Bundesverfassungsgericht

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Zum Anspruch auf Rückübertragung eines Erbbaurechts nach dem Vermögensgesetz - hier: Erfolgreiche Verfassungsbeschwerde

Pressemitteilung Nr. 135/1998 vom 9. Dezember 1998

Beschluss vom 28. Oktober 1998
1 BvR 2349/96

Der Erste Senat des BVerfG hat auf die Verfassungsbeschwerde einer GmbH ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) von September 1996 wegen Verstoßes gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das BVerwG zurückverwiesen. Mit dem Urteil war die Klage der Beschwerdeführerin auf Rückübertragung eines Erbbaurechts - hier als sogenannter Unternehmensrest - nach dem Vermögensgesetz (VermG) abgewiesen worden.

I.

Rechtslage

  1. Nach dem VermG (der Wortlaut der hier maßgeblichen Vorschriften ist in der Anlage beigefügt) können Vermögenswerte, die in der DDR Gegenstand einer schädigenden Maßnahme im Sinne des VermG waren und in Volkseigentum überführt wurden, auf Antrag zurückübertragen werden (§ 3 Abs. 1 S. 1 VermG). Solche Vermögenswerte sind u.a. Grundstücke, rechtlich selbständige Gebäude, Nutzungsrechte und dingliche Rechte an Grundstücken sowie Eigentum an Unternehmen (§ 2 Abs. 2 VermG).

    Das VermG unterscheidet insoweit zwischen der Rückübertragung einzelner Vermögenswerte und der Rückgabe von Unternehmen. Die Unternehmensrückgabe ist nach dem VermG ausgeschlossen, wenn der Geschäftsbetrieb eingestellt worden ist und die tatsächlichen Voraussetzungen für seine Wiederaufnahme nach vernünftiger kaufmännischer Beurteilung fehlen (§ 4 Abs. 1 S. 2 VermG). In einem solchen Fall kann der Berechtigte allerdings die Rückgabe noch vorhandener sogenannter Unternehmensreste oder Unternehmenstrümmer verlangen (§ 6 Abs. 6a VermG).

  2. Dem Inhaber eines Erbbaurechts (vgl. § 1 Abs. 1 Erbbaurechtsverordnung) steht das Recht zu, "auf oder unter der Oberfläche des Grundstücks ein Bauwerk zu haben". Dieses gilt im Fall seiner Errichtung als wesentlicher Bestandteil des Erbbaurechts. Für die Bestellung des Erbbaurechts kann ein Entgelt in wiederkehrenden Leistungen (Erbbauzins) zugunsten des Grundstückseigentümers vereinbart werden. Macht dieser von seinem "Heimfallanspruch" (= Übertragung des Erbbaurechts auf den Grundstückseigentümer) Gebrauch, so ist dem Erbbauberechtigten eine angemessene Vergütung zu gewähren, soweit nichts weiteres vereinbart ist.

    Auch im Falle des Erlöschens des Erbbaurechts durch Zeitablauf hat der Grundstückseigentümer dem Erbbauberechtigten in der Regel eine Entschädigung für das Bauwerk zu leisten.

II.

Sachverhalt

Zum Betriebsvermögen der Beschwerdeführerin gehörten Ende der 20er Jahre bestellte Erbbaurechte an drei Grundstücken. Nach der Flucht des Alleingesellschafters des Unternehmens aus der DDR wurden das Vermögen der Beschwerdeführerin einschließlich der Erbbaurechte in Volkseigentum überführt und die Rechte im Grundbuch gelöscht. Die auf der Grundlage der Erbbaurechte errichteten Wohn- und Geschäftsgebäude sind noch vorhanden und alle vermietet.

Das Begehren der Beschwerdeführer auf Rückübertragung des Unternehmens, das zuletzt nur noch auf Rückübertragung der Erbbaurechte gerichtet war, blieb erfolglos. Im Revisionsverfahren wies das BVerwG - unter Aufhebung des stattgebenden Urteils des Verwaltungsgerichts Leipzig - die Klage im wesentlichen mit folgender Begründung ab: Die Rückgabe eines Unternehmensrests setze voraus, daß sie nicht "von der Natur der Sache her" unmöglich, der Vermögenswert zum Rückgabezeitpunkt also noch vorhanden sei. Daran fehle es hier, weil die Erbbaurechte der Beschwerdeführerin gelöscht worden seien. Auch § 3 Abs. 1a S. 1 VermG, wonach zurückzuübertragende dingliche Rechte an rangbereiter Stelle wiederzubegründen sind, finde keine Anwendung, weil es sich im vorliegenden Fall nicht um den Entzug eines dinglichen Rechts (Einzelrestitution), sondern um den eines Unternehmens handele, das in der Hand des Berechtigten nicht mehr wiederhergestellt werden könne.

Gegen dieses Urteil erhob die Beschwerdeführerin Verfassungsbeschwerde und rügte insbesondere eine Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes.

III.

Entscheidung des Ersten Senats

Der Senat hat der Beschwerdeführerin recht gegeben.

Zur Begründung heißt es u.a.:

  1. Das Urteil benachteiligt die Beschwerdeführerin in zweifacher Hinsicht:

    Zum einen läßt das BVerwG die Restitution von Unternehmensresten zu, wenn es sich bei den "Resten" um Grundstücke handelt; die Rückübertragung für im Grundbuch gelöschte Erbbaurechte ist dagegen ausgeschlossen.

    Zum anderen läßt das BVerwG eine Wiederbegründung von Erbbaurechten im Wege der Einzelrestitution, nicht jedoch im Rahmen der Unternehmensrestitution zu.

  2. Diese Ungleichbehandlung ist durch sachliche Gründe nicht gerechtfertigt.

    a) Der Senat führt aus, daß Eigentum und Erbbaurechte Rechte an Grundstücken sind, die sich rechtlich in weitem Umfang ähneln. Das Erbbaurecht hat eigentumsähnlichen Charakter und wird als grundstücksgleiches Recht angesehen. Vor diesem Hintergrund kann eine unterschiedliche Behandlung von Grundstückseigentum und Erbbaurecht nicht allein mit dem formalen Gesichtspunkt der Löschung des Erbbaurechts gerechtfertigt werden. Fällt das Erbbaurecht an den Grundstückseigentümer zurück, so bedeutet dies nicht, daß das Erbbaurecht nicht wieder verselbständigt, neu begründet und zum Gegenstand einer Rechtsinhaberschaft Dritter gemacht werden könnte.

    Es überzeugt deshalb nicht, daß Erbbaurechte, die einem Unternehmen als Teil seines Vermögens entzogen und später im Grundbuch gelöscht worden sind, anders als Grundstücke nicht sollen restituiert werden können. Im Fall der Beschwerdeführerin kommt hinzu, daß die Gebäude, die auf der Grundlage ihrer früheren Erbbaurechte errichtet worden sind und wirtschaftlich die Hauptsache bilden, real nach wie vor vorhanden sind und wirtschaftlich genutzt werden.

    b) Der Senat legt weiter dar, daß auch für die unterschiedliche Behandlung von Erbbaurechten im Rahmen der Einzelrestitution einerseits und als Gegenstand einer Restitution von Unternehmensresten andererseits sich hinreichend gewichtige Rechtfertigungsgründe nicht feststellen lassen.

  3. Die geschilderten Ungleichbehandlungen folgen, wie der Senat weiter ausführt, nicht zwingend aus den Vorschriften des VermG. Diese können so ausgelegt werden, daß ihre Anwendung mit Art. 3 Abs. 1 GG in Einklang steht. Gesetzeswortlaut und Regelungszweck, die der verfassungskonformen Auslegung einer Norm Grenzen setzen, stehen dem nicht entgegen.

Anlage zur Pressemitteilung Nr. 135/98 vom 9. Dezember 1998

Vermögensgesetz

§ 2 Begriffsbestimmung

(2) Vermögenswerte im Sinne dieses Gesetzes sind ... Grundstücke sowie rechtlich selbständige Gebäude ..., Nutzungsrechte und dingliche Rechte an Grundstücken ... sowie Eigentum ... an Unternehmen...

§ 3 Grundsatz

(1) Vermögenswerte, die den Maßnahmen im Sinne des § 1 unterlagen und in Volkseigentum überführt ... wurden, sind auf Antrag an die Berechtigten zurückzuübertragen, soweit dies nicht nach diesem Gesetz ausgeschlossen ist... Ein Berechtigter, der einen Antrag auf Rückgabe eines Unternehmens stellt oder stellen könnte, kann seinen Antrag nicht auf die Rückgabe einzelner Vermögensgegenstände beschränken, die sich im Zeitpunkt der Schädigung in seinem Eigentum befanden; § 6 Abs. 6a S. 1 bleibt unberührt...

(1 a) Die Rückübertragung von dinglichen Rechten an einem Grundstück ... erfolgt dadurch, daß das Amt zur Regelung offener Vermögensfragen diese an rangbereiter Stelle ... begründet...

§ 4 Ausschluß der Rückübertragung

(1)... Die Rückgabe von Unternehmen ist ausgeschlossen, wenn und soweit der Geschäftsbetrieb eingestellt worden ist und die tatsächlichen Voraussetzungen für die Wiederaufnahme des Geschäftsbetriebs nach vernünftiger kaufmännischer Beurteilung fehlen.

§ 6 Rückübertragung von Unternehmen

(6 a) Ist die Rückgabe nach § 4 Abs. 1 S. 2 ganz oder teilweise ausgeschlossen, so kann der Berechtigte die Rückgabe derjenigen Vermögensgegenstände verlangen, die sich im Zeitpunkt der Schädigung in seinem Eigentum befanden oder an deren Stelle getreten sind; ...