Bundesverfassungsgericht

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Erfolglose Verfassungsbeschwerde im Zusammenhang mit einem nach dem 31. Dezember 1996 ergangenen Vermögensteuerbescheid

Pressemitteilung Nr. 37/1998 vom 15. April 1998

Beschluss vom 30. März 1998
1 BvR 1831/97

Die 3. Kammer des Ersten Senats des BVerfG hat in einem Verfassungsbeschwerde-Verfahren klargestellt, daß § 10 Nr. 1 des Vermögensteuergesetzes auch nach dem 31. Dezember 1996 für solche Fälle anwendbar bleibt, in denen der die Vermögensteuer begründende Tatbestand vor diesem Zeitpunkt verwirklicht wurde.

I.

1. Der Zweite Senat des BVerfG hat mit Beschluß vom 22. Juni 1995 (2 BvL 37/91; s. in der Anlage beigefügte Pressemitteilung Nr. 33/95 vom 18. August 1995) entschieden, daß die Bestimmungen des Vermögensteuerrechts, die einheitsbewertetes Vermögen, insbesondere Grundvermögen, steuerlich geringer belasten als das sonstige Vermögen, mit dem Grundgesetz unvereinbar sind. Danach war der Gesetzgeber verpflichtet, eine Neuregelung spätestens bis zum 31. Dezember 1996 zu treffen. Längstens bis zu diesem Zeitpunkt ist das damalige Recht (§ 10 Nr. 1 des Vermögensteuergesetzes) für weiterhin anwendbar erklärt worden.

2. Der Beschwerdeführer hatte beim Finanzgericht Münster beantragt, die Vollziehung zweier am 9. Juni 1997 ergangener Vermögensteuerbescheide auszusetzen. Gegen die gerichtliche Ablehnung dieses Antrags erhob der Beschwerdeführer Verfassungsbeschwerde zum BVerfG und rügte die Verletzung verschiedener Grundrechte. Er machte geltend, das Finanzgericht habe verkannt, daß im Jahre 1997 kein Vermögensteuerbescheid mehr habe erlassen werden dürfen. Denn nach dem Beschluß des Zweiten Senats des BVerfG vom 22. Juni 1995, der Gesetzeskraft (vgl. § 31 Abs. 2 BVerfGG) habe, sei das Vermögensteuergesetz nach dem 31. Dezember 1996 nicht mehr anzuwenden gewesen.

II.

Die 3. Kammer des Ersten Senats hat die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen und zur Begründung u.a. ausgeführt:

Der Beschluß des Finanzgerichts beachtet die Bindungswirkung der Entscheidungsformel des Beschlusses des Zweiten Senats vom 22. Juni 1995. Das in dieser Entscheidungsformel genannte Datum, der 31. Dezember 1996, bezeichnet den Zeitpunkt, in dem der die Vermögensteuer begründende Tatbestand verwirklicht worden ist (hier: 1. Januar 1993 und 1. Januar 1995), nicht aber den Zeitpunkt der Behördenentscheidung (hier der 9. Juni 1997), der allein von der Arbeitsbelastung der Veranlagungsstellen und der Erklärungsbereitschaft der Steuerpflichtigen abhängt.

Damit scheidet eine Verletzung der von dem Beschwerdeführer gerügten Rechte aus.

Anlage zur Pressemitteilung Nr. 37/98 vom 15. April 1998

Verlautbarung der Pressestelle des Bundesverfassungsgerichts Nr. 33/95

Das Bundesverfassungsgericht - Zweiter Senat - hat mit Beschluß vom 22. Juni 1995 entschieden, daß die Bestimmungen des Vermögensteuerrechts, die einheitsbewertetes Vermögen, insbesondere Grundvermögen, steuerlich geringer belasten als das sonstige Vermögen, mit dem Grundgesetz unvereinbar sind. Dabei hat das Gericht anerkannt, daß das Vermögen, das der persönlichen Lebensführung der Steuerpflichtigen dient, insbesondere das übliche Einfamilienhaus, von der Vermögensteuer ausgenommen werden muß. Dem Gesetzgeber ist jedoch aufgegeben, die im bisher geltenden Recht angelegten Belastungsunterschiede neu zu regeln.

Die Vermögensteuer ist vom Grundgesetz in ihrer historisch gewachsenen Ausgestaltung als zulässige Form einer Steuer anerkannt. Sie ist als Sollertragsteuer konzipiert, muß also aus den üblicherweise zu erwartenden, möglichen Vermögenserträgen bestritten werden können und den Vermögensstamm unberührt lassen.

Wird das steuerpflichtige Vermögen insgesamt nach einem einheitlichen Steuersatz besteuert, so kann der Gesetzgeber eine gleichmäßige Steuerbelastung aller Wirtschaftsgüter nur sichern, wenn er sie sachgerecht in Gegenwartswerten erfaßt und seiner Besteuerung zugrunde legt. Dieses Erfordernis des Gleichheitssatzes ist durch die gegenwärtige gesetzliche Regelung verletzt. Die Einheitswerte für bebaute und unbebaute Grundstücke wurden letztmals zum 1. Januar 1964 ermittelt und seit 1974 mit einem Zuschlag von 40 v.H. der Vermögensteuer zugrunde gelegt. Das sonstige Vermögen, insbesondere das Kapitalvermögen, wird hingegen zum gegenwärtigen Verkehrs- und Kurswert belastet. Diese unterschiedlichen, einerseits an Vergangenheitswerten von 1964 orientierten, andererseits zu Gegenwartswerten erfaßten Bemessungsgrundlagen führen zu deutlichen Wertverzerrungen und Belastungsungleichheiten.

Der Gesetzgeber ist deshalb verpflichtet, künftig eine gleichmäßige Vermögensbesteuerung zu gewährleisten. Dabei findet die Belastung der Erträge eine verfassungsrechtliche Grenze in der Ertragsfähigkeit des Vermögens. Die Vermögensteuer darf zu den übrigen Steuern auf den Ertrag nur hinzutreten, soweit der Steuerpflichtige die Steuern aus den üblicherweise zu erwartenden Erträgen bezahlen kann und ihm nach Steuerzahlung ein ausreichender eigener Ertragsanteil verbleibt. Außerdem muß der Gesetzgeber bei der gegenwärtigen Vorbelastung des Vermögens, insbesondere durch die Einkommensteuer, den Teil des Vermögens von der Vermögensteuer verschonen, der zur Grundlage der individuellen Lebensgestaltung des Steuerpflichtigen und seiner Familie bestimmt ist. Bei der typisierenden Bestimmung dieses persönlichen Gebrauchseigentums kann sich der Gesetzgeber am Wert eines durchschnittlichen Gebrauchsvermögens (übliches Einfamilienhaus sowie Hausrat und bestimmtes der Alterssicherung dienendes Vermögen) orientieren. Bei der Besteuerung von Ehegatten steht jedem Ehegatten ein eigener Anspruch auf Verschonung eines solchen Gebrauchsvermögens zu, auch hat der Gesetzgeber zu berücksichtigen, daß unterhaltsberechtigte Kinder den individuellen Lebenszuschnitt der Familie erweitern. Bei Vermögenseinheiten, die einer landwirtschaftlichen, gewerblichen oder freiberuflichen Erwerbstätigkeit gewidmet sind, wird der Gesetzgeber die steuerlichen Auswirkungen einer Neubewertung des Grundbesitzes auch auf die Berufsfreiheit zu bedenken haben.

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts verpflichtet den Gesetzgeber nicht, der Besteuerung des Grundbesitzes Verkehrswerte zugrunde zu legen.

Das Bundesverfassungsgericht hat dem Gesetzgeber für die nunmehr notwendig gewordene Neuregelung des Vermögensteuerrechts eine Frist bis zum 31. Dezember 1996 eingeräumt. Längstens bis zu diesem Zeitpunkt ist das bisherige Recht weiterhin anwendbar. Sieht der Gesetzgeber eine Neubewertung der Grundlagen der Vermögensbesteuerung vor, so darf er für längstens fünf Jahre Übergangsregelungen treffen. Diese müssen die vermögensteuerliche Belastung an die in dem Beschluß des Bundesverfassungsgerichts benannten verfassungsrechtlichen Maßstäbe annähern, dürfen in diesem Rahmen aber eine teilweise Fortgeltung der bisherigen Vorschriften anordnen.

Die Entscheidung ist im Ergebnis einstimmig ergangen. Der Richter Böckenförde hat der Begründung der Entscheidung ein Sondervotum beigefügt. Es wendet sich dagegen, daß der Senat seine Entscheidung mit verfassungsrechtlichen, durch die Gleichheitsfrage nicht veranlaßten Vorgaben an den Gesetzgeber zu Grund und Grenze der Vermögensbesteuerung angereichert hat. Diese Vorgaben, die in der Verfassung keine hinreichende Grundlage hätten, begrenzten den Gesetzgeber ungerechtfertigt in seinen Möglichkeiten zum sozialen Ausgleich.

Beschluß des Zweiten Senats vom 22. Juni 1995 - 2 BvL 37/91

Karlsruhe, den 18. August 1995