Bundesverfassungsgericht
- 1 BvR 295/99 -
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
der D... AG,
Feddersen und Partner, Kurfürstendamm 29,
Berlin -
gegen | Art. 1 Nr. 7 des Gesetzes zur weiteren Fortentwicklung des Finanzplatzes Deutschland (Drittes Finanzmarktförderungsgesetz) vom 24. März 1998 (BGBl I S. 529), soweit dadurch das Börsengesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 17. Juli 1996 (BGBl I S. 1030) um § 7 a Abs. 2 ergänzt worden ist, |
hat die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den
Vizepräsidenten Papier
und die Richter Grimm,
Hömig
gemäß § 93 b in Verbindung mit § 93 a
BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993
(BGBl I S. 1473)
am 29. März 1999 einstimmig beschlossen:
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe:
I.
1. Die Verfassungsbeschwerde richtet sich unmittelbar gegen Art. 1 Nr. 7 des Gesetzes zur weiteren Fortentwicklung des Finanzplatzes Deutschland (Drittes Finanzmarktförderungsgesetz; im folgenden: Drittes FmfG) vom 24. März 1998 (BGBl I S. 529), soweit danach mit Wirkung vom 1. April 1998 (Art. 30 Drittes FmfG) das Börsengesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 17. Juli 1996 (BGBl I S. 1030; im folgenden: BörsG) um § 7 a Abs. 2 ergänzt worden ist. Diese Vorschrift lautet wie folgt:
Der Inhaber des Nutzungs- und Verwertungsrechts eines an einer Wertpapierbörse, an der nicht ausschließlich Derivate im Sinne des § 2 Abs. 2 Nr. 1 Buchstabe a bis c und Nr. 2 des Wertpapierhandelsgesetzes gehandelt werden, durch die Börsenordnung geregelten elektronischen Handelssystems hat jeder anderen Wertpapierbörse auf deren Verlangen die Einführung des Systems an der betreffenden Börse zu angemessenen Bedingungen zu gestatten. Das Nähere über die Einführung des Systems regelt die Börsenordnung.
2. Die Beschwerdeführerin, eine Aktiengesellschaft, ist unter anderem Trägerin der Frankfurter Wertpapierbörse. Sie hat für diese das elektronische Börsenhandelssystem XETRA entwickelt und ist Inhaberin der Nutzungs- und Verwertungsrechte an diesem System, das sie im November 1997 als Handelsplattform der Frankfurter Wertpapierbörse eingeführt hat. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde macht sie geltend, daß § 7 a Abs. 2 BörsG Art. 2 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 GG verletze.
II.
Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil sie unzulässig ist. Ihrer Zulässigkeit steht, unabhängig von der Frage der Grundrechtsträgerschaft, jedenfalls der Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde entgegen.
1. Dieser Grundsatz fordert, daß ein Beschwerdeführer über das Gebot der Erschöpfung des Rechtswegs im engeren Sinn hinaus alle zur Verfügung stehenden Möglichkeiten ergreift, um eine Korrektur der geltend gemachten Grundrechtsverletzung zu erwirken oder eine solche erst gar nicht eintreten zu lassen (vgl. BVerfGE 81, 22 <27>; 81, 97 <102>). Außerdem soll mit dem Subsidiaritätsgrundsatz eine Klärung der verfassungsrechtlich relevanten Sach- und Rechtsfragen durch die allgemein zuständigen Gerichte erreicht werden (vgl. BVerfGE 79, 1 <20>). Deshalb ist er auch bei Normen, die einen Beschwerdeführer unmittelbar betreffen, zu beachten. Voraussetzung ist allerdings, daß der Beschwerdeführer in zumutbarer Weise wirkungsvollen Rechtsschutz zunächst durch Anrufung dieser Gerichte erlangen kann (vgl. BVerfGE 71, 305 <335 f.>; 74, 69 <74>).
2. Gemessen daran ist die Beschwerdeführerin zunächst auf die Möglichkeit des Rechtsschutzes durch die allgemein zuständigen Gerichte zu verweisen.
a) Durch § 7 a Abs. 2 BörsG wird die Beschwerdeführerin verpflichtet, einer anderen Wertpapierbörse auf deren Verlangen die Einführung des XETRA-Systems, an dem der Beschwerdeführerin die Nutzungs- und Verwertungsrechte zustehen, an der betreffenden Börse zu angemessenen Bedingungen zu gestatten. Die Regelung geht offenbar davon aus, daß der Inhaber des Nutzungs- und Verwertungsrechts an dem System und die an dessen Einführung bei sich interessierte Wertpapierbörse darüber eine vertragliche Vereinbarung treffen, auf deren Abschluß der Wertpapierbörse ein Anspruch zustehen soll (vgl. Köndgen/Mues, WM 1998, S. 53 <59>). Die Beschwerdeführerin könnte ungeachtet dessen bei einem entsprechenden Verlangen den Abschluß eines solchen Vertrages mit der Begründung verweigern, § 7 a Abs. 2 BörsG sei verfassungswidrig, und sich daraufhin von der betreffenden Wertpapierbörse - sei es vor den Zivilgerichten, sei es, was allerdings ferner liegen dürfte, vor den Verwaltungsgerichten - verklagen lassen, eine solche Vereinbarung abzuschließen. Auf diesem Wege könnte sie erreichen, daß die Frage der Verfassungsmäßigkeit der angegriffenen Vorschrift und deren einfachrechtlicher Inhalt einer Vorklärung durch die allgemein zuständigen Gerichte zugeführt werden. Weiter kommt in Betracht, daß die Beschwerdeführerin im Fall der Inanspruchnahme durch eine Wertpapierbörse selbst im Wege einer negativen Feststellungsklage (vgl. § 256 Abs. 1 ZPO, § 43 Abs. 1 VwGO) den Rechtsweg mit dem Ziel einer Feststellung beschreitet, daß der von der Börse geltend gemachte Anspruch nicht besteht (vgl. etwa BGH, NJW 1992, S. 436).
Auf eine Vorklärung der verfassungsrechtlich relevanten Sach- und Rechtsfragen durch die allgemein zuständigen Gerichte kann nicht verzichtet werden. Dies erklärt sich vor allem daraus, daß die Verpflichtung des § 7 a Abs. 2 Satz 1 BörsG nur besteht, wenn die Einführung des im Einzelfall betroffenen elektronischen Handelssystems bei der anderen Wertpapierbörse zu für den Verpflichteten "angemessenen Bedingungen" erfolgt. Was unter diesem Begriff zu verstehen ist, welche Bedingungen - nicht zuletzt auch finanzieller Art - also im Fall einer Gestattung erfüllt sein müssen, wird im Gesetz selbst nicht näher umschrieben. Ob die Börsenordnung, die nach § 7 a Abs. 2 Satz 2 BörsG das Nähere regeln soll, hierzu schon Bestimmungen getroffen hat, hat die Beschwerdeführerin nicht dargelegt. Die Bedingungen, unter denen sie anderen Wertpapierbörsen die Einführung des XETRA-Systems gestatten muß, sind aber entscheidend für das Ausmaß ihrer Betroffenheit und können deshalb erheblichen Einfluß auf die Beurteilung der Verfassungsgemäßheit eines Eingriffs in der Beschwerdeführerin möglicherweise zustehende Grundrechte haben. Sie müssen deshalb unter Auslegung des im Gesetz verwendeten Begriffs für den betroffenen Inhaber des Nutzungs- und Verwertungsrechts von den dafür zuständigen Gerichten ermittelt und sodann im Lichte etwa betroffener Grundrechte gewürdigt werden. Soweit die Beschwerdeführerin rügt, der Begriff der angemessenen Bedingungen sei "kaum justiziabel", ist dafür nichts ersichtlich.
b) Es bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, daß es für die Beschwerdeführerin unzumutbar sein könnte, zunächst den Rechtsweg zu beschreiten. Die Beschwerdeführerin hat nicht geltend gemacht, daß sie durch eine Vorklärung der Sach- und Rechtslage durch die allgemein zuständigen Gerichte nicht hinnehmbare Nachteile erleiden würde. Auch sonst ist dafür nichts erkennbar.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Papier | Grimm | Hömig |