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Regelungen zum Hochschulkanzler auf Zeit verfassungswidrig

Pressemitteilung Nr. 39/2018 vom 23. Mai 2018

Beschluss vom 24. April 2018
2 BvL 10/16

Das Lebenszeitprinzip als grundgesetzlich geschützter hergebrachter Grundsatz des Berufsbeamtentums beinhaltet nicht nur die grundsätzliche Anstellung der Beamten auf Lebenszeit, sondern auch die lebenszeitige Übertragung des jeweiligen Amtes. Der Unentziehbarkeit dieses sogenannten statusrechtlichen Amts kommt grundlegende Bedeutung zu, weil sie den Beamten die im Interesse ihrer Bindung an Gesetz und Recht erforderliche Unabhängigkeit sichert. Vor diesem Hintergrund hat der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts mit heute veröffentlichtem Beschluss auf eine Vorlagefrage des Bundesverwaltungsgerichts hin festgestellt, dass die Vorschriften des Brandenburgischen Hochschulrechts, welche eine Berufung von Hochschulkanzlern in ein Beamtenverhältnis auf Zeit vorsehen, gegen die Verfassung verstoßen. Zur Begründung hat er angeführt, dass die Ausgestaltung eines Beamtenverhältnisses auf Zeit als Eingriff in das Lebenszeitprinzip nur mit Blick auf die Besonderheiten des betroffenen Sachbereichs und der damit verbundenen Aufgabenwahrnehmung gerechtfertigt werden kann. Im Rahmen der konkreten Bewertung der brandenburgischen Regelungen hat der Senat keine besonderen Sachgesetzlichkeiten identifizieren können, die eine Ausnahme vom Grundsatz der lebenszeitigen Anstellung und Übertragung des statusrechtlichen Amtes erforderlich machen. Insbesondere ist die Zu- und Unterordnung des Hochschulkanzlers zur Verantwortungssphäre des Hochschulpräsidenten kein hinreichender Sachgrund für die Berufung in ein Beamtenverhältnis auf Zeit und der Kanzler nicht mit politischen Beamten oder kommunalen Wahlbeamten vergleichbar.

Sachverhalt:

Der Kläger des Ausgangsverfahrens war im Dienst des Landes Brandenburg als Beamter auf Lebenszeit, zuletzt als Ministerialrat im Finanzministerium, tätig. Nachdem er für die Stelle des Kanzlers einer Hochschule ausgewählt worden war, bestellte ihn der Präsident der Hochschule 2005 zum Kanzler derselben. Zugleich wurde er von der Wissenschaftsministerin unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Zeit für die Dauer von sechs Jahren zum Kanzler ernannt und unter Übertragung dieses Amtes in eine Planstelle eingewiesen. Das Finanzministerium teilte ihm im Juli 2005 mit, dass er wegen seiner Ernennung zum Beamten auf Zeit kraft Gesetzes aus dem Beamtenverhältnis auf Lebenszeit entlassen sei. Im Juni 2010 beantragte er die erneute, unbefristete Bestellung zum Kanzler. Der Präsident der Hochschule bestellte ihn daraufhin wiederum zum Kanzler. Nach Ablehnung der Ernennung durch das Ministerium, Ausschreibung der Stelle und Durchführung eines Auswahlverfahrens gab der Präsident der Hochschule im Oktober 2010 die erneute Bestellung zum Kanzler bekannt. 2011 und 2013 ernannte ihn die Wissenschaftsministerin jeweils unter Einweisung in eine Planstelle abermals zum Kanzler auf Zeit.

Im Revisionsverfahren über die Verpflichtungs- und Bescheidungsklage auf Begründung eines Beamtenverhältnisses auf Lebenszeit hat das Bundesverwaltungsgericht das Verfahren ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht die Frage vorgelegt, ob die landesgesetzlichen Regelungen zur Ausgestaltung des Hochschulkanzleramtes im Beamtenverhältnis auf Zeit gegen Art. 33 Abs. 5 GG verstoßen.

Wesentliche Erwägungen des Senats:

Die im brandenburgischen Hochschulrecht geregelte Vergabe des Amtes des Kanzlers im Beamtenverhältnis auf Zeit verletzt den Kernbereich des Lebenszeitprinzips, das als hergebrachter Grundsatz des Berufsbeamtentums von Art. 33 Abs. 5 GG geschützt wird und nach dem Statusämter grundsätzlich auf Lebenszeit zu übertragen sind.

1. Es liegt ein Eingriff in das Lebenszeitprinzip vor. Nach brandenburgischem Hochschulrecht ist die Kanzlerin oder der Kanzler in ein Beamtenverhältnis auf Zeit zu berufen, wenn sie oder er aus einem Beamtenverhältnis auf Lebenszeit bestellt wird. Die Amtszeit beträgt sechs Jahre, wobei erneute Bestellungen möglich sind. Nach Ablauf der Amtszeit ist die Kanzlerin oder der Kanzler aus dem Beamtenverhältnis auf Zeit entlassen.

2. Diese Durchbrechung des Lebenszeitprinzips ist nicht gerechtfertigt. Aus der Stellung des Hochschulkanzlers und dessen Aufgabenspektrum nach brandenburgischem Hochschulrecht folgen keine besonderen Sachgesetzlichkeiten, die eine Ausnahme vom Grundsatz der lebenszeitigen Anstellung und Übertragung des statusrechtlichen Amtes erforderlich machen.

a) Ein zwingender Sachgrund für eine Durchbrechung des Lebenszeitprinzips als hergebrachter Grundsatz des Berufsbeamtentums ist dem brandenburgischen Hochschulrecht nicht zu entnehmen.

aa) Das brandenburgische Hochschulrecht sieht in verfassungsrechtlich zulässiger Weise den Präsidenten der Hochschule als zentrales Leitungsorgan mit weitgehenden Befugnissen vor. Dem Hochschulkanzler ist lediglich ein eigener Sachbereich als weisungsabhängiger und dienstrechtlich unterstellter Leiter der Verwaltung unter der Verantwortung des Präsidenten der Hochschule zugewiesen. Aus dieser Zuordnung des Kanzlers zur Verantwortungssphäre des Präsidenten ergibt sich keine Notwendigkeit, einen im Beamtenverhältnis beschäftigten Kanzler nur auf Zeit zu bestellen. Auch wenn der Kanzler als Leiter der Hochschulverwaltung und damit enger Mitarbeiter des Präsidenten dessen hochschulpolitische Konzepte verwaltungstechnisch und mit den zur Verfügung stehenden Haushaltsmitteln umsetzen muss, lässt sich hieraus keine über die allgemeine beamtenrechtliche Treuepflicht hinausgehende Loyalitätsbeziehung herleiten. Treue, Pflichterfüllung, unparteiischen Dienst für das Gemeinwesen sowie Gehorsam gegenüber Gesetzen und rechtmäßigen Anordnungen des Dienstvorgesetzten schuldet jeder Beamter.

bb) Die Stellung des Kanzlers darf nicht durch eine Reduktion seines Status auf diejenige eines Beamten auf Zeit geschwächt werden. Das Brandenburgische Hochschulgesetz weist ihm keine ausdrücklichen Gestaltungsaufträge hochschulpolitischer Art zu, sondern mit der Leitung der Verwaltung eine rein sachbezogene, der ordnungsgemäßen Führung der laufenden Geschäfte entsprechende Tätigkeit. Gerade hierbei ist der Kanzler jedoch auf ein Mindestmaß an Unabhängigkeit auch gegenüber dem Präsidenten angewiesen, um auch im hochschulpolitischen Bereich eine stabile, gesetzestreue Verwaltung zu sichern. Hierfür sprechen auch die Stellung des Kanzlers als Beauftragter für den Haushalt und die damit verbundenen herausgehobenen Anforderungen. Die Unabhängigkeit des Kanzlers findet dabei schon von Verfassungs wegen ihre Grenze in der beamtenrechtlichen Treuepflicht.

cc) Auch aus den organisationsrechtlichen Anforderungen der Wissenschaftsfreiheit folgt kein hinreichender Sachgrund für die Bestellung des Kanzlers nur im Beamtenverhältnis auf Zeit.

Es besteht kein Anlass zu der Vermutung, die durch das Lebenszeitprinzip vermittelte Unabhängigkeit des Berufsbeamtentums in der Person des Kanzlers könne sich wissenschaftshemmend auswirken, da dieser die Realisierung von Forschungsfreiheit negativ beeinflussen könnte. Bei der Umsetzung der hochschulpolitischen Konzepte des Präsidenten hat der Kanzler in nicht unerheblichem Maße Berührungspunkte mit den wissenschaftlich Tätigen. Dies entspricht jedoch gerade seiner historisch wie institutionell begründeten Stabilisierungs- und Schnittstellenfunktion. Maßgeblich ist, dass das brandenburgische Hochschulrecht dem Kanzler gerade keine hochschulpolitische Entscheidungsdomäne zuweist, die mit einem eigenen Gestaltungsspielraum auch im Verhältnis zum Präsidenten einhergeht.

Zwar betont einerseits das brandenburgische Hochschulrecht die herausgehobene Stellung des Präsidenten und ordnet ihm die Funktion des Kanzlers zu und unter, um sämtliche Kräfte der Hochschule unter der Leitung des Präsidenten zu bündeln. Andererseits folgt aus dem Grundgesetz gerade nicht, dass der in der Position des Präsidenten zum Ausdruck kommende hohe Autonomiegrad der brandenburgischen Hochschulen strukturell durch eine „unflexible“ Besetzung auf der Position des Kanzlers konterkariert würde. Der brandenburgische Gesetzgeber hat durchgängig berücksichtigt, dass die Mitwirkung des Senats als Selbstverwaltungsorgan an der Bestellung und Abberufung des Präsidenten stark ausgestaltet sein muss, um dessen Entscheidungsbefugnisse zu kompensieren. Die Stellung des Hochschulkanzlers wird dadurch nicht berührt.

dd) Das vom brandenburgischen Hochschulgesetzgeber zulässigerweise gewählte Modell einer dominanten Präsidialhochschulleitung unter enger Beiordnung des verwaltungsleitenden Kanzlers kann auch ohne dessen Bestellung im Beamtenverhältnis auf Zeit realisiert werden.

Neben der Möglichkeit der Anstellung der Kanzlerin oder des Kanzlers im befristeten privatrechtlichen Beschäftigungsverhältnis bestellen andere Bundesländer den Hochschulkanzler im Beamtenverhältnis auf Lebenszeit bei vorheriger Ernennung im Beamtenverhältnis auf Probe, ohne dass dies das monokratische Hochschulleitungsmodell in Frage stellen würde.

Bezogen auf das Funktionsamt des Kanzlers ist auch denkbar, die Unabhängigkeit des weiterhin im Beamtenverhältnis auf Zeit beschäftigten Kanzlers dadurch zu sichern, ihm einen gebundenen Anspruch auf Übernahme in ein der (Status-)Wertigkeit des Kanzleramtes gleichwertiges anderes Amt im Landesdienst einzuräumen. Einen solchen Anspruch sieht indes derzeit keines der Landeshochschulgesetze vor.

b) Auch aus einem Vergleich mit den traditionsgemäßen historischen Fallgruppen akzeptierter Durchbrechungen des Lebenszeitprinzips folgt keine Rechtfertigung einer Herausnahme des Hochschulkanzlers aus dem Gewährleistungsbereich des Art. 33 Abs. 5 GG.

aa) Mit der Kategorie des kommunalen Wahlbeamten ist der Hochschulkanzler nach brandenburgischem Hochschulrecht nicht vergleichbar, da seine Ernennung keinen Wahlakt voraussetzt, der den gewählten Kanzler der permanenten Rückkopplung an den Willen des Hochschulwahlorgans unterwirft.

bb) Mit der hergebrachten Kategorie der politischen Beamten lässt sich das Hochschulkanzleramt ebenfalls nicht vergleichen. Dass der Kanzler mit seinem Aufgabenkreis in vielfältiger Berührung mit der hochschulpolitischen Grundausrichtung des Präsidenten steht, legt allein jedoch noch keine Ausnahme vom Lebenszeitprinzip nahe. Denn die neben das allgemeine beamtenrechtliche Loyalitätsgebot tretende Zuordnung des Kanzlers zum Verantwortungsbereich des Präsidenten gewährleistet, dass der Kanzler die hochschulpolitischen Vorgaben im Rahmen der ordnungsgemäßen Verwaltung umsetzt. Vor allem aber ist der Kreis der politischen Beamten eng begrenzt. Solche sog. „Transformationsämter“ sind lediglich notwendige politische Schlüsselstellen für die wirksame Umsetzung der politischen Ziele der Regierung, die auf eine aktive Unterstützung seitens der betreffenden Amtsträger angewiesen ist. Die Beamtengesetze des Bundes und der Länder bilden insoweit den wohl maximal zulässigen Rahmen der hierfür in Betracht kommenden Ämter ab, die den demokratisch gewählten und verantwortlichen Organen des Staates direkt zur Seite gestellt sind. Der Einsatzbereich der politischen Beamten muss auf den engsten Kreis unmittelbarer Berater der Träger politischer Ämter beschränkt bleiben; nur hier können sie als notwendiger Brückenkopf zwischen der politisch verantwortlichen Spitze der Verwaltung und dem sonstigen Personalkörper begriffen werden.