Bundesverfassungsgericht

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Erfolglose Verfassungsbeschwerden gegen Nichtberücksichtigung von Versorgungsanwartschaften hochrangiger Funktionäre der DDR

Pressemitteilung Nr. 110/2017 vom 13. Dezember 2017

Beschlüsse vom 9. November 2017 1 BvR 1069/14, 1 BvR 2369/14

Der Gesetzgeber durfte an herausgehobene Funktionen im DDR-Staatsapparat ohne Verfassungsverstoß eine Begrenzung der in die bundesdeutsche Rentenversicherung zu überführenden Versorgungsanwartschaften knüpfen. Zu diesen Funktionen zählt auch die eines Staatsanwaltes beim Generalstaatsanwalt. Die in früheren Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zur Nichtberücksichtigung solcher Anwartschaften entwickelten Maßstäbe gelten auch, wenn hochrangigen Funktionären per Einzelvertrag eine Versorgung aus einem für andere Berufsgruppen vorgesehenen Versorgungssystem zugesichert wird. Dies hat die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts mit heute veröffentlichten Beschlüssen entschieden und zwei Verfassungsbeschwerden nicht zur Entscheidung angenommen, mit denen sich die Beschwerdeführer gegen die jeweils nur eingeschränkte Berücksichtigung der in der DDR erworbenen Ansprüche wandten.

Sachverhalt:

Das Alterssicherungssystem der DDR beruhte auf der Kombination einer vergleichsweise geringen Rente aus der Sozialpflichtversicherung, der Möglichkeit einer freiwilligen Zusatzrentenversicherung (FZR) und zahlreichen Zusatz- und Sonderversorgungssystemen. Nach der Wiedervereinigung wurden die ostdeutschen Rentenansprüche und -anwartschaften sowohl aus der gesetzlichen Sozialversicherung als auch aus der FZR und den Versorgungssystemen in das Rentenversicherungssystem der Bundesrepublik überführt. Bei der Rentenberechnung werden für Zeiten der Zugehörigkeit zu einem Zusatz- oder Sonderversorgungssystem die berücksichtigungsfähigen Verdienste nach dem Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz (AAÜG) zugrunde gelegt. Das AAÜG sieht für einen bestimmten Personenkreis - darunter stellvertretende Minister und Staatsanwälte beim Generalstaatswalt - in Umsetzung von Vorgaben des Einigungsvertrags eine Kürzung der bei der Rentenberechnung berücksichtigungsfähigen Entgelte aus den Zeiten der Zugehörigkeit zu Zusatzversorgungssystemen auf die Werte, die dem Durchschnittsverdienst der Beschäftigten in der DDR im jeweiligen Kalenderjahr entsprechen, vor.

Aufgrund dessen wurden bei der Festsetzung der Rente der Beschwerdeführer, eines ehemaligen Stellvertreters des Ministers der Finanzen und der Witwe eines dem Generalstaatsanwalt - zuletzt als Abteilungsleiter - beigeordneten Staatsanwalts, die Verdienste aus dem Zusatzversorgungssystem für hauptamtliche Mitarbeiter des Staatsapparates jeweils nur mit dem Durchschnittsverdienst in der DDR entsprechenden Werten berücksichtigt. Im Falle des stellvertretenden Ministers galt dies auch für eine ihm aufgrund einer früheren Tätigkeit zugesagte Versorgung nach dem zusätzlichen Altersversorgungssystem der technischen Intelligenz (AVItech), soweit diese nach der Ernennung zum stellvertretenden Minister fortgeführt wurde, und eines anlässlich seiner Ernennung durch Einzelvertrag vereinbarten Anspruchs auf Altersversorgung der Intelligenz an wissenschaftlichen, künstlerischen, pädagogischen und medizinischen Einrichtungen (AVIwiss). Die hiergegen gerichteten Klagen vor dem jeweiligen Sozialgericht blieben, ebenso wie die Berufungen und die Beschwerden gegen die Nichtzulassung der Revisionen, erfolglos. Mit ihren Verfassungsbeschwerden rügen die Beschwerdeführer in erster Linie die Verletzung von Art. 3 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 GG.

Wesentliche Erwägungen der Kammer:

Eine Grundrechtsverletzung ist nicht hinreichend substantiiert dargetan.

1. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sind die Rentenansprüche und
-anwartschaften aus Zusatz- und Sonderversorgungssystemen lediglich in dem Umfang nach Art. 14 Abs. 1 GG geschützt, den sie aufgrund der Regelungen des Einigungsvertrags erhalten haben. Dem Gesetzgeber kommt bei der notwendigen Neuordnung sozialrechtlicher Rechtsverhältnisse im Zusammenhang mit der Wiedervereinigung und insbesondere bei der Herstellung der Rechtseinheit in der gesetzlichen Rentenversicherung und der Überführung der im Beitrittsgebiet erworbenen Ansprüche und Anwartschaften ein besonders großer Gestaltungsspielraum zu. Er ist berechtigt, Rentenansprüche und Rentenanwartschaften zu beschränken, Leistungen zu kürzen und Ansprüche und Anwartschaften umzugestalten, sofern dies einem Gemeinwohlzweck, insbesondere der Abschaffung ungerechtfertigter und dem Abbau überhöhter Leistungen, dient und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügt; er darf dabei Differenzierungen weiterführen, die schon der mit den Verhältnissen vertraute Gesetzgeber der DDR zur Grundlage von Entgeltkürzungen gemacht hat - namentlich die Zugehörigkeit zu bestimmten Versorgungssystemen. Der Gesetzgeber kann dabei auch berücksichtigen, dass die Empfänger von Zusatz- und Sonderversorgungen grundsätzlich weniger schutzbedürftig sind als sonstige Rentner. Er kann auch an die Ausübung bestimmter leitender Funktionen im Partei- und Staatsapparat anknüpfen. Art. 3 Abs. 1 GG und Art. 14 Abs. 1 GG verlangen für eine solche Kürzung nicht zwingend eine individuelle Prüfung in jedem Einzelfall. Der Gesetzgeber durfte - eng zugeschnittene - Gruppen bilden, für deren Angehörige die Anwendung der besonderen Bemessungsgrenze als gerechtfertigt angesehen werden kann.

2. Soweit der frühere stellvertretende Minister als Beschwerdeführer allgemein die Verfassungswidrigkeit der gesetzlichen Regelung aus § 6 Abs. 2 Nr. 4 AAÜG in Verbindung mit Anlage 5 zum AAÜG geltend gemacht hat, kann er damit schon deswegen nicht durchdringen, weil das Bundesverfassungsgericht die Regelung ausdrücklich und damit mit Gesetzeskraft für mit dem Grundgesetz vereinbar erklärt hat (Beschluss des Ersten Senats vom 6. Juli 2010 - 1 BvL 9/06 u. a. -). Weder zeigt das Vorbringen des Beschwerdeführers auf, dass diese Maßstäbe unzutreffend sein könnten, noch wurden neue rechtserhebliche, gegen die damals tragenden Feststellungen sprechende Tatsachen, die eine andere Entscheidung rechtfertigen könnten, substantiiert dargelegt. Auch im Verfahren des Staatsanwaltes bei dem Generalstaatsanwalt waren die dort entwickelten Maßstäbe jedenfalls Ausgangspunkt der Argumentation, obwohl eine ausdrückliche Entscheidung zu der insoweit maßgeblichen Nummer 7 von § 6 Abs. 2 AAÜG noch nicht vorlag.

3. a) Soweit gerügt wird, die Auslegung von § 6 Abs. 2 Nr. 4 AAÜG durch die Fachgerichte sei verfassungswidrig, weil sie zu einer Begrenzung der Entgelte aus einer Zeit der Zugehörigkeit des stellvertretenden Ministers zur AVItech (oder der AVIwiss) führe, ist eine mögliche Verletzung in Grund- oder grundrechtsgleichen Rechten ebenfalls nicht hinreichend dargetan, zumal der Wortlaut des AAÜG diese Versorgungssysteme unterschiedslos mit einbezieht. Die insoweit durch den betreffenden Beschwerdeführer geforderte einschränkende Auslegung folgt weder aus früheren Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes noch ist dargelegt, dass eine solche aus verfassungsrechtlichen Gründen geboten sein könnte. Es würde im Gegenteil einen kaum zu rechtfertigenden Gleichheitsverstoß darstellen, wenn ein stellvertretender Minister im Gegensatz zu anderen von einer Entgeltbegrenzung verschont bliebe, nur weil das ihm zusätzlich gewährte Versorgungssystem seiner Tätigkeit nicht unmittelbar entspricht. Soweit geltend gemacht wird, dass bei Personen, die der AVItech zugehört hätten, die Grundannahme des Bundesverfassungsgerichts, es handele sich um Funktionsträger auf höchster Staatsebene mit entsprechenden Privilegien, nicht zutreffe, ist dieses Vorbringen nicht geeignet, die Auslegung des AAÜG durch die Fachgerichte als verfassungswidrig auszuweisen. Ein (stellvertretender) Minister bleibt vielmehr Funktionsträger auf höchster Staatsebene, auch oder gerade wenn ihm die Einbeziehung in ein Versorgungssystem einzelvertraglich zugebilligt wird, dessen Anwendungsbereich primär auf ganz andere Berufsgruppen zielte. Dass Personen wie er, die als Minister in die AVItech oder AVIwiss einbezogen waren, deswegen (oder aus sonstigen Gründen) anders und weniger privilegiert behandelt worden wären als andere Minister, ist nicht konkret dargetan. Der Gesetzgeber durfte an herausgehobene politisch-gubernative Funktionen wie die des stellvertretenden Ministers ohne Verfassungsverstoß eine Begrenzung der in die bundesdeutsche Rentenversicherung zu überführenden Anwartschaften knüpfen. Vor diesem Hintergrund folgt auch aus dem Vortrag, dass der Beschwerdeführer im Zuge der wirtschaftlichen Reformbestrebungen der DDR, die mit dem „Neuen Ökonomischen System“ verbunden gewesen seien, stellvertretender Minister geworden sei und seine Berufung ausschließlich seiner fachlichen Qualifikation geschuldet sei, nicht die Verfassungswidrigkeit der Begrenzung.

b) Ebensowenig ist substantiiert dargelegt, dass die genannten Grundsätze auf die Gruppe der Staatsanwälte bei dem Generalstaatsanwalt, mit denen sich das Bundesverfassungsgericht in den vorherigen Entscheidungen zum AAÜG nicht zu befassen hatte, nicht übertragbar sein könnten. Für eine substantiierte Darlegung, dass die Entgeltbegrenzung zwar für andere hohe Funktionsträger, nicht aber für die Staatsanwälte bei dem Generalstaatsanwalt gerechtfertigt wäre, fehlt es an einer konkreten Befassung mit der Bedeutung des Generalstaatsanwalts und der ihm beigeordneten Staatsanwälte. So hätte sich das Beschwerdevorbringen damit auseinandersetzen müssen, dass dem Generalstaatsanwalt als Leiter der Staatsanwaltschaft mit all ihren Untergliederungen eine herausgehobene Funktion zukam und die Staatsanwaltschaft als zentrales Organ der einheitlichen sozialistischen Staatsmacht wiederum eine wichtige Rolle bei der Absicherung des auf die Führungsrolle der SED ausgerichteten Systems spielte. Hinzu kamen - wie in den realsozialistischen Staaten üblich - die allgemeine Gesetzlichkeitsaufsicht und die damit verbundene Rolle bei der Durchsetzung der sozialistischen Staats- und Herrschaftsordnung in Zusammenarbeit mit anderen Organen des Staates, der Partei und der Gesellschaft, wozu auch eine Abstimmung bezüglich politisch relevanter Verfahren zählte. Die Behörde des Generalstaatsanwaltes war für eine der führenden Rolle der Arbeiterklasse entsprechende Auswahl, Entwicklung und Erziehung der Kader der Staatsanwaltschaft verantwortlich. Die Besetzung der Positionen des Generalstaatsanwalts selbst, seiner Stellvertreter und der Abteilungsleiter waren dem Zentralkomitee der SED vorbehalten. Diese Zusammenhänge prägten auch die Stellung der einzelnen Staatsanwälte, die der Arbeiterklasse und dem sozialistischen Staat treu ergeben zu sein hatten und zuletzt nahezu ausnahmslos Mitglieder in der SED und somit zugleich als Funktionäre des Staates und als Parteifunktionäre tätig waren.