Bundesverfassungsgericht

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Vorschriften über "Kurzberichterstattung im Fernsehen" sind im wesentlichen verfassungsgemäß - "Unentgeltlichkeit" verstößt gegen die Berufsfreiheit

Pressemitteilung Nr. 11/1998 vom 17. Februar 1998

Urteil vom 17. Februar 1998
1 BvF 1/91

Durch Urteil vom heutigen Tag hat der Erste Senat des BVerfG auf die mündliche Verhandlung vom 11. November 1997 entschieden:

  • Die Vorschriften über das Recht auf unentgeltliche Kurzberichterstattung im Fernsehen sind im Kern mit dem GG vereinbar.
  • Lediglich die "Unentgeltlichkeit" dieser Berichterstattung über berufsmäßig durchgeführte Veranstaltungen verstößt gegen das Grundrecht auf freie Berufsausübung (Art. 12 Abs. 1 GG). Insoweit ist der Gesetzgeber verpflichtet, binnen fünf Jahren eine verfassungsgemäße Regelung zu treffen. Bis zu deren Erlaß bleiben die Vorschriften über die unentgeltliche Kurzberichterstattung anwendbar.

Wegen des Sachverhalts und des Wortlauts der einschlägigen Vorschriften (§ 3a des Gesetzes über den Westdeutschen Rundfunk Köln = WDR-G; § 3a Rundfunkgesetz für das Land Nordrhein-Westfalen = LRG) wird auf die Pressemitteilung vom 29. August 1997 Nr. 78/97 Bezug genommen.

Zur Urteilsbegründung heißt es u.a.:

I.

Das Land Nordrhein-Westfalen war zum Erlaß der Regelung befugt, weil sie nicht in den Bereich des Urheberrechts, sondern in den Bereich des Rundfunkrechts und damit in die Gesetzgebungskompetenz der Länder fällt.

II.

Die angegriffene Regelung ist im Kern mit dem Grundrecht der Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG vereinbar (1). Jedoch verstößt es gegen dieses Grundrecht, daß das Kurzberichterstattungsrecht bei berufsmäßig durchgeführten Veranstaltungen unentgeltlich in Anspruch genommen werden kann (2). Hinsichtlich des Zeitpunkts der Ausstrahlung des Kurzberichts bedarf die Regelung einer verfassungskonformen Auslegung (3).

1a) Die angegriffene Regelung greift in das Grundrecht auf Berufsfreiheit ein. Zwar erfaßt sie so viele Arten politischer, kultureller, unterhaltender und sportlicher Veranstaltungen, daß sich der Anteil der berufsmäßig durchgeführten Veranstaltungen nicht zuverlässig bestimmen läßt. Namentlich bei großen Sportveranstaltungen ist die berufsmäßige Organisation und Verwertung heute jedoch derart üblich, daß der Regelung die beru fsregelnde Tendenz nicht abgesprochen werden kann.

b) Dieser Eingriff ist jedoch - mit Ausnahme der Unentgeltlichkeit bei berufsmäßig durchgeführten Veranstaltungen - gerechtfertigt.

Der angegriffenen Regelung liegen vernünftige Gemeinwohlerwägungen zugrunde. Der Gesetzgeber wollte mit ihr eine ausreichende und flächendeckende Information über Ereignisse oder Veranstaltungen von allgemeinem Interesse sicherstellen. Zudem sollten sämtliche Fernsehveranstalter in die Lage versetzt werden, eigenständig über Ereignisse und Veranstaltungen zu berichten. Damit werden zugleich die Voraussetzungen dafür geschaffen, daß die im Fernsehen übermittelten Informationen nicht aus einer einzigen Quelle stammen, sondern unterschiedlicher Herkunft sind und damit auch verschiedene Blickwinkel, Wahrnehmungen und Deutungen zur Geltung kommen können.

Dieser Gemeinwohlbezug entfällt auch nicht deshalb, weil jedenfalls die großen privaten Fernsehprogramme inzwischen eine Reichweite besitzen, die derjenigen der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten nahekommt. Zum einen kann die Gefahr nicht allgemein zugänglicher Berichterstattung auch dann eintreten, wenn herausragende Veranstaltungen und Ereignisse künftig nur noch im Medium des bezahlten Fernsehens aktuell übertragen und dadurch nur einem Teil der Fernsehzuscha uer zugänglich werden. Zum anderen besteht ein legitimes Interesse aller Fernsehveranstalter, über Geschehnisse von hohem Informationswert für die Allgemeinheit in ihren Programmen berichten zu können. Sie gehen damit auf eine ebenso legitime Erwartung der Fernsehzuschauer ein, in dem jeweils bevorzugten oder eingeschalteten Programm über Ereignisse von besonderer Bedeutung unterrichtet zu werden.

Dieser Gemeinwohlbezug wird durch die Bedeutung der verfassungsrechtlichen Garantie der Rundfunkfreiheit in Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG unterstrichen. Zu den Informationen im Sinne des klassischen Rundfunkauftrags gehören solche über alle Lebensbereiche. Dazu zählen gerade auch Berichte über herausragende Sportveranstaltungen. Die Bedeutung solcher Veranstaltungen erschöpft sich nicht in ihrem Unterhaltungswert. Vielmehr schafft der Sport Identifikationsmöglichkeiten im lokalen und nationalen Rahmen und ist Anknüpfungspunkt für eine breite Kommunikation in der Bevölkerung. Eine umfassende Berichterstattung läßt sich daher unter Verzicht auf Sportereignisse nicht verwirklichen.

Eine Monopolisierung der Berichterstattung würde das Ziel der freien Meinungsbildung gefährden, weil sie uniforme Information begünstigt. Dagegen ist die verfassungsrechtlich garantierte Rundfunkfreiheit auf plurale Informationsvermittlung gerichtet, weil medial vermittelte Informationen nicht lediglich Abbild der Wirklichkeit, sondern stets Ergebnis eines Auswahl-, Deutungs- und Aufbereitungsprozesses ist, das nur durch konkurrierende Auswahl-, Deutungs- und Aufbereitungsmuster relativiert werden kann. Zur Verhinderung vorherrschender Meinungsmacht bedarf es daher nicht nur wirksamer Vorkehrungen gegen eine Konzentration auf Veranstalterebene, sondern auch ausreichender Maßnahmen gegen Informationsmonopole. Eine durchgängige Kommerzialisierung von Informationen von allgemeiner Bedeutung oder allgemeinem Interesse, die dem Erwerber der Verwertungsrechte gestattete, damit nach Belieben zu verfahren und Dritte auszuschließen oder in der Teilhabe zu beschränken, würde den Leitvorstellungen der Rundfunkfreiheit nicht gerecht.

c) Die angegriffene Regelung schränkt jedoch die Berufsfreiheit unverhältnismäßig ein, soweit sie eine unentgeltliche Kurzberichterstattung über berufsmäßig durchgeführte Veranstaltungen vorsieht.

Von anderen Berufsausübungsregelungen mit Leistungs- oder Duldungspflichten unterscheiden sich § 3a Abs. 1 WDR-G/LRG dadurch, daß ein Ertrag der beruflichen Leistung nicht nur der Allgemeinheit, sondern auch Konkurrenten desjenigen Fernsehveranstalters zugute kommt, dem der Ereignisveranstalter die Erstverwertungsrechte vertraglich eingeräumt hat. Die Pflicht zur unentgeltlichen Einräumung der Kurzberichterstattungsmöglichkeit steht zu dem Rechtsgut, das die angegriffene Regelung sichern will, nicht in angemessenem Verhältnis. Sie belastet die Veranstalter zu stark. Den von der Regelung begünstigten Fernsehveranstaltern ist die Zahlung eines angemessenen Entgelts zuzumuten. Die Bestimmung des Entgelts für die Kurzberichterstattung darf allerdings nicht in das Belieben des Veranstalters gestellt werden. Vielmehr muß der Gesetzgeber eine Regelung treffen, die sicherstellt, daß das Kurzberichterstattungsrecht nicht durch überhöhte Entgelte ausgehöhlt wird, sondern grundsätzlich allen Fernsehveranstaltern zugänglich bleibt. Wie der Ausgleich der verschiedenen Belange unter Wahrung des Ziels der Regelung vorzunehmen ist, schreibt die Verfassung nicht vor.

d) Hinsichtlich des Zeitpunkts der Kurzberichterstattung sind § 3a Abs. 1 WDR-G/LRG bei verfassungskonformer Auslegung mit Art. 12 Abs. 1 GG vereinbar.

Die Ereignisveranstalter und die Erwerber entgeltlicher Verwertungsrechte würden allerdings unzumutbar beeinträchtigt, wenn die Kurzberichterstattungsberechtigten ihren Bericht noch zur Laufzeit oder sogleich nach Ende der Veranstaltung send en dürften, während Veranstalter und Sendeberechtigte im Interesse einer hohen Zuschauerpräsenz eine Karenzzeit zwischen Veranstaltungsschluß und Fernsehübertragung vereinbart haben. Der Senat führt aus, daß unter diesen Umständen eine verfassungskonforme Auslegung der Vorschriften zulässig und geboten erscheint, derzufolge das Kurzberichterstattungsrecht nicht vor dem vertraglich begründetem Übertragungsrecht ausgeübt werden darf, wenn der Inhaber der vertraglichen Rechte eine Karenzzeit einzuhalten hat.

III.

Soweit die Veranstaltungen, die Gegenstand der Kurzberichterstattung sind, nicht berufsmäßig durchgeführt werden, ist die Regelung der §§ 3a Abs. 1 WDR-G/LRG mit dem GG vereinbar. Die in Art. 2 Abs. 1 GG garantierte allgemeine, insbesondere wirtschaftliche Handlungsfreiheit wird dadurch nicht verletzt.

Anders als bei berufsmäßigen Veranstaltern bestehen keine zureichenden Anhaltspunkte dafür, daß auch Personen, die die Durchführung solcher Veranstaltungen nicht zu ihrem Beruf gemacht haben, in unzumutbarer Weise belastet werden.

IV.

Der Senat führt aus, daß das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 Abs. 1 GG), die Rundfunkfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG) und das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) nicht verletzt sind.

V.

Die partielle Unvereinbarkeit der unentgeltlichen Kurzberichterstattung mit dem GG führt nicht zur Nichtigkeit der §§ 3a WDR-G/LRG. Diese Vorschriften dürfen vielmehr bis zu ihrer Korrektur durch den Gesetzgeber weiterhin angewendet werden. Das ergibt sich daraus, daß die Rechtslage beim vorübergehenden Fehlen eines Kurzberichterstattungsrechts den verfassungsrechtlichen Leitvorstellungen ferner stünde als bei der befristeten Fortgeltung der jetzigen, im Kern verfassungsmäßigen Regelung.

Für die Korrektur der Vorschriften ist dem Gesetzgeber ein Zeitraum von fünf Jahren ab Verkündung des Urteils zuzubilligen. Diese Spanne erscheint wegen des langwierigen Gesetzgebungsprozesses (Änderung des Staatsvertrags aller 16 Länder) nötig. Zugleich erhält der Gesetzgeber durch die Frist die Möglichkeit, Veränderungen zu berücksichtigen, die sich derzeit im Bereich des Fernsehens, vor allem durch den Übergang zur digitalen Technik, ankündigen und für die verfassungsmäßige Ausgestaltung des Kurzberichterstattungsrechts Bedeutung erlangen können. Sollte es innerhalb der Frist nicht zu einer Neuregelung kommen, können die Gerichte Streitigkeiten über die Höhe des Entgelts für die Kurzberichterstattung nach Maßgabe der in den Gründen dargelegten Gesichtspunkte entscheiden.