Bundesverfassungsgericht

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Geldentschädigung wegen Unterbringung in zu kleiner Einzelzelle

Pressemitteilung Nr. 68/2015 vom 16. September 2015

Beschluss vom 14. Juli 2015
1 BvR 1127/14

Mit heute veröffentlichtem Beschluss hat die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts ein Urteil des Kammergerichts in einem Amtshaftungsverfahren wegen menschenunwürdiger Haftunterbringung teilweise aufgehoben. Der Berliner Verfassungsgerichtshof hatte mit einer am 5. November 2009 veröffentlichten Entscheidung die Verletzung der Menschenwürde eines Beschwerdeführers in einem anderen Verfahren aufgrund seiner mehrmonatigen Unterbringung in einer Einzelzelle von 5,25 m² ohne abgetrennte Toilette bei täglichem Einschluss zwischen 15 und fast 21 Stunden festgestellt. Der Beschwerdeführer dieses Verfahrens war unter ähnlichen Bedingungen untergebracht. Verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist das Urteil des Kammergerichts, soweit es Amtshaftungsansprüche für die Zeit vor Veröffentlichung der Entscheidung des Berliner Verfassungsgerichtshofs verneint und zudem eine zweiwöchige Umsetzungsfrist zur Umsetzung dieser Entscheidung einräumt. Die Ablehnung einer Geldentschädigung auch nach Ablauf der Umsetzungsfrist verkennt jedoch Bedeutung und Tragweite der Menschenwürdegarantie (Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG). Die Sache wird insoweit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Kammergericht zurückverwiesen.

Sachverhalt und Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer war in der Zeit vom 9. Juni 2009 bis zum 23. November 2009 in einer Einzelzelle mit einer Bodenfläche von 5,25 m² und räumlich nicht abgetrennter Toilette untergebracht. In einem parallel gelagerten Verfahren stellte der Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin mit einem am 5. November 2009 veröffentlichten Beschluss eine Verletzung der Menschenwürde fest. Die Entschädigungsklage des Beschwerdeführers wies das Kammergericht mit angegriffenem Urteil ab. Eine zweiwöchige Übergangsfrist bis zum 19. November 2009 sei für die Prüfung einzuräumen, wie die menschenunwürdige Haftsituation vieler Betroffener in der Justizvollzugsanstalt zu unterbinden sein könnte. Auch die verhältnismäßig geringfügige Überschreitung der Übergangsfrist gebiete keine Entschädigung in Geld. Vielmehr werde bereits mit der Feststellung der menschenwürdigen Haftunterbringung dem berechtigten Rechtsschutzanliegen des Beschwerdeführers angemessen Rechnung getragen.

Wesentliche Erwägungen der Kammer:

Die Verfassungsbeschwerde hat teilweise Erfolg.

1. Soweit das Kammergericht zu dem Ergebnis kommt, ein Verschulden der zuständigen Amtsträger sei bis zur Bekanntgabe der Entscheidung des Berliner Verfassungsgerichtshofs am 5. November 2009 und darüber hinaus bis zum Ablauf einer zweiwöchigen Übergangsfrist nicht gegeben, hält sich dies jedenfalls noch im Rahmen des fachgerichtlichen Wertungsspielraums. Das Kammergericht hat vertretbar konzediert, dass die Rechtsfrage, ab welcher konkreten Haftraumgröße eine Verletzung der Menschenwürde anzunehmen ist, nicht einfach zu beurteilen gewesen sei und insbesondere bei einer Einzelzelle weder durch die Rechtsprechung geklärt noch im Schrifttum abschließend behandelt gewesen sei.

2. Das Urteil des Kammergerichts kann allerdings keinen Bestand haben, soweit es sich auf den Zeitraum nach Ablauf der Übergangsfrist vom 20. November 2009 bis 23. November 2009 bezieht. Die Erwägungen, aufgrund derer das Kammergericht einen Amtshaftungsanspruch des Beschwerdeführers für den erlittenen menschenunwürdigen Freiheitsentzug verneint hat, werden der Bedeutung des Grundrechts der Menschenwürde aus Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG als Grundlage einer rechtsstaatlichen Kompensation in Form eines Amtshaftungsanspruchs nicht gerecht. Das Bundesverfassungsgericht hat bereits entschieden, dass der Schutzauftrag der Menschenwürde beziehungsweise des allgemeinen Persönlichkeitsrechts einen Anspruch auf Ausgleich des immateriellen Schadens gebietet, weil anderenfalls ein Verkümmern des Rechtsschutzes der Persönlichkeit zu befürchten wäre. Zwar muss der hiernach rechtsstaatlich gebotene Ausgleich nicht zwingend in der Zubilligung eines Zahlungsanspruchs bestehen. Vorliegend hat das Kammergericht einen Ausgleichsanspruch aber in verfassungsrechtlich nicht mehr tragfähiger Weise verneint.

Der Verfassungsgerichtshof für das Land Berlin hat in bundesverfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise hervorgehoben, dass die Unterbringung eines Häftlings für einen Zeitraum von knapp drei Monaten in einem Einzelhaftraum mit einer Bodenfläche von 5,25 m² und Einschlusszeiten zwischen 15 und fast 21 Stunden bei einer Gesamtschau der Umstände dessen Menschenwürde verletzt. Dabei hat der Berliner Verfassungsgerichtshof allerdings festgestellt, dass menschenwürdige Zustände in einer größeren Haftanstalt nicht von heute auf morgen hergestellt werden können und deshalb für eine Übergangsfrist von zwei Wochen hinzunehmen sind. Vor diesem Hintergrund bewegt sich die Einschätzung, für diese Übergangsfrist komme ein Amtshaftungsanspruch aufgrund mangelnden Verschuldens der verantwortlichen Amtsträger nicht in Betracht, noch im fachgerichtlichen Wertungsrahmen. Demgegenüber stellt eine fortdauernde Inhaftierung nach Ablauf der Übergangsfrist ersichtlich ein schuldhaftes, amtshaftungsrechtliche Ansprüche auslösendes Handeln dar.