Bundesverfassungsgericht

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Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen das Anleihenkaufprogramm der EZB erfolglos

Pressemitteilung Nr. 89/2017 vom 18. Oktober 2017

Beschluss vom 10. Oktober 2017
2 BvR 859/15, 2 BvR 980/16, 2 BvR 2006/15, 2 BvR 1651/15

In den Verfahren betreffend die Frage, ob das Programm zum Ankauf von Wertpapieren des öffentlichen Sektors der Europäischen Zentralbank mit dem Grundgesetz vereinbar ist, haben die Beschwerdeführer Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt. Mit diesen wollten die Beschwerdeführer im Wesentlichen erreichen, dass der Deutschen Bundesbank einstweilen der weitere Ankauf von Staatsanleihen untersagt wird. Ferner sollten Bundesregierung und Bundestag dazu verpflichtet werden, sich mit dem Anleihenkaufprogramm aktiv auseinanderzusetzen. Mit heute veröffentlichtem Beschluss hat der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts diese Anträge abgelehnt. Sie waren bereits unzulässig, weil eine einstweilige Anordnung des von den Antragstellern begehrten Inhalts die Entscheidung in der Hauptsache vorweggenommen hätte.

Sachverhalt:

1. Die Beschwerdeführer machen mit ihren Verfassungsbeschwerden geltend, dass das Europäische System der Zentralbanken mit dem von ihm aufgelegten Programm zum Ankauf von Wertpapieren des öffentlichen Sektors (Public Sector Purchase Programme - PSPP) gegen das Verbot monetärer Staatsfinanzierung und das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung verstoße. Mit Beschluss vom 18. Juli 2017 hat der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts die Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof der Europäischen Union mehrere Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt. Auf die Pressemitteilung Nr. 70/2017 vom 15. August 2017 wird ergänzend verwiesen.

2. Mit ihren Anträgen auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wollten die Beschwerdeführer erreichen, dass der Deutschen Bundesbank der weitere Ankauf von Staatsanleihen im Rahmen des Anleihenkaufprogramms der Europäischen Zentralbank untersagt wird.

Wesentliche Erwägungen des Senats:

1. Durch den Erlass einer einstweiligen Anordnung soll lediglich ein Zustand vorläufig geregelt, nicht aber die Hauptsache vorweggenommen werden. Eine Vorwegnahme der Hauptsache steht der Zulässigkeit eines Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nur dann nicht entgegen, wenn eine Entscheidung in der Hauptsache möglicherweise zu spät käme und dem Antragsteller ausreichender Rechtsschutz nicht mehr gewährt werden könnte. Eine unzulässige Vorwegnahme der Hauptsache ist anzunehmen, wenn der beantragte Inhalt der einstweiligen Anordnung und das Rechtsschutzziel in der Hauptsache zumindest vergleichbar sind, wenn also die stattgebende einstweilige Anordnung mit dem Zeitpunkt ihres Erlasses einen Zustand verwirklicht, der erst durch die zeitlich spätere Entscheidung in der Hauptsache hergestellt werden soll.

2. a) Danach können die Anträge keinen Erfolg haben. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung hätte, soweit dadurch der Ankauf von Staatsanleihen durch die Bundesbank im Rahmen des PSPP untersagt würde, nicht nur vorläufigen Charakter. Mit der Unterbrechung der Anleihekäufe durch die Bundesbank würde die Zielsetzung des PSPP, durch eine weitere Lockerung der monetären und finanziellen Bedingungen eine Anhebung der Inflation auf knapp 2 % zu bewirken, aufgrund des hohen prozentualen Anteils der von der Bundesbank getätigten Ankäufe jedenfalls stark eingeschränkt oder womöglich sogar verhindert werden. Eine antragsgemäße einstweilige Anordnung ginge daher über die bloße Sicherung des Status quo hinaus und wäre weitgehend identisch mit einer stattgebenden Entscheidung in der Hauptsache.

b) Die Vorwegnahme der Hauptsache ist auch nicht ausnahmsweise zulässig, weil den Antragstellern sonst ein schwerer, nicht wieder gutzumachender Nachteil entstünde. Nach einer Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union bleibt eine stattgebende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in der Hauptsache möglich, so dass die Antragsteller im Hauptsacheverfahren ihr Rechtsschutzziel erreichen können. Dem steht auch nicht entgegen, dass der Gerichtshof der Europäischen Union den Antrag des Senats auf Durchführung des beschleunigten Verfahrens abgelehnt hat; denn er hat zugleich mitgeteilt, die Rechtssache mit Vorrang zu entscheiden.