Bundesverfassungsgericht

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Unzulässige Verfassungsbeschwerde im Zusammenhang mit "Behindertenurteil"

Pressemitteilung Nr. 72/1998 vom 26. Juni 1998

Beschluss vom 28. Mai 1998
1 BvR 329/98

Die 3. Kammer des Ersten Senats des BVerfG hat eine Verfassungsbeschwerde gegen ein Urteil des OLG Köln (OLG), durch das einer Unterlassungsklage gegen als störend empfundene Laute und Geräusche von behinderten Bewohnern des Nachbarhauses teilweise stattgegeben worden war, nicht zur Entscheidung angenommen. Die Verfassungsbeschwerde war unzulässig. Die Kammer hat sich deshalb mit der angegriffenen Entscheidung inhaltlich nicht auseinandergesetzt.

I.

Der Beschwerdeführer zu 1) ist Träger von Einrichtungen für psychisch Kranke und geistig Behinderte, die Beschwerdeführer zu 2) bis 8) sind sieben geistig behinderte Männer, die in einer sog. Außenwohngruppe auf einem Grundstück des Beschwerdeführers zu 1) betreut werden. Der Kläger des Ausgangsverfahrens ist Eigentümer des mit einem Einfamilienhaus bebauten Nachbargrundstücks. Weil er sich durch die Geräusche der Beschwerdeführer zu 2) bis 8) in der Nutzungsmöglichkeit seines Grundstücks beeinträchtigt fühlte, erhob er (nur) gegen den Beschwerdeführer zu 1) Klage auf Unterlassung der seiner Auffassung nach von dessen Grundstück ausgehenden Störungen.

Das Landgericht wies die Klage ab. Auf die Berufung des Klägers hob das OLG das angegriffene Urteil teilweise auf und verurteilte den Beschwerdeführer zu 1), in der Jahreszeit zwischen dem 1. April und dem 31. Oktober durch geeignete Maßnahmen zu verhindern, daß von den geistig behinderten Personen zu bestimmten Tageszeiten "Lärmeinwirkungen wie Schreien, Stöhnen, Kreischen und sonstige unartikulierte Laute" auf das Grundstück des Klägers dringen. Im übrigen wurde die Klage abgewiesen. Begründet wurde die Entscheidung im wesentlichen damit, daß dem Kläger hinsichtlich der Lärmeinwirkungen grundsätzlich ein zivilrechtlicher Unterlassungsanspruch (§ 1004 Abs. 1 S. 2 i.V.m. § 906 Abs. 1 BGB) zustehe, da ihm, wie die Beweisaufnahme ergeben habe, auch unter Berücksichtigung des Diskriminierungsverbots des Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG die Lärmeinwirkungen nur bis zu einem gewissen Umfang zugemutet werden könnten.

Gegen das Urteil des OLG hatten sowohl der Beschwerdeführer zu 1) als auch die am Ausgangsverfahren nicht beteiligten Beschwerdeführer zu 2) bis 8) Verfassungsbeschwerde erhoben. Der Beschwerdeführer zu 1) rügte die Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG (Anspruch auf rechtliches Gehör), die Beschwerdeführer zu 2) bis 8) rügten u.a. eine Verletzung des Diskriminierungsverbots aus Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG.

II.

Die 3. Kammer des Ersten Senats hat die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.

Zur Begründung heißt es u.a.:

  1. Die "Gehörsrüge" des Beschwerdeführers zu 1) ist unsubstantiiert und daher unzulässig. Aus dem von ihm angegebenen Schriftsatz ergibt sich nicht, daß die Beweisangebote, die das OLG übergangen haben soll, überhaupt angeboten wurden.
  2. Die Verfassungsbeschwerde der Beschwerdeführer zu 2) bis 8) ist ebenfalls unzulässig. Ihrer Verfassungsbeschwerde steht schon der Grundsatz der Subsidiarität entgegen. Dieser in § 90 Abs. 2 S. 1 BVerfGG zum Ausdruck kommende Grundsatz erfordert, daß ein Beschwerdeführer alle nach Lage der Sache zur Verfügung stehenden prozessualen Möglichkeiten ergreift, um die Korrektur der geltend gemachten Grundrechtsverletzung durch die Fachgerichte zu erwirken. Vorliegend hätte für die Beschwerdeführer zu 2) bis 8) die Möglichkeit bestanden, sich im Wege der Nebenintervention gemäß § 66 ZPO auf der Seite des Beschwerdeführers zu 1) am Ausgangsverfahren zu beteiligen und die ihnen als Nebenintervenienten zustehenden prozessualen Mittel auszuschöpfen, um es gar nicht erst zu den von ihnen behaupteten Grundrechtsverstößen kommen zu lassen. Weshalb ihnen diese Möglichkeit verwehrt gewesen wäre, ist von ihnen weder in der gebotenen Weise dargelegt noch sonst ersichtlich. Dies gilt auch, soweit die Beschwerdeführer vorgetragen haben, die gerichtliche Verwertung der ohne ihr Wissen vom Kläger aufgenommenen Tonbandaufnahmen verletze sie in ihren Grundrechten. Unabhängig von einer Beteiligung als Nebenintervenienten hätte für sie zudem die Möglichkeit bestanden, den Kläger - gegebenenfalls im Wege vorläufigen Rechtsschutzes - auf Herausgabe oder Löschung der streitigen Tonbandaufnahmen in Anspruch zu nehmen.