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"Stichtagsregelung" im Vermögensgesetz ist verfassungsgemäß

Pressemitteilung Nr. 123/1999 vom 23. November 1999

Urteil vom 23. November 1999
1 BvF 1/94

Der Erste Senat des BVerfG hat aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 12. Mai 1999 entschieden, daß die in § 4 Abs. 2 des Vermögensgesetzes (VermG) von August 1992 geregelte Stichtagsregelung mit dem GG vereinbar ist.

Das Land Brandenburg hatte im Rahmen einer abstrakten Normenkontrolle die Verfassungsmäßigkeit dieser Regelung in Frage gestellt.

Wegen der Einzelheiten des Verfahrens und des Wortlauts der angegriffenen Vorschrift wird auf die Pressemitteilung vom 3. Mai 1999 Nr. 53/99 Bezug genommen.

Zur Urteilsbegründung:

I. Art. 14 GG (Eigentumsgarantie)

§ 4 Abs. 2 VermG ist mit der Eigentumsgarantie vereinbar. Die Vorschrift bewirkt keine Enteignung, sondern stellt eine zulässige Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums im Sinne von Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG dar.

1. Der Gesetzgeber stand bei der Wiedervereinigung vor der Aufgabe, einen gerechten Ausgleich zu schaffen zwischen den Interessen der früheren Eigentümer, Wiedergutmachung für den rechtsstaatswidrigen Verlust von Vermögenswerten zu erlangen, und den Interessen der Erwerber, die Vermögenswerte zu behalten. Dabei sprach der Gedanke der materiellen Gerechtigkeit mehr für die Wiederherstellung des ursprünglichen Zustandes. Hingegen sprach der Grundsatz der Rechtssicherheit mehr für den Schutz der Erwerber. Da beide Grundsätze im Rechtsstaatsprinzip enthalten sind, gab das GG keine bestimmte Lösung dieses Interessenkonflikts vor. Vielmehr hatte der Gesetzgeber einen weiten Gestaltungsspielraum. Er durfte zur Sicherung des Vorrangs der Restitution auch einen Stichtag festlegen, bis zu dem der Vertrauensschutz Vorrang genießt und ab dem die Restitution zugunsten des früheren Eigentümers oder seines Rechtsnachfolgers uneingeschränkt zum Zuge kommt. Eine solche in sachlicher und zeitlicher Hinsicht differenzierende Lösung stellt keine unangemessene Bevorzugung oder Benachteiligung dar und führt zu einem vertretbaren Ausgleich der unterschiedlichen Interessen.

2. Vor dem Hintergrund dieser gesetzlichen Interessenabwägung ist auch die Auslegung des Begriffs des "Erwerbs" durch die Verwaltungsgerichte verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Nach dieser Rechtsprechung ist ein solcher Erwerb erst mit der Eintragung des jeweiligen Käufers in das Grundbuch vollendet. Es reicht also nicht schon der Abschluß des Kaufvertrages.

Diese Auslegung führt weder zu einer einseitigen Beschränkung des Vertrauensschutzprinzips noch zu einer Aushöhlung des Restitutionsgrundsatzes. Sie findet auch im Gesetz eine ausreichende Stütze, denn § 4 Abs. 2 Satz 2 VermG unterscheidet zwischen dem "Erwerb" und dem "zugrundeliegenden Rechtsgeschäft".

3. § 4 Abs. 2 VermG verletzt nicht das rechtsstaatliche Rückwirkungsverbot.

a) Soweit das VermG nichteingetragenen Käufern Rechtspositionen entzieht, liegt eine verfassungsrechtlich grundsätzlich zulässige unechte Rückwirkung vor. Das Recht der DDR trennte nicht zwischen schuldrechtlichem Kaufvertrag einerseits und sachenrechtlicher Übereignung andererseits, sondern sah in beiden Geschäften einen einheitlichen Vorgang. Dieser Erwerbsvorgang war nicht schon mit dem notariell beurkundeten Kaufvertrag eines Grundstücks oder Gebäudes abgeschlossen, sondern erst mit der Eintragung im Grundbuch. Da bis zum Inkrafttreten des VermG etwa 95% der nach dem Stichtag 18. Oktober 1989 getätigten Kaufgeschäfte im Genehmigungs- oder im Eintragungsverfahren gleichsam stecken geblieben waren, war der Erwerbsvorgang in der Mehrzahl der nach dem Stichtag getätigten Geschäfte noch nicht endgültig abgeschlossen. Die Rückabwicklung dieser noch offenen Vorgänge war somit nicht durch das Rückwirkungsverbot ausgeschlossen.

b) Eine grundsätzlich unzulässige echte Rückwirkung liegt allerdings vor, soweit die Käufer noch vor Inkrafttreten des VermG ins Grundbuch eingetragen worden sind und nach den §§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 2 VermG bereits erlangtes Eigentum an den früheren Eigentümer zurückübertragen müssen. Dies betrifft Personen, die entweder unredlich erworben haben oder zwar redlich gehandelt, den Kaufvertrag aber erst nach dem 18. Oktober 1989 angebahnt und abgeschlossen haben. In diesen Fällen ist die echte Rückwirkung ausnahmsweise verfassungsrechtlich zulässig. Sie ist teils mangels schutzwürdigen Vertrauens, teils aus überwiegenden Gründen des Gemeinwohls gerechtfertigt.

(1) Das Vertrauen in den Fortbestand unredlich erworbener Rechte ist grundsätzlich nicht schutzwürdig. Dies gilt besonders bei den von § 4 Abs. 3 VermG umschriebenen Fällen unredlichen Verhaltens. Sie sind dadurch gekennzeichnet, daß auf seiten der Erwerber stets ein manipulatives Verhalten vorliegt.

(2) Auch die Erwerber, die die Kaufverträge erst nach dem 18. Oktober 1989 angebahnt und abgeschlossen hatten, konnten sich größtenteils bei Inkrafttreten des Vermögensgesetzes nicht mehr auf schutzwürdiges Vertrauen berufen. Denn ihr Vertrauen in den Fortbestand der nach dem Stichtag erworbenen Rechte wurde bereits vor Inkrafttreten des VermG durch Recht der DDR zerstört. Denn die Regierung der DDR hatte in der Anmeldeverordnung vom Juli und August 1990 geregelt, daß in den Fällen des teilungsbedingten Unrechts alle nach dem Stichtag eingeleiteten Erwerbsvorgänge überprüft und ggf. rückabgewickelt werden würden.

(3) Es gibt allerdings zwei Fallkonstellationen, bei denen für redliche Erwerber die Pflicht zur Rückübertragung des Eigentums nach dem Recht der DDR nicht ohne weiteres voraussehbar war:

  • Die Rückübertragung an Opfer des Nationalsozialismus,
  • die Rückübertragung an politisch Verfolgte der sowjetischen Besatzungsmacht oder der DDR.

In diesen Fällen ist die Ausnahme vom Verbot der echten Rückwirkung jedoch durch überragende Belange des Gemeinwohls gerechtfertigt. Sowohl die Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts als auch das Restitutionsinteresse der von der sowjetischen Besatzungsmacht oder in der DDR Verfolgten stellen einen solchen überragenden Gemeinwohlbelang dar.

II. Art. 3 Abs. 1 GG (Gleichbehandlungsgebot)

Die angegriffene Vorschrift des § 4 Abs. 2 VermG verletzt auch nicht das Gleichbehandlungsgebot.

1. Die Ungleichbehandlung von Käufern, die bereits in das Grundbuch eingetragen sind, gegenüber denjenigen, die lediglich einen Kaufvertrag abgeschlossen haben, ist gerechtfertigt. Zwischen ihnen bestehen gewichtige Unterschiede. Denn der im Grundbuch bereits eingetragene Käufer hat Eigentum am Grundstück erworben und damit eine gegenüber jedermann gesicherte und durchsetzbare Stellung, auf deren Bestand er grundsätzlich vertrauen kann. Hingegen hat der nichteingetragene Käufer nur einen Erwerbsanspruch. Er kann nicht uneingeschränkt darauf vertrauen, daß er den verkauften Gegenstand tatsächlich erlangt und daß er vor allem seine Käuferrechte gegenüber Dritten verteidigen kann.

2. Auch die Bestimmung eines Stichtages ist mit dem Gleichheitssatz vereinbar.

Die dadurch entstehenden Ungleichheiten sind vertretbar. Angesichts der gegen Ende des Jahres 1989 einsetzenden und im Frühjahr 1990 massenhaft vorgenommenen Erwerbsgeschäfte konnte der Gesetzgeber die Befürchtung hegen, eine uneingeschränkte Geltung der Vorschriften über den redlichen Erwerb würde zu einer starken Zurückdrängung des Restitutionsgrundsatzes führen. Aus diesem Grund durfte er die Einführung eines Stichtages, durch den die Möglichkeit des redlichen Erwerbs zeitlich begrenzt wurde, für erforderlich halten.

Auch die Wahl des Stichtages (18. Oktober 1989) ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Dieser Tag bot sich an, weil der Tag des Rücktritts von Erich Honecker vom Amt des Staatsratsvorsitzenden eine Zäsur in der Geschichte der DDR darstellte und weil dieser Stichtag nicht nur in der Gemeinsamen Erklärung, sondern auch in der Anmeldeverordnung der DDR als Eckdatum verwendet worden war und damit bereits in das Recht der DDR Eingang gefunden hatte.