Bundesverfassungsgericht

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Zum Beförderungsverbot für Asylbewerber

Pressemitteilung Nr. 8/1998 vom 11. Februar 1998

Beschluss vom 02. Dezember 1997
2 BvL 55/92, 2 BvL 56/92

Der Zweite Senat des BVerfG hat zwei Vorlagen des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) für unzulässig erklärt. Die Vorlagen betrafen die Verfassungsmäßigkeit einer Vorschrift des Ausländergesetzes (AuslG), wonach die Beförderung asylsuchender Ausländer auf dem Luftweg in die Bundesrepublik Deutschland untersagt werden konnte, wenn diese nicht im Besitz einer vor der Einreise erforderlichen Aufenthaltserlaubnis (Visum) sind.

I.

Aufgrund des Gesetzes zur Bekämpfung der illegalen Beschäftigung wurde mit Wirkung zum 1. Januar 1982 in das AuslG folgende Vorschrift eingefügt:

§ 18 Abs. 5 (auszugsweise)

"Der Bundesminister des Innern kann im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Verkehr einem Beförderungsunternehmer untersagen, Ausländer auf dem Luft- oder Seeweg in den Geltungsbereich dieses Gesetzes zu befördern, wenn diese nicht im Besitz einer Aufenthaltsgenehmigung sind, die sie aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit vor der Einreise benötigen (§ 5 Abs. 2), sofern sie nicht hiervon befreit sind. ..."

Diese Vorschrift wurde mit Wirkung zum 1. Januar 1991 aufgehoben und durch die §§ 73, 74 AuslG ersetzt. Auch diese neuen Vorschriften enthalten entsprechende Regelungen über ein Beförderungsverbot.

II.

1987 untersagte der Bundesminister des Innern den Fluggesellschaften Air India und Air France, Ausländer in das Bundesgebiet zu befördern, die nicht im Besitz der nach dem AuslG erforderlichen Aufenthaltserlaubnis waren.

Auf die hiergegen gerichteten Klagen der Gesellschaften legte in der Revisionsinstanz das BVerwG gemäß Art. 100 Abs. 1 GG dem BVerfG die Frage vor, ob § 18 Abs. 5 S. 1 AuslG wegen Verletzung des GG nichtig gewesen sei. Nach Auffassung des BVerwG verstieß die Norm gegen das Asylgrundrecht (Art. 16 Abs. 2 S. 2 GG: "Politisch Verfolgte genießen Asylrecht"; jetzt Art. 16 Abs. 1 GG). Dieses Grundrecht gewähre als Vorwirkung einem Asylsuchenden das Recht, sich zur Durchführung eines Asylverfahrens vorläufig im Bundesgebiet aufzuhalten; außerdem verbiete es, einen Asylsuchenden an der Grenze zurückzuweisen. Die Regelung über das Beförderungsverbot errichte eine bereits vor der Grenze liegende Zutrittsbarriere, durch die das Verbot der Zurückweisung an der Grenze umgangen werde. Die Effektivität des Asylgrundrechts verlange deshalb, daß eine Sichtvermerkspflicht (Einholung einer Aufenthaltsgenehmigung vor Einreise) die Asylgewährung und die dafür erforderliche Einreise in das Bundesgebiet nicht in unzumutbarer Weise erschwere oder gar hindere.

III.

Der Zweite Senat des BVerfG hat die zur gemeinsamen Entscheidung verbundenen Vorlagen für unzulässig erklärt.

Das vorlegende Gericht muß darlegen, inwiefern seine Entscheidung von der Gültigkeit der zur Prüfung gestellten Norm abhängt. Der Vorlagebeschluß muß danach mit hinreichender Deutlichkeit erkennen lassen, daß das vorlegende Gericht im Falle der Gültigkeit der in Frage gestellten Vorschrift zu einem anderen Ergebnis kommen würde als im Falle ihrer Ungültigkeit und wie das Gericht dieses Ergebnis begründen würde.

Diesen Anforderungen werden die Vorlagebeschlüsse nicht gerecht. Ihnen ist nicht mit der erforderlichen Gewißheit zu entnehmen, daß und aus welchen Gründen im Falle der Nichtigkeit der zur Überprüfung gestellten Norm die Klagen in der Sache Erfolg haben müßten. Aus einer Verfassungswidrigkeit des § 18 Abs. 5 S. 1 AuslG ließe sich zwar ohne weiteres die objektive Rechtswidrigkeit der ausgesprochenen Beförderungsverbote herleiten. Auf eine Verletzung der subjektiven Rechte der Fluggesellschaften und damit auf die Begründetheit ihrer Klagen kann hieraus jedoch nicht ohne weiteres geschlossen werden.

Zur Begründung heißt es u.a.:

  1. Die klagenden Fluggesellschaften sind aufgrund der zwischen den jeweiligen Heimatstaaten und der Bundesrepublik Deutschland getroffenen Vereinbarungen verpflichtet, die nationalen Einreisevorschriften der Bundesrepublik zu befolgen. Wenn aber schon kein unbeschränktes Recht der beiden klagenden Fluggesellschaften besteht, ausländische Passagiere ungeachtet nationaler Einreisebestimmungen in der Bundesrepublik abzusetzen, so ist nicht ohne weiteres erkennbar, inwiefern durch die Beförderungsverbote als solche in ein Recht der Fluggesellschaften eingegriffen worden sein sollte. Vielmehr kommt in Betracht, daß die Verbote lediglich die bereits bestehenden, auf anderer Rechtsgrundlage beruhenden Grenzen des mit den Betriebsgenehmigungen eingeräumten Beförderungsrechts nachzeichnen und aktualisieren.
  2. Auch die Sichtvermerkspflicht (s.o.) vermag eine Klagebefugnis der Fluggesellschaften nicht zu begründen. Diese Pflicht richtet sich allein an die ausreisewilligen Ausländer. Das vorlegende Gericht hält sie für verfassungsgemäß, auch soweit sie für asylsuchende Ausländer gilt. § 18 Abs. 5 S. 1 AuslG und ein darauf gestütztes Beförderungsverbot setzen nur die ohnehin bestehende Verpflichtung des Beförderungsunternehmers um, auf die Einhaltung der einreiserechtlichen Vorschriften der Bundesrepublik Deutschland zu achten. Hiervon ausgehend ist selbst bei Einbeziehung der Sichtvermerksregelungen nicht ersichtlich, daß die Fluggesellschaften durch § 18 Abs. 5 S. 1 AuslG in eigenen subjektiv-öffentlichen Rechten betroffen sind.
  3. Das Asylgrundrecht schützt asylsuchende Ausländer, nicht jedoch die sie befördernden Fluggesellschaften.

    Das Grundrecht mag sonach im Einzelfall möglicherweise verbieten, einen unter Verstoß gegen die Sichtvermerkspflicht ins Bundesgebiet gelangten Asylbewerber von der Inanspruchnahme des Asylrechts auszuschließen oder sonstige negative Folgerungen an das Fehlen des an sich erforderlichen Sichtvermerks zu knüpfen. Es ist aber nicht erkennbar, inwiefern dieses Grundrecht die den Fluggesellschaften erteilten Betriebsgenehmigungen in der Weise erweitern könnte, daß diese auch sichtvermerkslose Ausländer befördern dürften.