliert. Insbesondere wurde die Vorschrift des § 1 BauFordSiG ausgeweitet, die den Empfänger von Baugeld verpflichtet, dieses nur zur Befriedigung von Forderungen solcher Personen zu verwenden, die an der Herstellung des Baus aufgrund eines Werk-, Dienst- oder Lieferungvertrags beteiligt waren. Von dieser Baugeldverwendungspflicht sollten nunmehr alle Gelder erfasst werden, die ein Unternehmer in der Kette nach dem Bauherrn erhält. § 2 BauFordSiG enthält einen die Fälle einer Zuwiderhandlung regelnden Straftatbestand, der im Wesentlichen der früher in § 5 erfassten Strafbestimmung entspricht.

Die Beschwerdeführerin zu 1), eine GmbH, ist ein Bauunternehmen mit den Schwerpunkten Verkehrswegebau, Ingenieurhoch- und -tiefbau, Rekonstruktion von Bestandsbauwerken sowie Schlüsselfertigbau. Der Beschwerdeführer zu 2) ist Geschäftsführer und Mehrheitsgesellschafter der Beschwerdeführerin zu 1). Mit der Verfassungsbeschwerde rügen die Beschwerdeführer eine Verletzung ihrer Berufsfreiheit und des allgemeinen Gleichheitssatzes. Zudem verstoße die Strafvorschrift in § 2 BauFordSiG gegen das Bestimmtheitsgebot (Art. 103 Abs. 2 GG) und gegen die Unschuldsvermutung aus Art. 20 Abs. 3 GG, Art. 11 AEMR, Art. 6 EMRK.

Die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen. Soweit die Beschwerdeführer eine Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes, des Bestimmtheitsgebots und der Unschuldsvermutung geltend machen, ist die Verfassungsbeschwerde unzulässig, weil sie nicht hinreichend substantiiert begründet worden ist. Im Übrigen ist sie unbegründet, da die Beschwerdeführer durch die angegriffenen Regelungen nicht in ihrer durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützten Berufsfreiheit verletzt werden.

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde:

Die durch die Neufassung des Bauforderungssicherungsgesetzes in ihrem Anwendungsbereich erheblich ausgeweitete Pflicht zur zweckentsprechenden Verwendung von Baugeld greift zwar in das Grundrecht der Berufsfreiheit ein. Die Verpflichtung, empfangenes Baugeld entsprechend den gesetzlichen Vorgaben zu verwenden, beeinträchtigt nicht nur die Beschwerdeführerin zu 1) in diesem Grundrecht, sondern auch den Beschwerdeführer zu 2), da ihm in seiner Eigenschaft als Geschäftsführer im Falle einer Zuwiderhandlung Sanktionen in Form von Schadensersatzansprüchen und Strafbarkeit drohen.

Der Eingriff ist jedoch verfassungsrechtlich gerechtfertigt. § 1 BauFordSiG genügt den sich aus Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG ergebenden Bestimmtheitsanforderungen. Der Vorschrift ist das klare Handlungsgebot zu entnehmen, empfangenes Baugeld zur Befriedigung von Forderungen der im Gesetz genannten Personen zu verwenden. Weiter folgt aus Wortlaut, Zweck und Entstehungsgeschichte der Norm eindeutig, dass Baugeld nur zur Befriedigung solcher Baugläubiger eingesetzt werden darf, die für genau die Baustelle tätig geworden sind, für die das Baugeld gegeben wurde. Die Frage, ob und gegebenenfalls in welchem Maße ein Baugeldempfänger das Baugeld vor dem Zugriff Dritter zu sichern hat, lässt sich mit allgemeinen Auslegungsgrundsätzen beantworten. § 1 Abs. 1 Satz 1 BauFordSiG steht ferner nicht in einem rechtsstaatlich bedenklichen Normwiderspruch zum Insolvenzrecht.

Der Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit genügt auch materiell den verfassungsrechtlichen Anforderungen, da er durch das Ziel des Bauforderungssicherungsgesetzes und seiner Novellierung, nämlich Bauhandwerker und andere Baubeteiligte vor Forderungsausfällen zu schützen, legitimiert ist.

Derzeit ist nicht festzustellen, dass die angegriffenen Regelungen zur Erreichung dieses Zwecks nicht geeignet wären. Im Rahmen seines weitgehenden Einschätzungs- und Prognosespielraums durfte der Gesetzgeber davon ausgehen, dass die praktische Bedeutung der Regelungen steigen würde. Es ist auch nicht zu erkennen, dass die angegriffene Baugeldverwendungspflicht zur Zweckerreichung ungeeignet wäre, weil sie den Baugläubigern aufgrund insolvenzrechtlicher Regelungen keinen wirksamen Schutz bieten könnte. Denn dadurch würden das Verbot, Baugeld selbst zu verbrauchen oder an Dritte zu zahlen, und die aus einem Verstoß resultierenden Schadensersatzansprüche von Baugläubigern nicht beeinträchtigt.

Gegen die Erforderlichkeit des Eingriffs bestehen derzeit ebenfalls keine Bedenken. Dies gilt auch für die Pflicht einer baustellenspezifischen Verwendung des Baugeldes. Eine Lockerung dieser Verpflichtung würde zwar, wie von der Bundesregierung und den Fraktionen von CDU/CSU und SPD im Jahr 2009 in ihren Gesetzentwürfen zur Änderung des Bauforderungssicherungsgesetzes vertreten, für Baugeldempfänger ein erheblich größeres Maß an Flexibilität und eine geringere Beeinträchtigung ihrer Liquidität mit sich bringen. Nach den schlüssigen Einwänden des Bundesrates lässt sich jedoch nicht feststellen, dass eine gelockerte Baugeldverwendungspflicht in jeder Hinsicht zur Zweckerreichung gleich geeignet wäre. Denn nach Einschätzung des Bundesrats würde zum einen eine Aufhebung der Verpflichtung zur baustellenspezifischen Verwendung dazu führen, dass überschuldete Bauträger und Generalunternehmer "im Schneeballsystem immer wieder «alte Löcher stopfen»" und sich zu Lasten der am jeweils jüngsten Projekt beteiligten Subunternehmer länger am Markt halten könnten. Zum anderen, so die weitere Prognose des Bundesrats, würde der Wegfall der Verpflichtung zur baustellenspezifischen Verwendung dazu führen, dass der Schutz von Subunternehmern nicht mehr praktikabel gewährleistet wäre.

Der Eingriff ist auch verhältnismäßig im engeren Sinne. Zwar wird die Beschwerdeführerin zu 1) durch die Baugeldverwendungspflicht erheblich in ihrer wirtschaftlichen Handlungsfreiheit beeinträchtigt, da sie das Baugeld nicht dazu benutzen darf, ältere Forderungen aus anderen Baumaßnahmen zu begleichen, und damit für sie die Möglichkeit eines "Cash-Poolings" im Rahmen des Liquiditätsmanagements entfällt. Sie wird daher in größerem Umfang als bisher auf Eigenkapital oder Zwischenfinanzierungen angewiesen sein. Darüber hinaus bringt die Baugeldverwendungspflicht für sie einen erhöhten Verwaltungsaufwand mit sich.

Die Beschränkung der Liquidität von Baugeldempfängern wird jedoch durch das Entnahmerecht für Eigenleistungen nach § 1 Abs. 2 BauFordSiG abgemildert. Die gleichwohl verbleibenden erheblichen Beeinträchtigungen der Beschwerdeführer stehen nicht außer Verhältnis zu dem vom Gesetzgeber legitimerweise bezweckten Schutz der Baugläubiger vor Forderungsausfällen. Angesichts des Volumens, das die Forderungsausfälle in der Bauwirtschaft erreicht haben, und der teilweise existenziellen wirtschaftlichen Folgen, die sich daraus insbesondere für Bauhandwerker ergeben, darf der Gesetzgeber auch solche Schutzmaßnahmen ergreifen, die die Berufsausübungsfreiheit der Baugeldempfänger erheblich einschränken.

Angesichts der prognostischen Unwägbarkeiten hinsichtlich der Auswirkungen gesetzgeberischer Maßnahmen zum Schutz des Bauhandwerks vor Zahlungsausfällen wird der Gesetzgeber jedoch, so die Kammer abschließend, die weitere Entwicklung zu beobachten haben, um gegebenenfalls korrigierend einzugreifen zu können.