Bundesverfassungsgericht

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Einstellung der Ermittlungen gegen Oberst und Hauptfeldwebel der Bundeswehr nach Luftangriff in Kunduz verstößt nicht gegen das Grundgesetz

Pressemitteilung Nr. 45/2015 vom 19. Juni 2015

Beschluss vom 19. Mai 2015
2 BvR 987/11

Die Einstellung des Ermittlungsverfahrens gegen einen Oberst und einen Hauptfeldwebel der Bundeswehr nach einem Luftangriff in Kunduz (Afghanistan) ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Dies hat die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts mit heute veröffentlichtem Beschluss entschieden. Die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die effektive Untersuchung von Todesfällen werden durch den Einstellungsbescheid des Generalbundesanwalts und die Entscheidung des Oberlandesgerichts Düsseldorf gewahrt. Durch einen Luftangriff in Kunduz (Afghanistan) im September 2009 war es zu einer Vielzahl - auch ziviler - Todesopfer gekommen; der Beschwerdeführer ist der Vater zweier getöteter Kinder.

Sachverhalt und Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer ist Vater zweier Kinder, die durch einen Luftangriff in Kunduz (Afghanistan) in der Nacht vom 3. auf den 4. September 2009 getötet wurden. Er erstattete Strafanzeige gegen einen Oberst und einen Hauptfeldwebel der Bundeswehr. Der Oberst hatte den Luftangriff als militärischer Leiter des Provinz-Wiederaufbauteams (PRT) in Kunduz veranlasst, der Hauptfeldwebel wirkte daran als Fliegerleitoffizier des PRT Kunduz mit. Zwei Tanklastwagen waren von bewaffneten Taliban entführt worden und steckten auf einer Sandbank im Fluss Kunduz fest. In der Annahme, dass die Tanklaster von den Taliban jederzeit zu „rollenden Bomben“ gegen ein in der Nähe befindliches Lager der Bundeswehr umfunktioniert werden könnten und es sich bei den Personen in der Nähe der Fahrzeuge um Angehörige oder jedenfalls Unterstützer der Taliban handelte, wurde der Luftangriff befohlen. Tatsächlich hatte er jedoch eine Vielzahl von Todesopfern, auch unter der Zivilbevölkerung, zur Folge.

Mit Bescheid vom 13. Oktober 2010 stellte der Generalbundesanwalt das Ermittlungsverfahren wegen Verdachts einer Strafbarkeit nach dem Völkerstrafgesetzbuch sowie anderer Delikte mangels zur Anklageerhebung hinreichenden Tatverdachts ein. Einen hiergegen erhobenen Antrag auf gerichtliche Entscheidung verwarf das Oberlandesgericht Düsseldorf mit Beschluss vom 16. Februar 2011 als unzulässig.

Wesentliche Erwägungen der Kammer:

Der Einstellungsbescheid des Generalbundesanwalts vom 13. Oktober 2010 und der Beschluss des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 16. Februar 2011 sind verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

1.  Der Beschwerdeführer verlangt die strafrechtliche Verfolgung einer Handlung, die nach ihrem objektiven Tatbestand zu den Kriegsverbrechen im Sinne des Völkerstrafgesetzbuchs zählt und auch nach allgemeinem Strafrecht als Mord im Sinne des Strafgesetzbuchs einzuordnen ist. Zugleich steht der Vorwurf im Raum, ein Amtsträger habe bei Wahrnehmung hoheitlicher Aufgaben nicht nur Straftaten begangen, sondern auch den Tod eines Menschen verursacht. Insoweit hat auch der Beschwerdeführer als Vater - vermittelt über Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 2 und Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG - einen Anspruch auf effektive Strafverfolgung. Weil der Verzicht auf eine effektive Verfolgung solcher Taten zu einer Erschütterung des Vertrauens in die Integrität staatlichen Handelns führen kann, muss bereits der Anschein vermieden werden, dass sie nur unzureichend untersucht würden, dass gegen Amtswalter des Staates weniger effektiv ermittelt würde oder dass insoweit erhöhte Anforderungen an eine Anklageerhebung gestellt würden.

2. Der Bescheid des Generalbundesanwalts vom 13. Oktober 2010 wird diesen Anforderungen gerecht. Er verkennt weder die grundrechtliche Bedeutung des Schutzes des Lebens und die daraus folgenden Schutzpflichten des Staates noch die sich aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wie des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ergebenden Anforderungen an die effektive Untersuchung von Todesfällen. Dies gilt auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass es sich bei dem Angriff auf die Tankwagen um einen Vorfall mit schwersten Folgen, insbesondere einer großen Zahl von Opfern unter der Zivilbevölkerung mit Kindern und Jugendlichen handelte.

Der Bescheid stellt die durchgeführten Ermittlungen dar und leitet daraus ab, dass sich keine ausreichenden Anhaltspunkte für einen hinreichenden Tatverdacht ergeben hätten. Die Einlassung der Beschuldigten, sie hätten in der Überzeugung gehandelt, bei den Personen in der unmittelbaren Nähe der Tanklastwagen habe es sich um bewaffnete Aufständische gehandelt, lasse sich nicht widerlegen. Daher sei der subjektive Tatbestand einer Straftat nicht gegeben. Diese Annahme ist nicht willkürlich und aus verfassungsrechtlicher Sicht daher nicht zu beanstanden. Daran hätte auch eine Einvernahme von Zeugen, die die fragliche Bombardierung beobachtet haben, nichts geändert, denn das Ereignis der Bombardierung selbst wie auch der Tod von zahlreichen unbeteiligten Zivilisten standen von Anfang an außer Frage.

Der Beschluss des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 16. Februar 2011 begegnet ebenfalls keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Da die durchgeführten Ermittlungen und deren Dokumentation durch den Generalbundesanwalt den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügen, kann eine nachfolgende gerichtliche Entscheidung, die dies überprüfen soll, nicht (mehr) zu einer Verletzung des Anspruchs auf effektive Strafverfolgung führen.

Auch Bedeutung und Tragweite des Grundrechts auf effektiven Rechtsschutz werden nicht verkannt. Wenn der Beschwerdeführer den Antrag auf gerichtliche Entscheidung maßgeblich auch mit Inhalten aus den Ermittlungsakten begründet, ist er gehalten, zumindest den wesentlichen Inhalt der Beweismittel mitzuteilen, aus denen er auszugsweise vorträgt oder gar zitiert. Bei einer nur selektiven Wiedergabe von Teilen der Einlassung des Beschuldigten oder auch der Einvernahme von Zeugen kann ein unzutreffendes Bild vom Ermittlungsergebnis entstehen, das nicht ohne Weiteres wieder berichtigt werden kann. Diesen Anforderungen ist der Beschwerdeführer vorliegend nicht gerecht geworden.