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Erfolglose Verfassungsbeschwerde im Zusammenhang mit "Nichtraucherschutz"

Pressemitteilung Nr. 12/1998 vom 18. Februar 1998

Beschluss vom 09. Februar 1998
1 BvR 2234/97

Die 1. Kammer des Ersten Senats des BVerfG hat eine wegen unzureichenden Nichtraucherschutzes erhobene Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.

I.

Der Beschwerdeführer fühlt sich durch das "Rauchen an öffentlich zugänglichen Aufenthaltsorten" in seinen Grundrechten auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG) und freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 GG) verletzt. Mit seiner Verfassungsbeschwerde beantragte er festzustellen, daß der Staat in diesem Bereich seiner ihm obliegenden Schutzpflicht nicht hinreichend nachgekommen und der derzeitige gesetzliche Nichtraucherschutz völlig unzulänglich sei.

II.

Die 1. Kammer des Ersten Senats hat die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.

Zur Begründung heißt es u.a.:

  1. Die Grundrechte sind nicht nur Abwehrrechte gegen staatliche Eingriffe, sondern bringen auch eine objektive Werteordnung zum Ausdruck. Aus dieser kann sich eine Pflicht der öffentlichen Gewalt ergeben, die Bürger auch gegen Beeinträchtigungen der geschützten Rechtsgüter durch Dritte in Schutz zu nehmen. Bei der Erfüllung der Schutzpflicht steht dem Gesetzgeber allerdings eine weite Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsfreiheit zu, die auch Raum läßt, etwa konkurrierende öffentliche oder private Interessen zu berücksichtigen. Das BVerfG kann eine Verletzung staatlicher Schutzpflichten daher nur feststellen, wenn die staatlichen Organe entweder gänzlich untätig geblieben oder die getroffenen Maßnahmen evident unzureichend sind.
  2. Unter Zugrundelegung dieses Prüfungsmaßstabs ist nicht erkennbar, daß der Gesetzgeber seine Pflicht, die Bürger vor Gesundheitsgefahren durch Passivrauchen zu schützen, verletzt hätte. Er hat im Gegenteil in vielfältiger Weise von seiner Befugnis Gebrauch gemacht, das Rauchen in bestimmten Bereichen zu untersagen oder einzuschränken. Die Kammer verweist in diesem Zusammenhang auf entsprechende bundesrechtliche Regelungen, u.a. auf die Verordnung über Arbeitsstätten (ausreichendes Vorhandensein von gesundheitlich zuträglicher Atemluft; Schutz der Nichtraucher vor Belästigungen durch Tabakrauch), die Verordnung über den Betrieb von Kraftfahrunternehmen im Personenverkehr (Rauchen in Taxen und Mietwagen nur mit Zustimmung des Fahrgasts; Verbot des Rauchens in Nichtrauchertaxen; Nichtraucherzonen in Linienbussen) und die Eisenbahn-Verkehrsordnung (Bereitstellen einer angemessenen Zahl von Wagen oder Abteilen für Nichtraucher). Neben diesen speziellen Nichtraucherschutzgesetzen gibt es weitere Vorschriften (z.B. im Bürgerlichen Gesetzbuch, im Handelsgesetzbuch und in der Gewerbeordnung), die dem Gesundheitsschutz von Arbeitnehmern allgemein dienen und in diesem Rahmen Rauchverbote rechtfertigen können.

    Es ist auch nicht ersichtlich, daß die derzeit existierenden gesetzgeberischen Maßnahmen evident unzureichend wären. Dabei kann offenbleiben, ob mittlerweile hinreichend verläßliche wissenschaftliche Erkenntnisse über die Gesundheitsrisiken des Passivrauchens existieren. In Wahrnehmung seiner politischen Verantwortung hat der Gesetzgeber im Rahmen des ihm hierbei zustehenden weiten Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraums Nichtraucherschutzvorschriften geschaffen, die ihr Ziel jedenfalls nicht offensichtlich verfehlen. Denn sie erfassen gerade diejenigen Lebensbereiche, in denen sich der Einzelne den Raucheinwirkungen nicht ohne weiteres entziehen und dadurch auch nur in eingeschränktem Maße selbst für seinen Schutz vor möglichen Gesundheitsbeeinträchtigungen durch Passivrauchen Sorge tragen kann. Wenn der Gesetzgeber derzeit eine Verstärkung des Nichtraucherschutzes nicht für geboten hält, wie in der Ablehnung des Entwurfs eines Nichtraucherschutzgesetzes durch den Bundestag jüngst zum Ausdruck gekommen ist, kann dies von Verfassungs wegen nicht beanstandet werden.