Bundesverfassungsgericht

Sie sind hier:

Weitere erfolglose Verfassungsbeschwerden gegen das Transplantationsgesetz

Pressemitteilung Nr. 91/1999 vom 24. August 1999

Beschluss vom 11. August 1999
1 BvR 2181/98

Die 1. Kammer des Ersten Senats des BVerfG hat Verfassungsbeschwerden (Vb) gegen das Gesetz über die Spende, Entnahme und Übertragung von Organen (Transplantationsgesetz TPG) vom 5. November 1997 nicht zur Entscheidung angenommen.

Das Verfahren betraf die Organentnahme bei lebenden Organspendern. Die drei Beschwerdeführer (Bf) wandten sich u.a. gegen die Regelung, nach der eine solche Entnahme nur dann zulässig ist, wenn sie zum Zwecke der Übertragung auf Verwandte ersten oder zweiten Grades, Ehegatten, Verlobte oder anderen Personen, die dem Spender in besonderer persönlicher Verbundenheit offenkundig nahestehen, erfolgt.

Die 1. Kammer des Ersten Senats hatte bereits mit Beschlüssen vom 28. Januar 1999 Vb, die die gesetzliche Regelung über die Organentnahme bei toten Organspendern betrafen, nicht zur Entscheidung angenommen (vgl. Pressemitteilung Nr. 36/99 vom 24. März 1999).

I.

1. Das TPG läßt die Entnahme von Organen einer lebenden Person nur unter bestimmten Voraussetzungen zu. Hierzu zählt eine verwandtschaftliche oder sonstige Nähe des Spenders zum Empfänger (§ 8 Abs. 1 Satz 2 TPG). Ein Verstoß gegen diese Vorschrift ist strafbewehrt (§ 19 Abs. 2 TPG).

2. Der Bf zu 1. leidet an Niereninsuffizienz und Diabetes und muß sich regelmäßig einer Dialysebehandlung unterziehen. Der Bf zu 2. möchte eine seiner Nieren einem ihm nicht bekannten, an Niereninsuffizienz leidenden Patienten spenden. Der Bf zu 3. ist Transplantationschirurg. Sie rügen die Verletzung verschiedener Grundrechte, insbesondere das des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG ("Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit").

II.

Die Vb haben keine Aussicht auf Erfolg.

Zur Begründung heißt es u.a.:

1. Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG

Zwar greift § 8 Abs. 1 Satz 2 TPG in das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit des potentiellen Empfängers ein; dieser Eingriff ist jedoch gerechtfertigt.

a) Der Gesetzgeber verfolgt mit der Regelung das Ziel, die Freiwilligkeit der Organspende sicherzustellen und jeder Form des Organhandels vorzubeugen. Außerdem will er dadurch im Interesse des Gesundheitsschutzes des (lebenden) Spenders den Vorrang der postmortalen Organentnahme deutlich machen.

Alle drei Ziele beruhen auf vernünftigen Gründen des Allgemeinwohls, die den Gesetzgeber grundsätzlich zu einem Grundrechtseingriff berechtigen. Das gilt auch für das Ziel, den Vorrang der postmortalen Organspende deutlich zu machen. Zwar ist auch selbst gefährdendes Verhalten Ausübung der grundrechtlich geschützten allgemeinen Handlungsfreiheit. Das ändert aber nichts daran, daß es ein legitimes Gemeinwohlanliegen ist, Menschen davor zu bewahren, sich selbst einen größeren persönlichen Schaden zuzufügen.

b) § 8 Abs. 1 Satz 2 TPG ist zur Erreichung der Ziele auch geeignet und erforderlich.

Erforderlich ist ein Gesetz, wenn der Gesetzgeber nicht ein anderes, gleich wirksames, aber das Grundrecht nicht oder weniger stark einschränkendes Mittel hätte wählen können.

Der Gesetzgeber hat seinen hinsichtlich dieser Voraussetzung weiten Beurteilungs und Gestaltungsspielraum nicht überschritten. Er konnte sich insbesondere darauf stützen, daß nach aller Erfahrung das Leiden eines anderen immer dann besonders intensiv empfunden wird, wenn es sich um einen Verwandten oder besonders nahestehenden Menschen handelt, und deshalb gerade in diesen Fällen Anlaß zu einer (freiwilligen) Organspende sein kann. Damit hat der Gesetzgeber nicht in Abrede gestellt, daß es auch unter Fremden im Einzelfall eine wirklich altruistische Organspende geben kann. Er ist aber davon ausgegangen, daß kein Verfahren, so ausgereift es auch sein möge, für sich genommen in der Lage wäre, die "Freiwilligkeit" der Spenderentscheidung und die Verhinderung eines Organhandels sicherzustellen.

c) Die Regelung ist auch verhältnismäßig im engeren Sinn. Zur Rechtfertigung hat der Gesetzgeber Gemeinwohlbelange von hoher Bedeutung, nämlich in einem so sensiblen Bereich wie der Transplantationsmedizin ein Höchstmaß an Seriosität und Rechtssicherheit sicherzustellen, angeführt. Das ist unabdingbare Voraussetzung, wenn um des Lebensschutzes willen die Bereitschaft der Menschen zur Organspende langfristig gefördert werden soll. Für die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne spricht ferner, daß es für den Erkrankten regelmäßig die Möglichkeit der Transplantation eines postmortal gespendeten Organs gibt und der Gesetzgeber auch den Gesundheitsschutz auf Seiten des Spenders berücksichtigen durfte.

2. Art. 3 Abs. 1 GG (allgemeiner Gleichheitssatz)

Soweit der Bf zu 1. meint, er werde gegenüber Patienten benachteiligt, für die ein "nahestehender" Spender vorhanden sei, ist dies eine faktische Beeinträchtigung, die ihre Rechtfertigung in der Einschätzung des Gesetzgebers findet, daß eine verwandtschaftliche oder entsprechende enge persönliche Beziehung grundsätzlich die einzige Gewähr für die Erreichung der gesetzgeberisch verfolgten legitimen Ziele ist.

3. Art. 2 Abs. 1 GG (allgemeine Handlungsfreiheit)

Der von dem Bf zu 2) gerügte Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG), den dieser darin sah, daß er in seinen Möglichkeiten, ein Organ zu spenden, beschränkt ist, ist aus den gleichen Gründen wie der Eingriff in Art. 2 Abs. 2 GG gerechtfertigt. Der Bf zu 2) hat auch keinen Anspruch darauf, daß der Staat durch entsprechende Vorkehrungen dafür sorgt, daß ihm eine zweifelsfrei fremdgerichtete altruistische Lebendspende, etwa über die für postmortale Organvermittlung zuständige Stiftung "Eurotransplant", ermöglicht wird.

4. Art. 12 Abs. 1 GG (Berufsfreiheit)

Eine Verletzung der Berufsfreiheit, die der Bf zu 3. rügt, ist nicht gegeben.

Die angegriffenen Vorschriften sind Regelungen der Berufsausübung, die ebenfalls durch vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls gerechtfertigt und nicht unverhältnismäßig sind.

Dabei ist zu berücksichtigen, daß der Eingriff in die Berufsfreiheit nicht besonders schwer wiegt. Die ärztliche Tätigkeit wird durch die einschränkende Regelung der Organentnahme bei lebenden Personen nicht nachhaltig beeinträchtigt.

5. Art. 4 Abs. 1 GG (Glaubens- und Gewissensfreiheit)

Auch diese Rüge des Bf zu 3. greift nicht durch.

Art. 4 Abs. 1 GG hat seine Grenzen in den von der Verfassung selbst geschützten Rechtsgütern und Werten. Die Ziele, denen § 8 Abs. 1 Satz 2 TPG dient, finden in der Verfassung ihren Grund: Es entspricht dem Bild des GG von der Würde und Selbstbestimmtheit des Menschen, daß eine so weitreichende Entscheidung wie die Spende eines Organs auf einem freiwilligen, von finanziellen Erwägungen unberührten Willensentschluß beruhen muß. Daß der Gesetzgeber dem Bestreben, die Freiwilligkeit der Spenderentscheidung zu sichern und jeder Form des Organhandels vorzubeugen, den Vorrang vor etwaigen Gewissenskonflikten der beteiligten Ärzte eingeräumt hat, ist verfassungsrechtlich unbedenklich.

6. Verstoß gegen den Grundsatz des schuldangemessenen Strafens/Schuldprinzip

Auch gegen den Straftatbestand des § 19 Abs. 2 TPG, der hier nur den Bf zu 3. treffen könnte, bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Es ist grundsätzlich Sache des Gesetzgebers, den Bereich strafbaren Handelns verbindlich festzulegen. Das BVerfG kann dessen Entscheidung nicht darauf prüfen, ob er die zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste Lösung gefunden hat.

Ein Verstoß gegen § 8 Abs. 1 Satz 2 TPG, der seinerseits dem Schutz verfassungsfundierter Gemeinschaftsbelange dient, gefährdet regelmäßig wichtige Gemeinschaftsbelange. Es beruht deshalb auf einer einleuchtenden und sachgerechten Erwägung, daß der Gesetzgeber solche Verstöße als strafwürdig und strafbedürftig angesehen hat.

Das Argument der Bf, im Einzelfall gefährde die Organentnahme bei einer lebenden Person nicht die Rechtsgüter, deren Schutz § 8 Abs. 1 Satz 2 TPG bezwecke, sondern stelle sich vielmehr als sozial nützliches Verhalten dar, steht dem nicht entgegen. Der Gesetzgeber darf zum Schutz wichtiger Gemeinschaftsgüter eine strafrechtliche Sanktion unabhängig von einer konkreten Gefährdung oder gar Verletzung der Schutzgüter in den Bereich einer abstrakten Gefährdung vorverlagern.