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Titelseiten von Presseerzeugnissen müssen nicht von Gegendarstellungen oder Richtigstellungen freigehalten werden

Pressemitteilung Nr. 16/1998 vom 26. Februar 1998

Beschluss vom 14. Januar 1998
1 BvR 1861/93

Der Erste Senat des BVerfG hat entschieden, daß das Grundrecht der Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG) nicht verlangt, Titelseiten von Presseerzeugnissen von Gegendarstellungen oder Richtigstellungen freizuhalten.

Dem Verfahren lagen Verfassungsbeschwerden der Heinrich Bauer Verlag KG gegen zivilgerichtliche Verurteilungen zugrunde, wonach die Beschwerdeführerin verpflichtet worden war, eine von Prinzessin Caroline von Monaco beantragte Gegendarstellung und eine u.a. von Franziska van Almsick beantragte Gegendarstellung sowie Richtigstellung auf den Titelseiten der jeweiligen Zeitschrift abzudrucken.

I.

Die Beschwerdeführerin veröffentlichte im September 1993 in der Zeitschrift "Das Neue Blatt" einen Artikel über eine angeblich bevorstehende Hochzeit von Prinzessin Caroline von Monaco und die darauf bezogenen Vorbereitungen der Bewohner des Dorfes Saint Remy. Der Artikel war in der unteren Mitte der linken Spalte der Titelseite in unterschiedlich großen Schrifttypen als "Exklusiv-Reportage" wie folgt angekündigt:

"Exklusiv-Reportage
Die Nachbarn proben schon fürs große Fest
Caroline & Vincent
Ganz Saint Remy freut sich:
Das wird eine Märchenhochzeit."

Im Juli 1996 veröffentlichte die Beschwerdeführerin in der Zeitschrift "das neue schnell und aktuell" einen Artikel über eine angeblich bevorstehende "Traumhochzeit" der Schwimmsportlerin Franziska van Almsick. Der Artikel war links oben unter dem Logo der Zeitschrift in unterschiedlich großen Schrifttypen wie folgt angekündigt:

"Dieses Glück ist ihr mehr wert als alle Medaillen
Franzi van Almsick
Traumhochzeit mit ihrem Freund Steffen"

In beiden Fällen wurde die Beschwerdeführerin rechtskräftig verurteilt, von den Betroffenen beantragte Gegendarstellungen auf der Titelseite der jeweiligen Zeitschrift abzudrucken.

In einem dritten Zivilverfahren wurde die Beschwerdeführerin außerdem rechtskräftig verurteilt, eine von Franziska van Almsick und dem angeblichen Heiratskandidaten beantragte Richtigstellung ("...stellen wir fest, daß Franziska van Almsick und ... keine Heiratsabsichten haben") auf der Titelseite abzudrucken.

Gegen diese zivilgerichtlichen Entscheidungen erhob die Beschwerdeführerin Verfassungsbeschwerde und rügte eine Verletzung der Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG).

II.

Der Erste Senat hat die Verfassungsbeschwerde als unbegründet zurückgewiesen.

Zur Begründung heißt es u.a.:

Zwar ist die Beschwerdeführerin durch die Entscheidungen in ihrem Grundrecht beeinträchtigt, sie verletzen die Pressefreiheit jedoch nicht.

1. Den Verurteilungen zur Gegendarstellung liegt jeweils § 11 Hamburger Pressegesetz (HbgPrG) zugrunde. Dieser bestimmt u.a., daß die Gegendarstellung in dem gleichen Teil des Druckwerks mit gleicher Schrift wie der beanstandete Text ohne Einschaltungen und Weglassungen abzudrucken ist.

§ 11 HbgPrG ist ein die Pressefreiheit nicht unverhältnismäßig einschränkendes allgemeines Gesetz im Sinne des Art. 5 Abs. 2 GG. Die Vorschrift soll den Einzelnen vor Gefahren schützen, die ihm durch die Erörterung seiner persönlichen Angelegenheiten in der Presse drohen. Sie haben ihre Wurzel in der überlegenen Reichweite und Einflußkraft der Presseberichterstattung, der der Betroffene, dem seine Angelegenheiten unzutreffend dargestellt scheinen, in der Regel nicht mit Aussicht auf dieselbe publizistische Wirkung entgegentreten kann. Dem Gesetzgeber obliegt daher eine aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht folgende Schutzpflicht, den Einzelnen wirksam gegen Einwirkungen der Medien auf seine Individualsphäre zu schützen. Dazu gehört, daß der von einer Darstellung in den Medien Betroffene die rechtlich gesicherte Möglichkeit hat, ihr mit seiner eigenen Darstellung entgegenzutreten.

Der Persönlichkeitsschutz wird in § 11 HbgPrG auch nicht zu Lasten der Pressefreiheit überdehnt. Die Gegendarstellung bleibt stets an eine Erstmitteilung in der Presse gebunden und ist auf Tatsachenbehauptungen beschränkt.

Ferner begegnet es keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, daß der Anspruch auf Gegendarstellung nicht das Vorliegen einer Ehrverletzung voraussetzt. Denn das Persönlichkeitsbild einer Person kann auch durch Darstellungen beeinträchtigt werden, die ihre Ehre unberührt lassen.

Dasselbe gilt, soweit der Anspruch auf Gegendarstellung nicht den Nachweis der Unwahrheit der Erstmitteilung oder der Wahrheit der Gegendarstellung voraussetzt. Die schnelle Verwirklichung des Entgegnungsanspruchs würde scheitern, wenn das Verfahren mit der Klärung der Wahrheitsfrage belastet wäre. Die Gegendarstellung zwingt die Presse aber im Unterschied zu Widerruf und Richtigstellung nicht, von ihrer Sicht der Dinge abzurücken. Ferner läßt die Regelung Raum für eine Auslegung, nach der in Fällen offensichtlicher Unwahrheit der Gegendarstellung ein berechtigtes Interesse an ihrem Abdruck verneint wird.

Schließlich ist der Gegendarstellungsanspruch dadurch begrenzt, daß er nicht in Betracht kommt, soweit es um Tatsachenbehauptungen geht, die sich nicht in nennenswerter Weise auf das Persönlichkeitsbild des Betroffenen auswirken können.

2. Die Verurteilung zur Richtigstellung stützt sich auf die §§ 823, 1004 BGB.

Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, aufgrund dieser Normen demjenigen einen Berichtigungsanspruch zuzubilligen, über den unwahre Tatsachenbehauptungen verbreitet worden sind. Auch dieser Anspruch kann sich auf das verfassungsrechtliche Persönlichkeitsrecht stützen. Ohne daß es dem Einzelnen einen Anspruch darauf verliehe, nur so in der Öffentlichkeit dargestellt zu werden, wie es ihm genehm ist, schützt es ihn doch jedenfalls vor verfälschenden oder entstellenden Darstellungen seiner Person und Beeinträchtigungen seines Persönlichkeitsbildes.

Der Persönlichkeitsschutz überwiegt bei Anwendbarkeit dieses Anspruchs auf Presseveröffentlichungen auch nicht unangemessen zu Lasten der Pressefreiheit. Der Anspruch greift nur dann ein, wenn die Tatsachenbehauptung sich als unwahr erwiesen hat und das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen weiterhin beeinträchtigt. Der Presse kann es zwar nicht verwehrt werden, nach sorgfältiger Recherche auch über Vorgänge oder Umstände zu berichten, deren Wahrheit im Zeitpunkt der Veröffentlichung nicht mit Sicherheit feststeht. Anderenfalls könnte sie ihre Aufgabe, auf eine Klärung öffentlich bedeutsamer Vorgänge hinzuwirken, nicht erfüllen. Ebensowenig wie es einen rechtfertigenden Grund gibt, an Behauptungen festzuhalten, deren Unwahrheit sich herausgestellt hat, ist aber ein rechtfertigender Grund erkennbar, derartige Behauptungen unberichtigt zu lassen, wenn sie die Rechte Dritter fortwirkend beeinträchtigen.

3. Die Zivilgerichte haben bei der Auslegung und Anwendung der gesetzlichen Bestimmungen Bedeutung und Tragweite der Pressefreiheit hinreichend beachtet.

Ihre Bedeutung wird auch nicht dadurch verkannt, daß Gegendarstellungen und Berichtigungen auch auf der Titelseite von Presseerzeugnissen angeordnet werden. Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG verlangt nicht, Titelblätter von Gegendarstellungen freizuhalten. Zwar greifen Gegendarstellungen auf der Titelseite wegen deren besonderer Bedeutung für ein Presseerzeugnis regelmäßig tiefer in die Pressefreiheit ein als Gegendarstellungen im Blattinnern. Sie werden aber dadurch gerechtfertigt, daß wegen der gesteigerten Aufmerksamkeit, die Titelseiten auf sich ziehen, und der breiteren Leserschaft, die sie finden, auch die Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts empfindlicher ist.

Den Belangen der Pressefreiheit läßt sich dadurch ausreichend Rechnung tragen, daß die Zivilgerichte sorgfältig unterscheiden, ob die Mitteilung, die Persönlichkeitsrechte berührt, bereits auf der Titelseite zu finden ist oder dort lediglich angekündigt wird. Ferner ist darauf zu achten, daß die Titelseite durch Umfang und Aufmachung der Gegendarstellung nicht ihre Funktion verliert, eine Identifizierung des Blattes zu ermöglichen, die als besonders wichtig erachteten Mitteilungen aufzunehmen und das Interesse des Publikums zu erregen. Schließlich darf von der konkreten Anordnung auch kein Effekt ausgehen, der die Presse längerfristig vom rechtmäßigen Gebrauch ihrer grundrechtlich geschützten Gestaltungsfreiheit abschrecken könnte.

Der Senat führt aus, daß nach diesem Maßstab die angegriffenen Entscheidungen verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden sind.

Karlsruhe, den 26. Februar 1998