Bundesverfassungsgericht

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Parlamentarisches Informationsrecht über Unterstützungseinsätze der Bundespolizei erstreckt sich nur auf den Verantwortungsbereich des Bundes

Pressemitteilung Nr. 37/2015 vom 2. Juni 2015

Urteil vom 02. Juni 2015
2 BvE 7/11

Mit heute verkündetem Urteil hat der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts die verfassungsrechtlichen Maßstäbe konkretisiert, nach denen die Bundesregierung zur Beantwortung von parlamentarischen Anfragen über Unterstützungseinsätze der Bundespolizei verpflichtet ist. Das Informationsrecht erstreckt sich nur auf Umstände, die in den Verantwortungsbereich des Bundes fallen. Hierzu rechnet insbesondere die Entscheidung, inwieweit die Bundespolizei dem Unterstützungsersuchen eines Landes folgt. Die Bundesregierung ist hingegen nicht verpflichtet, sich zum Einsatzkonzept der Landespolizei und zu dessen Durchführung zu äußern. Parlamentarische Anfragen zu disziplinarrechtlich relevantem Verhalten von einzelnen Bundespolizisten sind jedoch zu beantworten, soweit sie die Tatsachen, aufgrund derer hierfür ein begründeter Verdacht besteht, hinreichend klar erkennen lassen. Nach diesen Maßstäben ist der von der Fraktion DIE LINKE gestellte Antrag im Organstreitverfahren teilweise erfolgreich.

Sachverhalt:

Gegenstand des Organstreitverfahrens sind Antworten der Bundesregierung auf Kleine Anfragen der Fraktion DIE LINKE im Deutschen Bundestag zu Unterstützungseinsätzen der Bundespolizei für mehrere Länder. Bezüglich der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Pressemitteilung Nr. 111/2014 vom 5. Dezember 2014 verwiesen.

Wesentliche Erwägungen des Senats:

1. Aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 und Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG folgt ein Frage- und Informationsrecht des Deutschen Bundestages gegenüber der Bundesregierung. Die Antworten der Bundesregierung sollen dazu dienen, dem Bundestag und den einzelnen Abgeordneten die für ihre Tätigkeit nötigen Informationen auf rasche und zuverlässige Weise zu verschaffen. Die parlamentarische Kontrolle von Regierung und Verwaltung verwirklicht den Grundsatz der Gewaltenteilung und ist zugleich Ausdruck der aus dem Demokratieprinzip folgenden Verantwortlichkeit der Regierung gegenüber dem Parlament.

2. Die Verwaltungszuständigkeiten von Bund und Ländern sind in den Art. 83 ff. GG erschöpfend geregelt. Vor diesem Hintergrund ist der Einsatz von Kräften der Bundespolizei zur Wahrnehmung von Aufgaben eines Landes nur aufgrund ausdrücklicher verfassungsrechtlicher Ermächtigung zulässig, wie sie das Grundgesetz in Art. 35 Abs. 2 Satz 1 für Fälle von besonderer Bedeutung unter engen Voraussetzungen vorsieht. Ein darüber hinausgehender regelmäßiger Einsatz von Kräften der Bundespolizei zur Wahrnehmung von Aufgaben der Länder wäre ebenso wenig zulässig wie der Ausbau der mit begrenzten Aufgaben betrauten Bundespolizei zu einer allgemeinen, mit der Polizei der Länder konkurrierenden Polizei des Bundes.

3. Das Frage- und Auskunftsrecht des Deutschen Bundestages, seiner Abgeordneten und Fraktionen gegenüber der Bundesregierung kann sich hinsichtlich der Unterstützungseinsätze nach Art. 35 Abs. 2 Satz 1 GG danach nur auf Umstände beziehen, die nach der im Grundgesetz angelegten und im Gesetz über die Bundespolizei näher geregelten Verteilung der Zuständigkeiten in den Verantwortungsbereich des Bundes fallen.

a) Die Bundesregierung hat auf parlamentarische Fragen zu der Entscheidung über das Ersuchen eines Landes um Unterstützung durch die Bundespolizei zu antworten. Dabei sind gegebenenfalls auch Tatsachen mitzuteilen, die zwar aus dem Bereich des anfragenden Landes stammen, aber die Grundlage für die Entscheidung über das Ersuchen bildeten, also etwa die in der Anforderung angegebenen wesentlichen Merkmale des Einsatzauftrages, der Umfang der angefragten Kräfte oder spezielle Anforderungen an die Art der zu entsendenden Unterstützungskräfte oder deren Ausrüstung.

Weiter sind Fragen zu beantworten, die sich auf Begleitumstände eines Unterstützungseinsatzes beziehen, für die eine Behörde des Bundes aufgrund ihrer Eigenschaft als Dienstherr der eingesetzten Beamten die Verantwortung trägt. Dies ist etwa der Fall bei Fragen zur Ausbildung und Ausrüstung der eingesetzten Bundespolizistinnen und -polizisten oder zu Disziplinarverfahren, die nach einem Unterstützungseinsatz gegen einzelne Beamte aufgrund ihres Verhaltens während des Einsatzes eingeleitet wurden. Dies umfasst auch etwaige Strafverfahren, sofern sie dem Dienstherrn bekannt geworden sind.

Entsprechendes gilt für sonstige Aspekte des Unterstützungseinsatzes, die in den Verantwortungsbereich des Bundes fallen, wie etwa Fragen zu den einsatzbedingten Mehrkosten.

b) Die Bundesregierung ist hingegen grundsätzlich nicht verpflichtet, sich zu dem Konzept des Gesamteinsatzes sowie zu dessen Vorbereitung, Planung und Durchführung zu äußern. Die Aufgabe, Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung durch polizeiliche Maßnahmen abzuwehren, liegt nach Art. 30, 70, 83 GG in der Zuständigkeit und Verantwortung der Länder. Der Bund übernimmt durch die Unterstützung mit Einheiten seiner Bereitschaftspolizei weder faktisch noch rechtlich die Verantwortung für die Leitung des Gesamteinsatzes. Auf die Frage, ob die Unterstützungsleistung rechtlich als Organleihe oder als Amtshilfe zu qualifizieren ist, kommt es insoweit nicht an.

Nach § 11 Abs. 2 Bundespolizeigesetz richtet sich die Unterstützung eines Landes durch die Bundespolizei in den hier relevanten Fällen nach dem für das Land geltenden Recht; die Bundespolizei unterliegt dabei den fachlichen Weisungen des Landes. Hieraus folgt, dass das Land die Verantwortung für das auf Weisung seiner Beamten erfolgende Handeln der Beamten der Bundespolizei trägt. Dem staatlichen Handeln wird in diesen Fällen demokratische Legitimation durch die Verantwortlichkeit der Landesregierung gegenüber der Volksvertretung des Landes verliehen. Auf deren konkrete Zusammensetzung kommt es dabei nicht an. Dass die Partei DIE LINKE nicht in allen Landesparlamenten durch Fraktionen vertreten ist und eine Bundestagsfraktion vorhandene Fraktionen in den Landesparlamenten nicht zu parlamentarischen Anfragen zwingen kann, stellt keine Legitimations- oder Kontrolllücke dar, sondern ist Folge des föderalen Staatsaufbaus.

Der Bund trägt allerdings - ungeachtet der Weisungsbefugnis des Landes - die dienstrechtliche Verantwortung für etwaiges rechtswidriges Verhalten seiner eingesetzten Beamten. Parlamentarische Anfragen zu rechtswidrigem, disziplinarrechtlich relevantem Verhalten einzelner Bundespolizisten im Rahmen von Unterstützungseinsätzen sind daher zu beantworten. Die Fragen müssen aber hinreichend klar erkennen lassen, dass und aufgrund welcher Tatsachen der begründete Verdacht eines rechtswidrigen Verhaltens von einzelnen Bundespolizisten besteht. In einem solchen Fall ist die Bundesregierung zur Mitteilung verpflichtet, welche Weisungslage bestand, ob sich die Beamten der Bundespolizei an diese Weisungen gehalten haben und, für den Fall der Abweichung, welche Gründe für eine solche vorlagen sowie welche Konsequenzen nach Beendigung des Einsatzes gezogen wurden. Nur diese Angaben ermöglichen die Aufdeckung etwaiger Dienstpflichtverletzungen, bei denen dem parlamentarischen Informationsinteresse besonders hohes Gewicht zukommt.

c) Die Bundesregierung ist nicht verpflichtet, sich zu Vorgängen aus dem Verantwortungsbereich eines Landes eine Meinung zu bilden und diese auf eine parlamentarische Anfrage hin mitzuteilen. Hat allerdings innerhalb der Bundesregierung eine derartige Meinungsbildung tatsächlich stattgefunden, so ist deren Ergebnis auf Verlangen offenzulegen. Dies gilt auch für die Bewertung eines Einsatzes durch das Bundesministerium des Innern oder das ihm nachgeordnete Bundespolizeipräsidium. Nehmen der Bund und das Land eine gemeinsame Auswertung des Einsatzes vor, so ist diese - etwa in Form eines gemeinsamen Abschlussberichts - auf Anfrage zu übermitteln, wenn nicht Geheimhaltungsgründe vorliegen. Nehmen Beamte des Bundes hingegen lediglich an einem Gremium des Landes in dessen alleiniger Federführung zur Auswertung des Einsatzes teil, so ist der Verantwortungsbereich der Bundesregierung und der ihr nachgeordneten Verwaltung des Bundes nicht betroffen und es besteht keine Antwortpflicht.

d) Verweigert die Bundesregierung die Antwort auf eine parlamentarische Anfrage zu einem Unterstützungseinsatz der Bundespolizei, so ist dies grundsätzlich begründungspflichtig. Ein Verweis auf die Zuständigkeit des Landes genügt, wenn die Antwort aufgrund fehlender eigener Verantwortlichkeit verweigert wird. Einer ausführlicheren Begründung bedarf es jedoch dann, wenn die Bundesregierung Auskünfte zu Umständen aus ihrem Verantwortungsbereich verweigern will, etwa weil es sich um einen Vorgang aus dem Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung handelt oder weil in seltenen Ausnahmefällen Gründe des Staatswohls der Auskunftserteilung entgegenstehen.

4. Nach diesen Maßstäben hat die Antragsgegnerin mit den Antworten auf die streitgegenständlichen Kleinen Anfragen der Antragstellerin deren Rechte aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 und Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG teilweise verletzt. Zwei der insgesamt knapp 100 Fragen wurden unzureichend beantwortet.

a) Die Antworten in der Bundestags-Drucksache 17/5270 vom 25. März 2011 und der Bundestags-Drucksache 17/5737 vom 6. Mai 2011 sind verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Die Vorbemerkung der Antragsgegnerin, wonach polizeiliche Einsatzlagen im Zusammenhang mit Demonstrationen und Versammlungen in die Zuständigkeit der Länder fallen, lässt erkennen, dass sie sich verpflichtet sah, auf Fragen zu Vorgängen aus ihrem eigenen Verantwortungsbereich, aber auch nur auf diese, zu antworten. In ihren Antworten hat die Bundesregierung die Verantwortungsbereiche des Bundes und des Freistaates Sachsen zutreffend abgegrenzt.

b) Die Antworten in der Bundestags-Drucksache 17/6022 vom 31. Mai 2011 zu dem Einsatz der Bundespolizei in Berlin, Heilbronn und an anderen Orten stellen hingegen teilweise eine Verkürzung des Fragerechts der Antragstellerin und damit eine Verletzung der Antwortpflicht der Antragsgegnerin dar. Die Antragsgegnerin wäre verpflichtet gewesen, auf die Fragen 10. e) und g) dieser Kleinen Anfrage zu antworten.

In der Vorbemerkung zu der Kleinen Anfrage hat die Antragstellerin ausgeführt, laut Presseberichten habe es insbesondere am Kottbusser Tor in Berlin, wo vornehmlich Angehörige der Bundespolizei eingesetzt gewesen seien, einen umfassenden und nach Einschätzung der Antragstellerin unverhältnismäßigen Einsatz von Pfefferspray und Reizgas gegeben. Damit hat die Antragstellerin Tatsachen vorgebracht, die den konkreten Verdacht disziplinarrechtlich relevanten Verhaltens von einzelnen Bundespolizisten begründeten. Die Antragsgegnerin wäre daher verpflichtet gewesen, über ihr nachgeordnete Behörden aufzuklären, ob es tatsächlich zu einem solchen Verhalten von einzelnen Beamten der Bundespolizei kam. Das Ergebnis dieser Prüfung hätte sie in ihrer Antwort mitteilen müssen. Für den Fall, dass es sich um Maßnahmen der Bundespolizei gehandelt haben sollte, hätte sie darüber hinaus angeben müssen, ob diese auf einer Weisung der Einsatzleitung des Landes beruhten und, falls dies nicht der Fall gewesen sein sollte, weshalb die Maßnahmen ohne eine solche Weisung ergriffen wurden.

Soweit um eine Bewertung des beanstandeten Einsatzes von Pfefferspray gebeten wurde, war die Antragsgegnerin zu einer solchen zwar grundsätzlich nicht verpflichtet und ist ihre Antwort so zu verstehen, dass eine dahingehende Meinungsbildung der Bundesregierung zum Zeitpunkt der Fragestellung nicht stattgefunden hatte. Die Frage ist aber im Kontext des Vorwurfs rechtswidrigen Verhaltens von Bundespolizisten zu sehen. Für den Fall, dass die Maßnahmen von der Bundespolizei getroffen worden sein sollten, hätte seitens der jeweiligen Disziplinarvorgesetzten ohnehin eine Bewertung erfolgen müssen. Die Antragsgegnerin war deshalb gehalten, sich zu dem in der Frage erhobenen Vorwurf rechtswidrigen Verhaltens von Bundespolizisten zu äußern.