Bundesverfassungsgericht

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Früheres Hamburger Ruhegeldgesetz war hinsichtlich "unterhalbszeitig" Beschäftigten mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar

Pressemitteilung Nr. 3/1998 vom 15. Januar 1998

Beschluss vom 27. November 1997
1 BvL 12/91

Der Erste Senat des BVerfG hat auf die Vorlage des Landesarbeitsgerichts Hamburg (LAG) § 2 Abs. 1 in Verbindung mit § 3 des Hamburger Ruhegeldgesetzes in der Fassung vom 11. November 1986 für unvereinbar mit dem allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) erklärt. Nach diesen Vorschriften waren diejenigen Arbeitnehmer nicht ruhegeldberechtigt, deren durchschnittliche Arbeitszeit weniger als die Hälfte der regelmäßigen Arbeitszeit eines vollbeschäftigten Arbeitnehmers ("unterhalbzeitig" Beschäftigte) betrug.

I.

Eine bei der Freien und Hansestadt Hamburg von Februar 1970 bis Januar 1989 beschäftigte Raumpflegerin klagte 1990 auf Anerkennung ihrer vor dem 1. Februar 1979 geleisteten Tätigkeit als ruhegehaltfähige Beschäftigungszeit. In diesen Jahren hatte sie nur "unterhalbzeitig" gearbeitet. In erster Instanz blieb ihre Klage erfolglos. Im Berufungsverfahren setzte das LAG das Verfahren aus und legte dem BVerfG die Frage vor, ob § 3 Abs. 2 Hamburger Ruhegeldgesetz mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar sei. Nach Ansicht des LAG verstieß diese Norm gegen den allgemeinen Gleichheitssatz. Ein vernünftiger Grund für die Ungleichbehandlung von unterhalbzeitig Beschäftigten gegenüber halb- bis vollzeitig Beschäftigten bei der Ruhegeldgewährung sei nicht ersichtlich.

II.

Der Erste Senat teilt diese Auffassung. Er hat die ihm zur Prüfung vorgelegte Vorschrift für unvereinbar mit dem allgemeinen Gleichheitssatz erklärt. Er ist dabei davon ausgegangen, daß sich die Vorlagefrage nicht auf die Gruppe der geringfügig Beschäftigten (§ 8 SGB IV) erstreckt.

Durch die in Frage stehende Regelung werden die "unterhalbzeitig" Beschäftigten im Vergleich zu anderen Teilzeitkräften und Vollzeitbeschäftigten schlechter behandelt. Im Gegensatz zu diesen erhalten sie für ihre Arbeitsleistung kein Ruhegeld. Für diese Ungleichbehandlung gibt es keine rechtfertigenden Gründe.

Zur Begründung heißt es u.a.:

  1. Da sich Teilzeitarbeit von Vollzeitarbeit nur quantitativ unterscheidet, darf eine geringere Arbeitszeit grundsätzlich auch nur quantitativ, nicht aber qualitativ anders abgegolten werden als Vollzeitarbeit. Dieser Grundsatz gilt auch für Beiträge des Arbeitgebers zur Altersversorgung; denn auch derartige Leistungen haben Entgeltcharakter.

    Auch beamtenrechtliche Grundsätze rechtfertigen die Ungleichbehandlung nicht. Der Senat führt aus, daß mit der Zielsetzung des Hamburger Ruhegeldgesetzes, eine der Beamtenversorgung entsprechende Gesamtversorgung der Arbeitnehmer zu erreichen, keine Übernahme der allgemeinen Grundsätze des Berufsbeamtentums in die Arbeitsverhältnisse des öffentlichen Dienstes verbunden ist.

    Der Ausschluß der Zusatzversorgung ist weiterhin nicht dadurch gerechtfertigt, daß "unterhalbzeitig" Beschäftigte möglicherweise regelmäßig aufgrund einer Haupttätigkeit oder durch Dritte im Alter versorgt sind. Zum einen stellt das Ruhegeldgesetz selbst nicht auf einen Versorgungsbedarf ab. Zum anderen ist nicht erkennbar, daß dieser Gesichtspunkt gerade für die Gruppe der "unterhalbzeitig" Beschäftigten und nicht in gleicher Weise auch für andere Teilzeitkräfte zutrifft.

    Schließlich sind auch keine Anhaltspunkte dafür erkennbar, daß die Gruppe der unterhalbzeitig Beschäftigten sozial weniger schutzwürdig ist als die Vergleichsgruppe der halbzeitig und überhalbzeitig Beschäftigten.

  2. Nach der Feststellung der Unvereinbarkeit der Regelung des Hamburger Ruhegeldgesetzes mit Art. 3 Abs. 1 GG ist der Gesetzgeber verpflichtet, eine verfassungsmäßige Regelung zu erlassen. In die Regelung sind auch die entsprechenden Vorschriften der früheren und späteren Fassungen des Ruhegeldgesetzes einzubeziehen, soweit dies zur Herstellung eines verfassungsmäßigen Zustandes erforderlich ist. Entsprechend § 79 Abs. 2 BVerfGG können Nachzahlungsansprüche - abgesehen von anhängigen Verfahren - zwar ausgeschlossen werden. Eine Neuberechnung für die Zukunft kann jedoch allenfalls unter engen Voraussetzungen versagt werden.

Karlsruhe, den 15. Januar 1998