Bundesverfassungsgericht

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Mündliche Verhandlung in Sachen „Optionskommunen“

Pressemitteilung Nr. 64/2013 vom 24. Oktober 2013

2 BvR 1641/11

Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts verhandelt am

Mittwoch, 15. Januar 2014, 10.00 Uhr
im Sitzungssaal des Bundesverfassungsgerichts,
Amtssitz "Waldstadt", Rintheimer Querallee 11, 76131 Karlsruhe

über "Kommunalverfassungsbeschwerden", die von 15 Landkreisen und einer Stadt erhoben wurden. Sie betreffen die rechtliche Stellung sogenannter Optionskommunen nach der Einfügung von Art. 91e in das Grundgesetz und dem Gesetz zur Weiterentwicklung der Organisation der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 3. August 2010.

1. Die Beschwerdeführer wenden sich gegen Vorschriften des Sozialgesetzbuchs - Zweites Buch (SGB II), namentlich gegen

  • § 6a Abs. 2 Satz 3 SGB II, soweit dieser das Erfordernis einer Zwei-Drittel-Mehrheit in der zuständigen Vertretungskörperschaft für die Stellung eines Antrags auf Zulassung als Optionskommune festlegt,
  • § 6a Abs. 2 Satz 4 SGB II, soweit dieser die Anzahl der insgesamt zuzulassenden Optionskommunen auf 25 % der möglichen Aufgabenträger begrenzt,
  • § 6b Abs. 3 SGB II, soweit dieser dem Bundesrechnungshof die Finanzkontrolle über die Optionskommunen gestattet, und § 6b Abs. 4 SGB II, soweit dieser dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales Prüfbefugnisse gegenüber den Optionskommunen einräumt.

2. Durch das Vierte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24. Dezember 2003 ("Hartz IV") wurden Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe für erwerbsfähige Arbeitslose zur Grundsicherung für Arbeitssuchende zusammengeführt, um sie als einheitliche Leistung "aus einer Hand" anbieten zu können. Dies bedingte grundlegende Änderungen in der Organisation der Leistungsverwaltung. So wurden zum einen Arbeitsgemeinschaften gebildet, in denen die Bundesagentur für Arbeit und die Kommunen zur gemeinsamen Aufgabenwahrnehmung zusammenwirkten. Zum anderen wurden sogenannte Optionskommunen zugelassen, die zusätzlich zu den kommunalen Aufgaben im Bereich der Grundsicherung für Arbeitssuchende auch sämtliche Aufgaben der Bundesagentur für Arbeit wahrnehmen und die Leistungen der Grundsicherung somit alleinverantwortlich erbringen.

Mit Urteil vom 20. Dezember 2007 (BVerfGE 119, 331) entschied der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts, dass die Pflicht zur Bildung von Arbeitsgemeinschaften und die Aufgabenwahrnehmung durch diese mit Art. 28 Abs. 2 Satz 1 und 2 in Verbindung mit Art. 83 GG unvereinbar sei, da es keine grundgesetzliche Regelung gebe, die diese Form der Mischverwaltung erlaube. In der Folge verständigten sich die politisch Verantwortlichen auf eine Änderung des Grundgesetzes, die das weitere Zusammenwirken der Bundesagentur für Arbeit und der kommunalen Träger sowie die Beibehaltung und Ausweitung des Optionsmodells ermöglichen und eine einheitliche Bundesaufsicht über die Optionskommunen begründen sollte, soweit diese anstelle der Bundesagentur für Arbeit tätig werden. Mit Gesetz vom 21. Juli 2010 (BGBl. I S. 944) wurde ein neuer Art. 91e in das Grundgesetz eingefügt. Parallel hierzu beschloss der Bundestag das Gesetz zur Weiterentwicklung der Organisation der Grundsicherung für Arbeitssuchende vom 3. August 2010 (BGBl. I S. 1112). Durch dieses Gesetz erhielt das SGB II die für das vorliegende Verfahren maßgebliche Fassung.

Bundesweit bewarben sich 77 Gemeinden und Gemeindeverbände um die neu zu verteilenden 41 Plätze als Optionskommunen (25 % von 439 möglichen Aufgabenerbringern, abzüglich der bereits im Jahr 2005 zugelassenen 69 Optionskommunen). Zu ihnen gehörte auch der Beschwerdeführer zu 1., der in der entscheidenden Kreistagssitzung die für die Antragstellung erforderliche Mehrheit von zwei Dritteln jedoch verfehlte. Die Beschwerdeführer zu 1. bis 15. wurden nicht zugelassen; der Beschwerdeführer zu 16. ist bereits seit dem 1. Januar 2005 zugelassener kommunaler Träger.

3. Der Beschwerdeführer zu 1. rügt, § 6a Abs. 2 Satz 3 SGB II greife in die Garantie der kommunalen Selbstverwaltung (Art. 28 Abs. 2 Satz 2 GG) ein. Der Eingriff sei verfassungswidrig, weil der Bund über keine Gesetzgebungszuständigkeit verfüge. Die Kommunen seien nach dem Grundgesetz Teil der Länder; die Gesetzgebungszuständigkeit für das Kommunalrecht liege gemäß Art. 70 GG in deren ausschließlicher Zuständigkeit. Zwar sei der Bund zu kommunalrelevanten, nicht jedoch zu kommunalspezifischen Regelungen befugt. § 6a Abs. 2 Satz 3 SGB II betreffe nach seinem Gehalt allein die behördeninterne Willensbildung und könne deshalb nicht auf die Kompetenz für das Recht der öffentlichen Fürsorge (Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG) gestützt werden. Art. 91e Abs. 2 GG verschaffe dem Bund insoweit keine Gesetzgebungsbefugnisse.

Die Beschwerdeführer zu 2. bis 15. legen dar, § 6a Abs. 2 Satz 4 SGB II sei verfassungswidrig, da Art. 91e GG nur ein Regel-Ausnahme-Verhältnis vorsehe, während die angegriffene Vorschrift die Zahl der neu zuzulassenden Optionskommunen auf 25 % der Aufgabenerbringer beschränke. Dabei handele es sich um einen in den Entschließungsanträgen niedergelegten politischen Kompromiss, den der Gesetzgeber umgesetzt habe, ohne abweichende Erwägungen anzustellen oder ein Regelwerk für eine nachvollziehbare Zulassungsreihenfolge zu normieren. Für den Fall eines Überhangs an Antragstellern müsse der Gesetzgeber zudem ein Verteilungsverfahren normieren, das die Auswahl der besten Antragsteller gewährleiste. Das bislang vorgesehene Verfahren genüge dem Grundsatz der kommunalen Gleichbehandlung nicht.

Der Beschwerdeführer zu 16. wendet sich gegen § 6b Abs. 3 und § 6b Abs. 4 SGB II. Diese Vorschriften sähen eine Finanzkontrolle der Kommunen durch den Bundesrechnungshof bzw. Prüfbefugnisse des zuständigen Bundesministeriums vor, obwohl die Aufgaben der Grundsicherung von den Kommunen als Selbstverwaltungsaufgaben wahrgenommen würden, die Länder die Aufsicht führten und keinerlei Verwaltungsbefugnisse des Bundes bestünden. Die Prüfbefugnisse griffen daher in die kommunale Selbstverwaltungsgarantie ein und seien nicht von Art. 91e Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 GG gedeckt.

4. Die Verhandlungsgliederung finden Sie im Anhang zu dieser Pressemitteilung.

Hinweis

Interessierte Bürgerinnen und Bürger, die an der mündlichen Verhandlung teilnehmen wollen, wenden sich bitte schriftlich oder telefonisch an

Herrn Oberamtsrat Stadtler
Postfach 1771, 76006 Karlsruhe
Telefon: 0721 9101-400
Fax: 0721 9101-461

Bei der Anmeldung sind Name, Vorname, Geburtsdatum und eine Telefon- oder Faxnummer anzugeben.

Gliederung für die mündliche Verhandlung des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts am 15. Januar 2014

A. Einführende Stellungnahmen (jeweils 5 Minuten) 
B. Zulässigkeit
I. Betroffenheit
II. Rechtswegerschöpfung und Subsidiarität
III. Beschwerdefrist (§ 6b Abs. 3 SGB II)
C. Begründetheit
I. Mehrheitserfordernis von zwei Dritteln, § 6a Abs. 2 Satz 3
SGB II
1. Prüfungsumfang bei der "Kommunalverfassungsbeschwerde"
2. Gesetzgebungskompetenz des Bundes
3. Garantie der kommunalen Selbstverwaltung, Art. 28 Abs. 2
Satz 2 GG
II. 25 %-Quorum und Verteilungsverfahren, § 6a Abs. 2 Satz 4 SGB II
1. Art. 91e GG
- Zulässigkeit und Grenzen gesetzlicher Konkretisierung
2. Garantie der kommunalen Selbstverwaltung, Art. 28 Abs. 2
Sätze 1 und 2 GG
- Angelegenheit der örtlichen Gemeinschaft
- Gemeindeverbände
3. Gebot interkommunaler Gleichbehandlung
- Prozedurale Aspekte
- Vorgaben für ein Verteilungsverfahren
III. Prüfbefugnisse des Bundes, § 6b Abs. 4 SGB II
1. Zweistufigkeit des Staatsaufbaus, Stellung der Kommunen
2. Verwaltungskompetenz des Bundes für die Wahrnehmung der
Prüfbefugnisse (vgl. BVerfGE 127, 165)
a) Art. 84 GG
b) Durchsetzung von Haftungsansprüchen
- Art. 104a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG
- Art. 91e Abs. 2 Satz 2, 1. Halbsatz GG, ggf. i. V. m.
§ 6b Abs. 5 SGB II
- Öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch
c) Art. 91e Abs. 3 GG
IV. Rechtsfolgen
D. Abschließende Stellungnahmen 

Akkreditierungshinweise für die mündliche Verhandlung am 15. Januar 2014

Akkreditierung

Alle Medienvertreter haben sich schriftlich bis spätestens 9. Januar 2014, 12.00 Uhr, unter Bekanntgabe der E-Mail-Adresse zu akkreditieren (Fax Nr. 0721 9101-461). Die Anträge werden in der Reihenfolge des Eingangs berücksichtigt. Akkreditierungen, die nach Ablauf der Frist bzw. per E-Mail eingehen, werden nicht berücksichtigt. Nach Ablauf der Akkreditierungsfrist wird eine Bestätigung per E-Mail versandt.

Allgemeines

Für Medienvertreter stehen auf der Presseempore insgesamt 42 Sitzplätze zur Verfügung. Davon sind 11 Plätze für die Mitglieder der Justizpressekonferenz reserviert. Soweit Medienvertreter auf der Presseempore keinen Platz haben, müssen sie sich nach der Feststellung der Anwesenheit der Beteiligten in den dafür vorgesehenen Presseraum begeben. Der weitere Aufenthalt vor dem Sitzungssaal ist nicht gestattet.

Im Presseraum findet eine Tonübertragung aus dem Sitzungssaal statt. Hier stehen 26 Sitzplätze zur Verfügung. 230 V-Anschlüsse für Laptops sowie ein analoger Telefonanschluss sind vorhanden.

Das Telefonieren, Twittern und sonstige Versenden von Kurznachrichten, das digitale Abrufen von Daten sowie jegliche Nutzung des Internets im bzw. aus dem Sitzungssaal sind nicht gestattet. Alle für diese Zwecke nutzbaren elektronischen Geräte, insbesondere Mobiltelefone, Laptops und iPads, dürfen im Sitzungssaal nicht verwendet werden. Medienvertretern kann die Nutzung von Laptops im Offline-Betrieb gestattet werden, soweit sichergestellt ist, dass mit den Geräten weder Ton- und Bildaufnahmen noch Datenübermittlungen durchgeführt werden.

Foto- und Fernsehaufnahmen

1. Foto-, Film-, und Tonaufnahmen sind zulässig bis zum Abschluss der Feststellung der Anwesenheit der Verfahrensbeteiligten durch den Vorsitzenden des Senats. Danach haben Fotografen und Kamerateams den Sitzungssaal einschließlich der Presseempore zu verlassen. Zum Aufenthalt stehen die Pressenischen vor dem Sitzungssaalbereich sowie ein Medienvertreterraum zur Verfügung.

Für Foto- und Filmaufnahmen im Sitzungssaal werden zwei Fernsehteams (ein öffentlich-rechtlicher und ein privat-rechtlicher Sender mit jeweils maximal drei Kameras) sowie sechs Fotografen (vier Agenturfotografen und zwei freie Fotografen) zugelassen (Pool-Bildung).

Die Platzvergabe für die Poolführerschaft erfolgt nach der Reihenfolge des Fax-Eingangs. Die Bestimmung der "Pool-Mitglieder" bleibt den Fernsehsendern bzw. den Agenturen und Fotografen selbst überlassen.

Die "Pool-Mitglieder" verpflichten sich auf entsprechende Aufforderung hin, gefertigte Film und Fotoaufnahmen anderen Rundfunk- und TV-Anstalten sowie Fotoagenturen zur Verfügung zu stellen.

2. Bei Foto- und Filmaufnahmen im Sitzungssaal darf durch Fotografen, Kameraleute und sonstige Medienvertreter das freie Blickfeld des Senats nach allen Seiten nicht verstellt werden. Der Aufenthalt hinter der Richterbank ist nicht gestattet. Entsprechenden Anweisungen der Sitzungsamtsmeister sind Folge zu leisten. Foto- und Filmaufnahmen sind ausschließlich mit geräuschlosen Apparaten ohne Blitzlicht gestattet.

3. Nach Schluss der mündlichen Verhandlung sowie in der Mittagspause sind Interviews sowie Fernseh- und Fotoaufnahmen mit Verfahrensbeteiligten oder sonstigen Personen im Sitzungssaal lediglich für den Zeitraum von 20 Minuten zugelassen. Für weitere Aufnahmen stehen die Pressenischen vor dem Sitzungssaalbereich zur Verfügung.

Fahrzeuge der Radio- und Fernsehteams sowie Techniker

Für SNG-, Schnitt- und Übertragungsfahrzeuge steht nur eine begrenzte Anzahl von Standplätzen zur Verfügung.

Falls Standplätze benötigt werden, ist deren Anzahl bereits bei der Akkreditierung mit anzugeben. Die Standplätze werden nach Eingang des Antrags vergeben.

Für die Zuweisung der Standplätze werden folgende Angaben benötigt:

Kennzeichen, Fahrzeug-Typ, Fabrikat, Abmessungen (LxBxH in m), Gewicht und evtl. Bedarf an Strom, der über das Bundesverfassungsgericht bezogen werden soll. Ebenso sind Namen, Geburtsdatum und Personalausweisnummer der entsprechenden Techniker mitzuteilen.

Namen und Fahrzeugdaten der Teams sind bis spätestens 12.00 Uhr am Vortag der mündlichen Verhandlung per Fax zu übersenden (Fax Nr. 0721/9101-461). Nach Fristablauf oder per E-Mail eingegangene Daten werden nicht berücksichtigt.

==> Die entsprechenden Formulare zur Akkreditierung der Radio- und Fernsehteams sowie der Fahrzeuge finden sie als pdf-Datei auf der Homepage des Bundesverfassungsgerichts unter www.bundesverfassungsgericht.de.

Anfahrt und Aufbau sind am Vortag der mündlichen Verhandlung von 9:00 bis 18:00 Uhr sowie am Tag der mündlichen Verhandlung zwischen 7:00 und 9:00 Uhr möglich.

Aufbau von Studios

Der Aufbau von Studios ist in Absprache mit der Pressestelle ausschließlich in den Pressenischen möglich.

Diese Hinweise finden ihre Grundlage in § 17a BVerfGG in Verbindung mit den ergänzenden Regelungen des Ersten und Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts.