Bundesverfassungsgericht

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Zur steuerrechtlichen Verlustverrechnung bei Einkünften aus der Vermietung von beweglichen Sachen

Pressemitteilung Nr. 116/1998 vom 23. Oktober 1998

Beschluss vom 30. September 1998
2 BvR 1818/91

Der Zweite Senat des BVerfG hat in einem Verfassungsbeschwerde-Verfahren entschieden, daß § 22 Nr. 3 S. 3 Einkommensteuergesetz i.d.F. vom Januar 1984 (EStG) insoweit mit dem Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar und nichtig ist, als er einen steuerrechtlichen Verlustabzug bei den "sonstigen Einkünften" aus der Vermietung von beweglichen Sachen ausschließt.

I.

Rechtslage

Das Einkommensteuerrecht erlaubt einen Verlustausgleich (Verrechnung von Gewinn und Verlust innerhalb eines Veranlagungszeitraums) und gestattet darüber hinaus grundsätzlich auch die Verrechnung der negativen Ergebnisse mit den positiven Ergebnissen der vergangenen und künftigen Veranlagungszeiträume (Verlustabzug).

Ausnahmen von diesen Verrechnungsmöglichkeiten gelten u.a. für Verluste aus gewerblicher Tierzucht, aus Spekulationsgeschäften und für Einkünfte aus sonstigen Leistungen (§ 22 Nr. 3 EStG i.d.F. von Januar 1984; Wortlaut s. Anlage). Allerdings nimmt § 22 Nr. 3 EStG innerhalb dieser Ausnahmen wiederum eine Sonderstellung ein: Anders als bei allen anderen Einkünften dürfen bei den "sonstigen Leistungen" Aufwendungen nicht mit künftigen, in späteren Veranlagungszeiträumen anfallenden Erträgen aus derselben Tätigkeit verrechnet werden.

II.

Die Beschwerdeführer vercharterten im Veranlagungszeitraum 1984 eine Segeljacht. Eine Verrechnung des Verlusts in Höhe von 5.000,-- DM lehnte das Finanzamt ab. Das Finanzgericht und der Bundesfinanzhof bestätigten diese behördliche Entscheidung. Die Vercharterung falle unter die Einkunftsart "sonstige Einkünfte" im Sinne des § 22 Nr. 3 EStG. Gemäß Satz 3 dieser Vorschrift könne der Verlust weder mit anderen Einkünften desselben Jahres noch mit künftigen Gewinnen aus dieser Tätigkeit verrechnet werden.

Gegen den behördlichen Bescheid und die gerichtlichen Entscheidungen erhoben die Beschwerdeführer Verfassungsbeschwerde und rügten insbesondere eine Verletzung des Gleichbehandlungsgebots des Art. 3 Abs. 1 GG.

III.

Der Zweite Senat hat den Beschwerdeführern recht gegeben.

Zur Begründung heißt es u.a.:

1. Das EStG belastet die in § 2, §§ 13ff. näher bestimmten Einkunftsarten grundsätzlich gleich. Soweit das Einkommensteuerrecht mehrere Einkunftsarten unterscheidet und daran auch unterschiedliche Rechtsfolgen knüpft, müssen diese ihre Rechtfertigung in besonderen sachlichen Gründen finden. Allein die systematische Unterscheidung durch den Gesetzgeber kann die Ungleichbehandlung in den Rechtsfolgen nicht rechtfertigen.

Nach diesem Maßstab verstößt der völlige Ausschluß der Verlustrechnung bei laufenden Einkünften aus der Vermietung beweglicher Sachen durch § 22 Nr. 3 S. 3 EStG gegen das Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG.

Grundsätzlich genügt zwar das Einkommensteuerrecht dem Gebot der Gleichbehandlung der Einkunftsarten insoweit, als es für alle Einkunftsarten den Ausgleich und Abzug von Verlusten vorsieht. Allerdings benachteiligt § 22 Nr. 3 S. 3 EStG Steuerpflichtige mit Einkünften aus laufender sonstiger Leistung, wenn Erwerbsaufwendungen und Erwerbseinnahmen in verschiedenen Veranlagungszeiträumen anfallen. Die Erwerbseinnahmen unterliegen dann in vollem Umfang der Einkommenbesteuerung, ohne daß die Erwerbsaufwendungen im Veranlagungszeitraum ihrer Entstehung oder in dem Veranlagungszeitraum, in dem die Erwerbseinnahmen erfaßt werden, Berücksichtigung finden. Für diese Ungleichbehandlung sind keine rechtfertigenden Gründe ersichtlich.

Weder die Gesetzesmaterialien noch die Entstehungsgeschichte des § 22 Nr. 3 EStG nennen Gründe, weswegen die Verlustverrechnungen bei den "sonstigen Einkünften" in stärkerem Umfang eingeschränkt werden als bei den übrigen Einkünften mit beschränkter Verlustrechnung.

Auch in der Literatur wurde und wird vielfach die Auffassung vertreten, die angegriffene Vorschrift sei eine unangemessene Regelung, die "zu einem nach dem Gesetz kaum lösbaren Konflikt" führe.

Die Beschränkungen der Verlustverrechnung bei den "sonstigen Einkünften" lassen sich auch nicht deshalb rechtfertigen, weil aus diesen Einkünften typischerweise keine Überschüsse erzielt werden. Solche als "Liebhaberei" bezeichneten Tätigkeiten sind einkommensteuerlich unerheblich, weil sie nicht auf die Erzielung eines Gewinns oder Überschusses angelegt sind.

"Liebhaberei" ist eine aus privater Neigung nicht zur Einkünfteerzielung unternommene Tätigkeit; sie unterliegt daher insgesamt nicht der Einkommensteuer. Die "Leistungen" werden in § 22 Nr. 3 EStG jedoch als "Leistungsgewinn" erfaßt, setzen also eine auf das Erzielen eines Überschusses angelegte Erwerbsgrundlage voraus.

2. Da sich die Verfassungsbeschwerde lediglich auf Einkünfte aus der Vermietung beweglicher Gegenstände bezog, hat der Senat auch nur in diesem Umfang die Verfassungswidrigkeit und Nichtigkeit des § 22 Nr. 3 S. 3 EStG festgestellt. Für die Vergangenheit bedeutet dies, daß Verluste für die Veranlagungszeiträume ab 1984 aus der Vermietung beweglicher Gegenstände im Sinne der angegriffenen Vorschrift entsprechend den allgemeinen Regelungen des EStG über Verlustausgleich und Verlustabzug zu behandeln sind. Dies gilt allerdings gemäß § 79 Abs. 2 BVerfG nicht für solche Bescheide, die nicht mehr anfechtbar, also bestandskräftig sind. Für die Zukunft ist es Sache des Gesetzgebers, die allgemeinen Grundsätze der Verlustverrechnung zu überprüfen und die Regelung des § 22 Nr. 3 EStG gleichheitsgerecht auf diese Grundsätze abzustimmen.

Anlage zur Pressemitteilung Nr. 116/98 vom 23. Oktober 1998

§ 22 Arten der sonstigen Einkünfte.

Sonstige Einkünfte sind

1. bis 2. ...;

3. Einkünfte aus Leistungen, soweit sie weder

zu anderen Einkunftsarten (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 6) noch zu den Einkünften im Sinne der Nummern 1, 1a, 2 oder 4 gehören, z.B. Einkünfte aus gelegentlichen Vermittlungen und aus der Vermietung beweglicher Gegenstände.

Solche Einkünfte sind nicht einkommensteuerpflichtig, wenn sie weniger als 500 Deutsche Mark im Kalenderjahr betragen haben. Übersteigen die Werbungskosten die Einnahmen, so darf der übersteigende Betrag bei Ermittlung des Einkommens nicht ausgeglichen werden; er darf auch nicht nach § 10d abgezogen werden;

4. ...