Bundesverfassungsgericht

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Zur Kostenerstattungspflicht eines Beklagten, dem Prozeßkostenhilfe gewährt worden ist - hier: Keine Inanspruchnahme für vom Kläger verauslagte Gerichtskosten

Pressemitteilung Nr. 77/1999 vom 20. Juli 1999

Beschluss vom 23. Juni 1999
1 BvR 984/89

In dem Verfassungsbeschwerde (Vb)-Verfahren ging es um die Frage, ob der in einem Zivilverfahren unterlegene Beklagte für die vom Kläger verauslagten Gerichtskosten in Anspruch genommen werden kann, obwohl dem Beklagten Prozeßkostenhilfe bewilligt worden ist. Die 3. Kammer des Ersten Senats des BVerfG hat die Frage verneint und anders lautende gerichtliche Entscheidungen aufgehoben. Diese verletzen den Beschwerdeführer (Bf) in seinem Grundrecht auf Gleichbehandlung (Art. 3 Abs. 1 GG), weil ein "unbemittelter" unterlegener Kläger in keinem Fall Gerichtskosten zahlen muß. Das Verfahren ist zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das zuständige Landgericht zurückverwiesen worden.

I.

1. Prozeßkostenhilfe bedeutet die vollständige oder teilweise Befreiung einer "unbemittelten" Partei von Prozeßkosten. Sie wird bewilligt, sofern die beabsichtigte Rechtsverfolgung (Kläger) oder Rechtsverteidigung (Beklagter) hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint (§ 114 ff. ZPO). Die Bewilligung von Prozeßkostenhilfe hat auf die Verpflichtung, die dem Prozeßgegner entstandenen Kosten (z.B. Anwaltsgebühren) zu erstatten, keinen Einfluß (vgl. § 123 ZPO).

2. Der Bf unterlag als Beklagter in einem Zivilrechtsstreit, für den ihm Prozeßkostenhilfe bewilligt worden war. Ihm wurden auch die Kosten des Rechtsstreits auferlegt. Das Landgericht nahm in seinen Kostenfestsetzungsbeschluß neben den außergerichtlichen Kosten der Klägerin (s. oben § 123 ZPO) auch die von dieser verauslagten Gerichtskosten auf. Eine hiergegen gerichtete Beschwerde zum Oberlandesgericht blieb erfolglos. Die Erstattungspflicht des Bf folge aus § 123 ZPO. Mit seiner Vb rügte der Bf eine Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG).

II.

Die Vb hat Erfolg.

Die im Rechtsstreit unterlegenen Beklagten, denen Prozeßkostenhilfe bewilligt worden ist, werden ohne rechtfertigende Gründe bei der Festsetzung der entstandenen Gerichtskosten anders behandelt als die Kläger in vergleichbarer prozessualer Lage. Denn anders als die Kläger müssen die Beklagten trotz Gewährung von Prozeßkostenhilfe die vom Kläger verauslagten Gerichtskosten im Falle seines Obsiegens erstatten.

1. Das Gerichtskostengesetz (§ 58 Abs. 2) sieht vor, daß eine Partei (Kläger oder Beklagter), der Prozeßkostenhilfe bewilligt worden ist, nicht für Gerichtskosten haftet. Die Vorschrift unterscheidet nicht zwischen Gerichtskosten-Ansprüchen des Staates, die vor (z.B. durch Zahlung eines Gerichtskostenvorschusses) oder nach der Kostenentscheidung entstanden sind. Vielmehr spricht der Wille des Gesetzgebers dafür, die mittellose Partei mit dieser Norm umfassend zu schützen, sie also auch nicht über den Umweg eines gegnerischen Anspruchs doch noch zu Gerichtskosten heranzuziehen. § 58 Abs. 2 Satz 2 Gerichtskostengesetz ist also auslegungsfähig.

2. Die Gerichte haben bei der Auslegung dieser Vorschrift die Bedeutung und Tragweite des Grundrechtsschutzes aus Art. 3 Abs. 1 GG verkannt. Mit dem Prozeßkostenhilferecht hat der Gesetzgeber Sorge dafür getragen, daß die Verwirklichung der rechtlichen Gleichheit bei der Durchsetzung individueller Rechtspositionen vor Gericht nicht am wirtschaftlichen Unvermögen scheitert.

Die von ihm in diesem Zusammenhang eingeräumte Prozeßkostenfreiheit muß allerdings der "unbemittelten" Partei ungeachtet ihrer prozessualen Stellung als Kläger oder Beklagter zugute kommen. Daran fehlt es, wenn ein "unbemittelter" Kläger weder an die Staatskasse noch an den Prozeßgegner Gerichtskosten zahlen muß, ein mittelloser Beklagter hingegen jedoch verpflichtet ist, dem obsiegenden Kläger die von diesem vorab verauslagten Gerichtskosten zu erstatten. Diese Ungleichbehandlung ist nicht gerechtfertigt. Zwar bestünde die Gefahr mutwilliger oder vorschneller Klageerhebung, wenn man den Kläger von Vorschußleistungen befreite. Dies könnte aber dadurch verhindert werden, daß man es bei der Vorschußpflicht beläßt, die Staatskasse dem Kläger jedoch im Falle seines Obsiegens den Vorschuß zurückerstattet.

Die damit verbundene höhere Kostenbelastung der Staatskasse ist hinzunehmen. Denn wenn der Gesetzgeber gegenüber einem mittellosen unterlegenen Kläger gänzlich auf Zahlung von Gerichtskosten verzichtet, muß dies auch für den "unbemittelten" unterlegenen Beklagten gelten. Es ist deshalb im Ergebnis geboten und möglich, § 58 Abs. 2 Satz 2 Gerichtskostengesetz so auszulegen, daß der in ihm enthaltene Haftungsausschluß sämtliche Gerichtskosten, damit auch schon gezahlte Gerichtskostenvorschüsse umfaßt und so eine grundrechtsverletzende Ungleichbehandlung nicht eintritt.